In seinem Forschungsprojekt Homo sacer stellt der italienische Gegenwartsphilosoph Giorgio Agamben die These auf, daß das dominierende Phänomen des 20. Jahrhunderts die Rückführung des Menschen auf einen biologischen Nullwert ist: Das nackte Leben wird zum eigentlichen Gegenstand der Moderne. Sie zeichnet sich durch immer ausgreifendere politische Machttechniken des Verfügens über Leben und Tod, als absolute Vereinnahmung des Subjekts durch Macht aus. Diese Biopolitik (Michel Foucault) bestimmt durch Macht und Kontrolle, ob und wie das einfache, nackte Leben als ein gelungenes Leben in ein Gemeinwesen überführt werden kann.
Ihre Kontrollmacht gehorcht dem Prinzip des Ausnahmezustandes. Denn das einfache, nackte Leben ist das rechtlich ungeschützte, nur dem Souverän verfügbare Leben.
Die Deklaration des Ausnahmezustands wird aus einem Notstand heraus als Recht begründet, ist aber selbst als Rechtsnorm unterbestimmt.
Diese Unterbestimmtheit ist die Voraussetzung, den Ausnahmezustand als eine zur Regel gewordene weitere Machttechnik einzusetzen.
Am deutlichsten tritt die Verknüpfung »Ausnahmezustand, Macht und nacktem Leben« als Kennzeichen der Moderne in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten zu Tage.
In Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge versucht Agamben, Sinn und Möglichkeit des Zeugnisses zu erklären. Ausgangspunkt ist die Frage nach der Instanz des Zeugen. Wie können diese für die Vernichteten sprechen? Wie können Sie Zeugnis über die Vernichtung ablegen, obwohl sie diese Erfahrung selbst nicht gemacht haben?
Auch in den gegenwärtigen Flüchtlingslagern sei es in Griechenland, Italien oder Frankreich wie in Asylbewerber-"Heimen" sind Techniken der Biopolitik und des Ausnahmezustandes virulent, die Menschen auf ihr nacktes Leben reduzieren und damit reiner Willkürherrschaft unterwerfen.
Diese Grenzerfahrungen berühren unmittelbar die menschliche Existenz. Es sind die Menschen, die auf einen biologischen Nullwert reduziert werden, indem sie auf die Grenze gestellt wurden. Dort, wo Recht und Tat, Regel und Ausnahme, Leben und Tod ununterscheidbar werden.
Aber wie kann ein Mensch, der alles verloren hat, außer seinem Leben, noch Zeugnis vom Humanen ablegen?
Die Tagung setzt sich zum Ziel, die Voraussetzungen dieser politischen Machttechniken, die zur Ausgrenzung, Wegsperrung und Tötung vieler Menschen führen und geführt haben, zu analysieren. Die Tagung wird epistemologisch wie wissenssoziologisch zu ergründen versuchen, wie in der Grauzone des Nichtmenschlichen Zeugnis vom Humanen abgelegt werden kann.