Bündnisse. Politische und intellektuelle Allianzen im Jahrhundert der Aufklärung

Bündnisse. Politische und intellektuelle Allianzen im Jahrhundert der Aufklärung

Veranstalter
Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts (DGEJ); Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts (OGE 18)
Veranstaltungsort
Universität Passau
Ort
Passau
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.09.2014 - 17.09.2014
Deadline
31.10.2013
Von
Johannes Süßmann

Bündnisse bilden ein Charakteristikum von Politik, Gesellschaft und Geistesleben des 18. Jahrhunderts. Denn Bündnisse beruhen auf einer Wahl: Sie sind im Grundsatz mehr oder minder freiwillig eingegangene Beziehungen. Das unterscheidet sie von den Ständen, Korporationen, Konfessionsparteien als den Sozialformen, in die man sich aufgrund des eigenen Herkommens, Geschlechts, Lebensalters und Bekenntnisses, der Tätigkeit und Bildung ohne eigenes Zutun gestellt sah. So dynamisch viele Lebensläufe im 18. Jahrhundert verliefen, auf jeder Etappe fand man sich in einem Stand wieder, der als gegeben vorgestellt wurde und Eingliederung verlangte. Das standesgemäße Verhalten war eine Pflicht, der man sich nur um einen hohen Preis entzog.
Bündnispartner wählen zu können, eröffnete hingegen einen Freiraum und versprach Gewinn. Es brachte Dynamik in die ständisch-korporative Ordnung, denn viele Bündnisse wurden um des Fortkommens und der Statusverbesserung willen geschlossen. Dieser Aspekt gehört auch zu den zahlreichen Gelehrtengesellschaften und Dichterbünden, die für die deutsche Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts prägend wurden, von den ‚Deutschen Gesellschaften‘, die Gottscheds Reformvorstellungen verbreiten sollten, über die Freundschaftsbünde der Anakreontiker in Halle oder der Stürmer und Dränger in Göttingen bis zum Jenaer Romantikerkreis. Denn sie dienten dazu, neue Prinzipien zur Geltung zu bringen und über den eigenen Kreis hinaus durchzusetzen.
Das heißt zugleich: Bündnisse sind grundsätzlich prospektiv angelegt. Ihre Zwecke liegen in der Zukunft. Nicht selten wird in der gleichzeitig entstehenden Öffentlichkeit mit Manifesten für diese Zwecke geworben. Im Gegensatz zu den Ständen, die sich von der Schöpfung, Natur und Tradition herleiteten, ihre Verhaltensnormen also am Gegebenen orientierten, leben Bündnisse von Erwartungen und lenken den Blick auf das Kommende. Vorteilsstreben für sich und die eigene Gruppe verbindet sich mit dem Versuch, die Ungewissheit der Zukunft vorausschauend-planerisch zu gestalten. Daher folgen Bündnisse einer Rationalität der partikularen Interessenverfolgung und des Kalküls, die sich ebenfalls grundsätzlich von den gemeinwohlorientierten Wertrationalität der Ständeordnung unterscheidet.
All diese Kennzeichen verschafften der alten Sozialform des Bündnisses im 18. Jahrhundert besondere Konjunktur. Selten wurde sie so offensiv praktiziert, selten auf alle Bereiche menschlichen Zusammenlebens ausgedehnt, selten so positiv reflektiert – in den Gesellschaftsvertragstheorien erklärte man sie zur Grundlage von Sozialität überhaupt. Die Tagung geht von der Annahme aus, dass Bündnisse im 18. Jahrhundert eine entscheidende Transmissionsfunktion übernahmen: Was bis dahin residual beschränkt geblieben und vorwiegend als unchristlich-amoralische Interessen-„Politik“ gebrandmarkt worden war, entwickelte sich durch Aufwertung und Universalisierung zum Modell einer unaggressiven Emanzipation von familiär-ständisch-konfessioneller Verhaltenssteuerung. Dadurch sind Bündnisse zum Wegbereiter der bürgerlichen Gesellschaft geworden.
Eine Vorreiterrolle fiel dabei dem Handeln derjenigen zu, die zuerst in Frankreich verächtlich als « politiques » bezeichnet wurden. Ihnen kam – gegen die Zumutungen der konfessionellen Parteinahme – ein politisches Denken zuhilfe, das zahlreiche Argumente aufbot, um anstelle des geforderten christlichen, gerechten und guten Handelns ein interessegeleitet-strategisches zu rechtfertigen. Wenn Wertrationalität unter den Bedingungen fundamentaler Glaubens- und Verfassungskonflikte in den Bürgerkrieg führt, vermag nur das harte Nutzenkalkül ein Minimum an Berechenbarkeit, Sicherheit und politische Stabilität zu gewährleisten – darauf lief das Denken von Machiavelli über Bodin bis zu Hobbes und Pufendorf hinaus, das der Politik eine Eigenlogik zugestand und auf dem die Gesellschaftsvertragstheorien des 18. Jahrhunderts aufbauten. Mit den westfälischen Friedensverträgen war die freie Bündniswahl zum entscheidenden Kennzeichen von Souveränität geworden, als Recht der Politik europaweit anerkannt. Trotzdem wirkte es wie ein Schock, als Österreich in den 1750er-Jahren Ernst damit machte und sich im « renversement des alliances » gegen den neuen Rivalen Preußen mit dem alten Erzfeind Frankreich verband. Das Skandalon, das die Beziehungen zur Habsburger Klientel erheblich belastete, zeigt, wieviel Widerstand das neue Prinzip selbst in der Politik provozierte, dem Inbegriff der Beweglichkeit.
