Zähmung der Emotionen. Eine Kulturtechnik im Wandel der Zeit

Zähmung der Emotionen. Eine Kulturtechnik im Wandel der Zeit

Veranstalter
Philosophisch-Historische Fakultät der Universität Stuttgart und Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Univ. Stuttgart
Veranstaltungsort
Keplerstr. 17 (K II), Raum 17.52
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.11.2012 - 05.02.2012
Von
Christian Winkle

Die Frage der Zähmung von Emotionen hat sowohl historische als auch moderne Gesellschaften beschäftigt. Vor dem Hintergrund einer immer stärkeren Emotionalisierung und emotionalen Enthemmung in der massenmedial geprägten Öffentlichkeit der Gegenwart rückt die Kulturleistung einer „Zähmung der Leidenschaften“ unter neuen Vorzeichen in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Die Vorträge stellen Fallstudien aus verschiedenen historischen Epochen und Kulturen vor und analysieren aus unterschiedlichen Perspektiven und Wissenschaftszweigen relevante literarische Texte, bildliche Darstellungen und philosophische Positionen. Dabei stehen „gelenkte“ Emotion(en) und die verschiedenen Formen des jeweiligen Umgangs mit öffentlich gezeigten (oder gerade nicht dargebotenen) Emotionen im Mittelpunkt. Die „Zähmung der Leidenschaften“, verstanden als Kulturleistung, bietet so eine neue Perspektive auf kulturelle Differenzen und ebenso einen Ansatz zu deren angemessener Erklärung.

Programm

6. November 2012
Prof. Dr. Reinhard Steiner (Univ. Stuttgart)
Die Distanziertheit des Lächelns

Der Vortrag geht von der Beobachtung aus, daß die europäische Porträtkunst von ihrem Beginn im 14. Jahrhundert bis in die Moderne durch eine auffallende Neutralität des Gesichtsausdrucks der Dargestellten geprägt ist. Pragmatisch mag dahinter die Befürchtung stehen, daß ein allzu offensichtlicher Ausdruck von Gemütsbewegung das Gesicht anonymisiert oder gar zur Grimasse verzerrt, wie es Lessing in seinem Laokoon kritisierte. Allein das Lächeln scheint lizensiert, die ungeschriebene Regel der Neutralität zu durchbrechen. Die Frage wird daher sein, ob wir es bei diesem Lächeln mit einer Form der „Zähmung der Emotionen“ oder mit einem pathognomischen Gemütsausdruck zu tun haben.

20. November 2012
Prof. Dr. Andreas Luckner (Univ. Stuttgart)
Musik – die Sprache der Gefühle?

Schon Platon schrieb über die Musik, dass sie Emotionen zähmen und erregen könne, weswegen ihr auch eine ethisch-politische Bedeutung zukomme. Bis heute ist es gängige Meinung, dass Musik in besonderem Maße Gefühle auszudrücken oder gar zu erzeugen vermag. Aber ist diese Meinung nicht einfach Ausdruck einer „verrotteten Gefühlsästhetik“, wie Eduard Hanslick schon Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb? Kann die Musik wirklich als ‚Sprache der Gefühle’ verstanden werden und wenn ja, in welchem Sinne?

4. Dezember 2012
Prof. Dr. Reinhard Krüger (Univ. Stuttgart)
Katharsis und „klassische Dämpfung - Aristokratische Emotionsregulierung in Sprache, Mimik und Gestik im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts

Eine der wesentlichen Leistungen der frühneuzeitlichen Gesellschaft besteht in der Integration verschiedenster sozialer Klassen unter der politischen Hegemonie der Krone. Dazu werden Habitus-Modelle entwickelt, wie das der courtoisie und der honnêteté, die als Verhaltensmuster von den kulturellen Eliten propagiert und als allgemeinverbindlich durchgesetzt werden. Da diese Habitus-Modelle unterschiedliche soziale und politische Interessen überdecken sollen, war es erforderlich, daß vor allem der Ausdruck von Emotionen im Sinne eines als gesellschaftlich akzeptablen Maßes moduliert wird.

15. Januar 2013
Prof. Dr. Renate Brosch (Univ. Stuttgart)
Weibliches Leiden – Männliche Leidenschaft. Zur Geschlechtercodierung der Gefühle im viktorianischen Zeitalter.

Kaum etwas erscheint gegenwärtig selbstverständlicher als dass zur Geschlechterdifferenz wesentlich auch emotionale Differenz gehört. Dass Frauen emotional-sensibler und Männer rational-technischer seien, ist ein tief verankerter kultureller Gemeinplatz. Jedoch ist längst wissenschaftlich bekannt, dass dieses traditionelle Geschlechterarrangement lediglich ein Produkt des bürgerlichen Zeitalters ist. Das 19. Jahrhundert entwickelte eine Vielzahl proliferierender Emotionsdiskurse, die im Wesentlichen auf Emotionskontrolle hinausliefen. Der Vortrag wird anhand von expositorischer Prosa, Bildern und Romanen zeigen, wie diese Diskurse Frauen emotionalisierten und gleichzeitig die Grenzen schicklicher Emotionalität aufzeigten.

29. Januar 2013
Dr. Ingrid Vendrell Ferran (Univ. Marburg, Inst. f. Philosophie)
Imagination, Gefühl und fiktionale Welten. Sind unsere emotionalen Reaktionen auf Fiktionen simuliert?

Eine der zentralen Fragen der heutigen analytischen Ästhetik beschäftigt sich mit der Psychologie der Fiktionskonsumenten, insbesondere mit der Natur und Möglichkeit emotionaler Reaktionen in Bezug auf Fiktionen. Bei den verschiedenen Blickwinkeln, aus welchen diese Frage zu behandeln ist, wird uns in dem Vortrag die Rolle der Imagination als roten Faden dienen. Der Vortrag ist in drei Teile gegliedert: zunächst werden verschiedene Lösungsansätze vorgestellt, danach soll dem Simulationsmodell besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden und schließlich wird eine alternative Perspektive hinsichtlich der Imagination bei unserer Beschäftigung mit Fiktionen näher betrachtet.

5. Februar 2013
Dr. Isabel Dziobek (Freie Universität Berlin, Cluster Languages of Emotion)
Erkennen und Inferieren von Emotionen bei typischer und gestörter Entwicklung: vom Gehirn zur Intervention

Das akkurate Erkennen von Emotionen Anderer ist ein wichtiger Prädiktor für sozialen Erfolg. Wie aber lesen wir die Emotionen unserer Mitmenschen, welche Rolle spielt das Gehirn und können wir diese Fähigkeit trainieren? Der Vortrag wird diese Fragen anhand von empirischen Untersuchungen an Menschen mit typischer und gestörter Entwicklung erörtern.

Kontakt

Christian Winkle

Univ. Stuttgart, Hist. Inst., Abt. Alte Geschichte
Keplerstr. 17 (K II, 8), 70174 Stuttgart

Christian.Winkle@hi.uni-stuttgart.de

http://www.izkt.de/index.php/cat/89