In jüngster Zeit mehren sich Stimmen, die eine Rückbesinnung auf die Wahrheit als Bezugspunkt einer neuen wissenschaftlichen und politischen Ernsthaftigkeit fordern. Sie tun dies zumeist in kritischer Distanznahme zu postmodernen Epistemologien, die den Code von ‚wahr‘ und ‚falsch‘, indem sie ihn nur als Effekt von Machtkalkülen und rhetorischen Strategien verhandelten, in relativistische Fragen nach Deutungshoheiten aufgelöst hätten. Der gemeinsame Nenner dieser Positionen scheint die Berufung auf eine – freilich als solche weder explizierte noch einheitlich konzipierte – Praxis des Umgangs mit der Wahrheit zu sein. Unbefragt bleibt dabei, daß sich schon auf der Ebene diskursiver Verhandlungen zeigt, wie verschiedene Szenarien, beteiligte Personen, kommunikative Praktiken und theoretische Reflexionshorizonte immer wieder eigene Formen dessen hervorbringen, was als Wahrheit in Anspruch genommen oder Kritik unterworfen wird. Dennoch fehlt bislang weitgehend ein kulturwissenschaftlich handhabbares analytisches Vokabular, um unterschiedliche Formen des Vollzugs von Wahrheit näher zu beschreiben. Um der Dynamik und Variabilität von Wahrheit gerecht zu werden, möchten wir für unseren Workshop vorschlagen, sie praxeologisch zu untersuchen: im Sinne eines situativ gebundenen "doing truth". Orientieren wollen wir uns dabei an einer heuristischen Unterscheidung von Wahrheitsszenen, Wahrheitsfiguren und Wahrheitstheorien, anhand von deren Zusammenwirken sich – so unsere Hoffnung – die Herausbildung bestimmter Wahrheitskulturen beschreiben läßt.