Conditio animalis: Platz, Status und Repräsentation des Tieres in der Gesellschaft

Conditio animalis: Platz, Status und Repräsentation des Tieres in der Gesellschaft

Veranstalter
trajectoires, Centre Interdisciplinaire d'Études et de Recherches sur l'Allemagne (CIERA)
Veranstaltungsort
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
20.03.2013 -
Deadline
20.03.2013
Von
trajectoires Redaktionskomitee

Call for Papers für die 7. Ausgabe von trajectoires

Die breite mediale Trauer um den Tod des Berliner Eisbären Knut, die Petitionen gegen die Schlachtung der Elefanten des Lyoner Zoos, der Vorschlag des Anthropologen Volker Sommer, Menschenaffen Grundrechte zuzugestehen, sowie die Vegetarismusdiskussionen in Deutschland und Frankreich bezeugen die zunehmenden Debatten über den Platz und die Rechte der Tiere in der heutigen Gesellschaft.

Auch in der akademischen Welt wird die Rolle der Tiere immer stärker thematisiert. Seit dem 1975 erschienenen, kontrovers diskutierten Werk von Peter Singer, Animal Liberation, haben sich die Forschungsansätze kontinuierlich ausgeweitet und die Reflexionen über Tiere in den Geistes- und Sozialwissenschaften verankert. Der „Animal Turn“, der vor allem in der angelsächsischen Forschung beheimatet ist, greift dabei auf Ansätze zurück, die in der Wissenschaft eine lange Tradition haben: So lang die Geschichte der „Wissenschaften vom Mensch und der Gesellschaft“ zurückreicht, wurde das Tier als Zerrspiegel menschlicher Stärken und Schwächen oder als Gegenstand einer irreduziblen Alterität angeführt.

Die Fragestellungen der heutigen Forschung verfolgen unterschiedlichste Ansätze an der Schnittstelle zwischen Natur- und Sozialwissenschaften. Ihnen gemein ist, dass sie die üblichen Vorstellungen darüber zurückweisen, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Vor allem die Dichotomie zwischen dem Menschen als aktivem und rationalem Subjekt und dem Tier als passivem und irrationalem Objekt wird permanent hinterfragt1. Dies wirft z.B. Fragen der Ethik auf, die über deren traditionelles Forschungsfeld, das Recht und die Philosophie, hinausreichen und geschichtswissenschaftliche, politikwissenschaftliche oder auch geografische Standpunkte einbeziehen.

In den Geschichtswissenschaften geht die aktuelle Tendenz dahin, das Tier als „Instrument“, als „Arbeiter“ oder „Akteur“ der Geschichte zu etablieren2 – vom Lasttier bis zum Pferd in der Schlacht3. Für die Politikwissenschaften hat Christophe Traïni in mehreren Artikeln den Tierrechts-Aktivismus analysiert und daran die weitgreifende politische Dimension des Tierrechts belegt4. Auch in den Arbeiten von Catherine Rémy stehen ethische Fragen im Mittelpunkt, und zwar insbesondere der veränderte Status des Tieres, den sie Beispiel von Transplantationen tierischer Organe in den menschlichen Körper problematisiert5.

Ein weiteres Forschungsfeld besteht in der Auseinandersetzung mit dem Raum des Tieres in der Gesellschaft. Xavier de Planhol beispielsweise hat eine umfassende Pionierstudie zur „historischen Zoogeografie“ vorgelegt, die sich insbesondere dem Raum, der „Großtieren“ zugestanden wird, in einer diachronen Perspektive nähert6. Unter dem Einfluss postmoderner und postkolonialer Theorien hat die Geografie ihrerseits die räumlichen Wechselbeziehungen zwischen Tier und Mensch in den Blick genommen und dabei besonders jenen „Dispositiven“ Aufmerksamkeit geschenkt, die das Tier in seinem gesellschaftlichen Kontext in Szene setzen7.

Schließlich tragen auch Kunst und Literatur dazu bei, den Tieren Handlungen, Gedanken und eine eigene Stimme zuzuschreiben, und darüber eine spezifisch „tierische“ Ästhetik zu produzieren, die die beständige Spiegelung menschlicher und tierischer Verhaltensweisen zum Ausdruck bringt. Von Äsop bis zu George Orwell wird die Literatur, aber mit ihr auch die bildenden und plastischen Künste, das Theater und die Musik mobilisiert, um die Tiere im kollektiven Imaginären zu verorten8. Das Tier vermag dabei bald als Gehilfe oder Gottheit, bald als Verkörperung des Bedrohlichen oder Monströsen zu figurieren9.

