Die industrielle Infrastruktur auf dem Territorium des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt hat im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts mehrfach ihr Gesicht und ihre Gewichtung verändert. Ein wesentlicher Innovations- und Expansionsschub erfolgte im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des Ersten Weltkriegs bzw. in diesem selbst. Die vielbeschworene „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts erforderte einen grundlegenden Um- und Ausbau kriegswirtschaftlich relevanter Industrien, nicht zuletzt des bergbaulichen und chemischen Sektors. Dies begründete ebenfalls neue energiewirtschaftliche Anstrengungen – berührte jedoch außerdem die Konsumgüterindustrie sowie vor allem die regionale Landwirtschaft.
Der wirtschafts- und industriegeschichtlich rekonstruierbare Wandel des damaligen Wirtschaftslebens führte zu massiven sozialen Umbauten in der spätwilhelminischen und frühen weimarrepublikanischen Gesellschaft. Neue Industrien brachten neue Menschen in die Region und überprägten schrittweise das überkommene Selbstbild der angestammten Einwohnerschaft.
Trotz der nachweislich großen nationalen Bedeutung des mitteldeutschen Industriereviers und seiner Expansion zwischen 1914 und 1918, sowie in den unmittelbaren Folgejahren, sind diese Prozesse bisher in der Forschung kaum systematisch behandelt, die regionale Archivlandschaft kaum befragt worden.
Das Wissen um die Prozesse des gesellschaftlichen Umbaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist äußerst lückenhaft und oftmals nur hochspezialisierten Forschern bekannt. Das Kolloquium wird Spezialisten und Spezialistinnen zusammenführen, um im Austausch zu ermitteln, was man über das „Wachstum aus der Katastrophe“ bisher weiß und – vor allem - wo die Desiderate für künftige Forschungen liegen.
Teilnehmer:
Prof. Dr. Silke Satjukow, Prof. Dr. Mathias Tullner, Dr. Monika Gibas, Dr. Justus H. Ulbricht, Marina Franke, Steffen Dobbin (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Institut für Geschichte), Uwe Holz, M. A. (Direktor des Filmmuseums Wolfen), Dr. Peter Löhnert (Historiker, Betriebsgeschichte der Filmfabrik Wolfen) Prof. Thomas Martin, Prof. Klaus Krug (Verein Sachzeugen der chemischen Industrie, Merseburg), Dr. Harald Kegler (Labor für Regionalplanung, Dessau) Danny Könnicke, Dr. Rosemarie Knape (Erlebniswelt Museen, Mansfelder Land), Gerhard Unger (Technikmuseum Magdeburg), weitere Teilnehmer aus den Landeshauptarchiven Magdeburg und Dessau.