„Vom Cheder zum Campus. Jüdische Bildung in Südwestdeutschland“ heißt die ganztägige Veranstaltung in Haigerloch am Sonntag, 13. Oktober. Sie verbindet regional-, religions- und bildungshistorische Aspekte zur jüdischen Geschichte bis in die Gegenwart. Acht Referentinnen und Referenten geben in ihren Vorträgen einen Überblick über ihre Forschungsergebnisse zur jüdischen Bildung. Der Bildungsauftrag im Judentum leitet sich unmittelbar aus den biblischen Vorschriften ab und hat in der jüdischen Kultur seit Jahrtausenden einen außerordentlich hohen Stellenwert.
Eine der profundesten Forscherinnen zur deutsch-jüdischen Sozial- und Alltagsgeschichte, Professorin Dr. Monika Richarz gibt in ihrem Einführungsvortrag einen Überblick über die Entwicklung der jüdischen Bildung in Deutschland vom 18. bis ins 20. Jahrhundert. Welchen Stellenwert hatte die Bildung von Mädchen und woher kam die überdurchschnittliche Verbreitung akademischer Bildung im jüdischen Bürgertum?
Der württembergische Landesrabbiner Netanel Wurmser wird nachweisen, dass die Hochachtung von Bildung schon in den heiligen Schriften gefordert wird. Als Leiter der Religionsschule der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs berührt sein Vortrag auch die aktuelle Lehr- und Lernsituation in der jüdischen Gemeinde der Landeshauptstadt.
Im dritten Vortrag am Vormittag stellt der Historiker Helmut Gabeli aus Haigerloch die neuesten Forschungsergebnisse zu den jüdischen Elementarschulen in Haigerloch und Rexingen vor. Beide Schulen hatten in Hohenzollern und Württemberg in der NS-Zeit den längsten Bestand.
Nach der Mittagspause spricht Carsten Kohlmann, Leiter des Stadtarchives in Schramberg, über das Rabbinat im Schwarzwaldkreis. Viele gelehrte Rabbiner aus namhaften askenasischen Dynastien haben dem in Mühringen angesiedelten Rabbinat vorgestanden, bis es 1913 nach Horb verlegt und schließlich der letzte Rabbiner Dr. Abraham Schweizer in Treblinka ermordet wurde.
Die Horber Schülerin Allison Schmitz hat für eine Seminararbeit im Fach Geschichte die Situation der jüdischen Volksschule in Rexingen während der Zeit des Nationalsozialismus erforscht. War es möglich, die Kinder und Jugendlichen trotz der feindseligen, ausgrenzenden Umgebung zu selbständigen und selbstbewussten Menschen zu erziehen? Als Schülerin ist die Referentin selbst noch sehr nahe am Thema.
Professor Dr. Wilfried Setzler aus Tübingen spricht über die Haltung der Universität Tübingen gegenüber jüdischen Studenten und Professoren im 19. Jahrhundert. Wie waren die Lebens- und Lernbedingungen für Juden in der Universitätsstadt und die Beziehungen der Lehrer und Lernenden untereinander? Aus welchen sozialen Schichten stammten die jüdischen Studenten? Das sind einige der Fragen, die im Vortrag erörtert werden.
Ulrike Baumgärtner, Historikerin aus Tübingen, untersucht in ihrem Referat eine typische jüdische Bildungskarriere im 19./20 Jahrhundert am Beispiel von Simon Hayum. Der jüdische Rechtsanwalt und Tübinger Kommunalpolitiker steht für den Aufstiegswillen der neuen Generation jüdischer Bürger in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Der Abschlussvortrag von Dr. Martin Ulmer, Kulturwissenschaftler und Historiker in Tübingen, beschäftigt sich mit der Entwicklung der jüdischen Bildung und Erziehung nach der Shoa ab 1945. Die erste Talmud-Tora-Schule wurde bereits 1946 im Stuttgarter DP-Lager eingerichtet. Wie es gelungen ist, bis heute ein blühendes jüdisches Bildungswesen in Stuttgart wieder zu erschaffen, ist das Thema des Referates.
Die Tagung findet ihren Abschluss in einem Podiumsgespräch unter dem Titel „Warum wird jüdische Bildung heute gebraucht?“ Staatsministerin Silke Krebs, Prof. Dr. Monika Richarz, Barbara Traub von der IRGW in Stuttgart und die Vorsitzende des Landesschulbeirats Ingeborge Schöffel-Tschinke unterhalten sich mit der Moderatorin Sibylle Thelen von der Landeszentrale für politische Bildung in Stuttgart über verschiedene Bildungskonzepte und fragen, inwiefern die Philosophie des „lebenslangen jüdischen Lernens“ für die heutige, auch in der Bildung auf Effizienz getrimmten Gesellschaft, Denkanregungen geben könnte.