Das Themendossier der siebten Ausgabe von trajectoires hat sich zur Aufgabe gemacht, einen interdisziplinären Beitrag zu der Ergründung des Verhältnisses zwischen Tier und Gesellschaft zu leisten. Wir suchen deswegen Beiträge, die sich mit zentralen Fragen der Tierforschung auseinandersetzen – ausgehend von Fallbeispielen oder von empirischen, theoretischen oder literarischen Materialien. Wir begrüßen dabei Zusendungen, die eine kontrastive Untersuchung zwischen den deutschsprachigen und französischsprachigen Forschungsansätzen vornehmen. Mögliche Untersuchungsfelder – neben vielen anderen – wären etwa 1) die künstlerische, soziale oder philosophische Repräsentation des Tieres, 2) Facetten des Tierschutzes (in der Kunst, durch soziales Engagement, Wissenschaften etc.) oder 3) Rolle und Bedeutung des Tieres in der Geschichte und in verschiedenen geografischen Kontexten.

Die Artikelvorschläge in französischer oder deutscher Sprache (nicht länger als 5000 Zeichen, inkl. Leerzeichen) sollten die Fragestellung, die Methode, den Korpus/ das Terrain und die zentralen Argumente deutlich machen. Wir bitten um Zusendung bis zum 20. März 2013 an die Redaktion (trajectoires@ciera.fr). Die ausgewählten Beiträger/innen werden bis zum 31. März benachrichtigt; der Abgabetermin für die Artikel ist der 1. Juli 2013. Die Beiträge werden anschließend in einem doppelten Peer-review-Verfahren begutachtet. trajectoires, revue de jeunes chercheurs du Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne (CIERA), wird auf dem Portal Revues.org: http://trajectoires.revues.org/index.html veröffentlicht.

1 Derrida, Jacques (2010): Das Tier, das ich also bin. Wien (Passagen Verlag); Agamben, Giorgio (2003): Das Offene. Der Mensch und das Tier. Frankfurt (Suhrkamp); Haraway, Donna (1995): Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt (Campus Verlag).
2 Baratay, Eric (2012): Le point de vue animal, une autre version de l’histoire. Paris (Seuil).
3 Pöppinghege, Rainer, Hg. (2009): Tiere im Krieg. Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn (Schöningh).
4 Traïni, Christophe (2010): „Dramaturgie des émotions, traces des sensibilités. Observer et comprendre des manifestations anti-corrida“, in: ethnographiques.org, 21 [Internetpublikation: http://www.ethnographiques.org/Dramaturgie-des-emotions-traces].
5 Rémy, Catherine (2010): „Qui est le plus humain? La disponibilité des corps de l’homme et de l’animal pour la transplantation d’organes“, in: Politix, 2, S. 47-69.
6 Planhol, Xavier de (2004): Le paysage animal. L'homme et la grande faune: une zoogéographie historique, Paris (Fayard).
7 Estebanez, Jean, Jean-François Staszak (2012): „Animaux humains et non-humains au zoo. L’expérience de la frontière animale“, in: Dubied A., D. Gerber et J. Fall, Hg.: Aux frontières de l’animal. Mises en scènes et réflexivité, Genève (Droz), S. 149-174; Estebanez, Jean (2010): „Le zoo comme dispositif spatial: mise en scène du monde et de la juste distance entre l’humain et l’animal“, in: L’Espace Géographique, 2, S. 172-179.
8 Bodenburg, Julia (2012): Tier und Mensch : zur Disposition des Humanen und Animalischen in Literatur, Philosophie und Kultur um 2000 . Freiburg (Rombach).
9 Pastoureau, Michel (2011): Bestiaires du Moyen Âge. Paris (Seuil).

Programm

Kontakt

Anne Seitz
Centre interdisciplinaires d'études et de recherches sur l'Allemagne (CIERA) für das trajectoires Redaktionskomitee <trajectoires@ciera.fr>

http://trajectoires.revues.org/