Eine der zentralen Auseinandersetzungen um die "Modernisierung" des Gesundheitswesens seit den 1990er Jahren betrifft die Rolle privater Akteure auf dem wachsenden Markt der Gesundheitsökonomie. Dabei geht es um veränderte Formen der Versorgungsstrukturen, die insbesondere mit den Begriffen der "Effizienz" und "Wettbewerbsfähigkeit" diskutiert wurden. Der Workshop möchte Zeithistoriker, Sozialwissenschaftler und Gesundheitsökonomen zusammenbringen, um über Voraussetzungen, Formen und Folgen der Ökonomisierung und Privatisierung von Gesundheit von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart zu diskutieren - und damit die gegenwärtigen Auseinandersetzung in europäisch-transnationaler Perspektive stärker historisch zu verorten.
Mindestens drei Themenfelder kommen dafür in Betracht, für die wir Vortragende der o.g. Disziplinen gewinnen möchten:
1. Privatisierung und Staatlichkeit: Wie wirkt sich Privatisierung auf Vorstellungen von Staatlichkeit aus und inwiefern bedingt der Wandel von Staatlichkeit Privatisierung? Gesundheit ist ein Politikfeld, auf dem grundsätzliche Fragen sozialer Ordnung ausgehandelt werden - Fragen nach dem Allgemeinwohl und sozialen Zusammenhalt, nach Bedrohung und Schutz der Gesellschaft, Schutz-, Fürsorge- und Vorsorgepflicht des Sozialstaats, Mündigkeit und Eigeninitiative des Einzelnen, wie sie zuletzt im Präventionsgesetz der Bundesregierung diskutiert wurden. Welche Rolle spielte der öffentliche Gesundheitsdienst für die individuelle Gesundheit, welche die gesetzlichen und privaten Krankenkassen und welche die wachsende Pharmaindustrie? Wie prägten die wachsende Zahl an nicht-staatlichen (Selbsthilfe-) Organisationen das Bild von Krankheit und Gesundheit und von der Zukunft der Gesundheitspolitik? Welchen Stellenwert hatte beispielsweise das Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen für den Umgang mit Krankheiten oder mit Behinderung?
2. Erfahrungsräume, Erwartungshorizonte und Praktiken: Eng mit dem staatlichen und gesellschaftlichen Wandel verbunden sind Veränderungen von Erwartungshaltungen und Wahrnehmungsmustern auf individueller Ebene. Wie verändern sich Vorstellungen von Gesundheit im Zuge der Privatisierung, wie verändern sich Erwartungen an die Gesellschaft und an sich selbst? In welchem Zusammenhang stehen beispielsweise neue "Techniken des Selbst" zur Optimierung der individuellen Gesundheit mit einer Privatisierung des Gesundheitswesens? In dieser Perspektive ließe sich der Wandel von Patientenbildern ebenso untersuchen wie Veränderungen des Erfahrungsraums "Krankenhaus" oder von Arzt-Patienten-Beziehungen. Weiterhin könnten Vorträge die Ärzte selbst, ihre Wahrnehmung privater Steuerungsversuche in den Blick nehmen oder die Sprache und Praktiken von Gesundheitsökonomen und Verwaltungsexperten, die den Privatisierungsprozess zu steuern versuchen.
3. Privatisierte Arbeitswelten: Inwiefern veränderten sich mit der Privatisierung soziale Hierarchien, Arbeitsverhältnisse und Aufgabenfelder im Gesundheitsbereich oder ganze Berufsbilder? Was geschah beispielsweise mit den ehemals konfessionellen Nonnen und Diakonissinnen? Wie veränderten sich Ansprüche und Tätigkeitsfelder im Gesundheitsbereich? Gab es einen Wandel von einem caritativ-spirituellen "Dienst an der Gesellschaft" zu einem "Dienst am Unternehmen"? Wie wurden und werden in diesem Markt "gerechte Löhne" ausgehandelt und welche Rolle spielten Gewerkschaften, beispielsweise in den neu entstehenden Gesundheitskonzernen?
Wir bitten um Zusendung eines kurzen Vortragsvorschlags (im Umfang von nicht mehr als fünfhundert Wörtern) sowie um ein Kurz-CV der Vortragenden per Mail (m.thiessen@uni-oldenburg.de) bis zum 30. Juli 2013. Der Workshop wird vom 19. bis 20. März 2014 in Oldenburg stattfinden. Er wird gemeinsam organisiert von Dietmar Süß (Universität Augsburg), Winfried Süß (ZZF Potsdam/Universität Wuppertal) und Malte Thießen (Universität Oldenburg). Fahrt- und Übernachtungskosten der Vortragenden können übernommen werden.