Erst recht galt seine Übertragung auf das zivile Leben und den geselligen Umgang der Menschen als problematisch. Obwohl mit den Gesellschaftsvertragstheoretikern, den Verfechtern ethisch für neutral erklärter Klugheitslehren, Anthropologen und Rechtsphilosophen ganze Disziplinen daran arbeiteten, den Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag über seine Wirkung zu rechtfertigen: nämlich einen Schutzraum für das Streben nach Glückseligkeit zu schaffen, erschien ein individuelles, allein auf persönliche Nutzenmaximierung gerichtetes Handeln zumindest den deutschsprachigen Aufklärern lange Zeit unvorstellbar. Auf vielfältige Weise suchte man das Eingehen und Wechseln von Allianzen sozial einzuhegen, in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen oder aus der freiwilligen Verbindung das Ethos einer neuen Verbindlichkeit herzuleiten (‚Freundschaft‘).
Das heißt: Praxis und Reflexion der Allianzen bewegten sich im 18. Jahrhundert in einem Spannungsfeld zwischen zwei Polen. Von der einen Seite stieß sie auf die Kritik der ständisch-korporativ-konfessionellen Gemeinschaftsverpflichtungen, auf der anderen Seite hatte sie sich vor der Erwartung zu rechtfertigen, über das persönliche Vorteilsstreben hinaus ein neues soziales Ganzes zu begründen. Wie und wozu man unter diesen Bedingungen Bündnisse schloss und begründete, wie man über sie dachte und sie darstellte, das sind die Fragen, die auf der Tagung auf verschiedenen Ebenen diskutiert werden sollen.
Drei große Fragenkomplexe ergeben sich aus diesem Aufriss von selbst:
1. Bündnisse sind höchstwahrscheinlich eine universalhistorische Erscheinung. Von den Anfängen der historiographischen Überlieferung bis zur Gegenwart ist kein Zeitalter bekannt, in dem sie nicht von größter Bedeutung waren. Jedoch gewinnen sie im 18. Jahrhundert eine neue Qualität. Keine andere Epoche hat Bündnisse oder allgemeiner formuliert: freiwillig eingegangene Geselligkeit, zur Grundlage von Sozialität überhaupt erklärt. Keine andere Epoche hat damit sämtliche Sozialbeziehungen von Bündnissen abgeleitet bzw. an ihnen zu messen versucht. Diese Konjunktur des Bündnis-Begriffs bedarf der Erklärung.
Auf der Tagung sollen unterschiedliche Fallbeispiele für Bündnisse und ihre Reflexion im 18. Jahrhundert daraufhin untersucht werden, was in dem jeweiligen Kontext das Interesse an Bündnissen begründete. Worin gingen Bündnisse über andere Sozialbeziehungen hinaus? Welche spezifischen Leistungen erhoffte man sich gerade von Bündnissen im Gegensatz zu anderen Sozialbeziehungen? Und wurden diese Erwartungen eingelöst?
2. Die Begeisterung der Aufklärer für Bündnisse strandete an den ideologischen und machtpolitischen Polarisierungen des Revolutionszeitalters. Die Romantiker machten den aufklärerischen Sozialphilosophen zum Vorwurf, dass ihre Gesellschaftsvertragstheorien den einzelnen bzw. die einzelne verabsolutierten und die sie bedingende, ihnen vorausliegende Sozialität nicht in den Blick bekämen. Spätestens durch Hegel wurde dieser Vorwurf zum allgemein akzeptierten Verdikt. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts trug es zur Diskreditierung aufklärerischer Gesellschaftsmodelle bei. Diese polemische Front¬stellung hat lange Zeit verdeckt, dass auch viele Aufklärer schon über die Bedingun¬gen und Grenzen der aus strategischen Interessen eingegangenen Sozialbeziehungen nachdachten; dass sie auf mannigfache Weise darüber hinausgingen; dass vielleicht gerade in diesen Bestrebungen Ansätze für eine heutige Theorie der Weltgesellschaft liegen.
Zu nennen ist hier beispielsweise das Theorem der “private vices, public benefits”, allgemein ausgedrückt die Theorie der „unsichtbaren Hand“ – also derjenigen Prinzipien, die hinter dem Rücken der Beteiligten selbstsüchtige Interessenverfolgung in gemeinen Nutzen verwandeln. Weiterhin zu nennen ist die „Ökonomie von Gut und Böse“: die vielfältige Theoretisierung von „ethischen Gefühlen“ (nicht nur bei Adam Smith). Weit mehr als eine Ideologiekritik der Moral ging es darin um eine Neubegründung von Gemeinwohlbezügen, die der selbstbestimmten Interessenverfolgung ausdrücklich ihr Recht belassen sollte. Zu nennen sind drittens (und keinesfalls letztens) die vielen Ansätze, durch Zivilität und gutes Benehmen die Schroffheit der egoistischen Interessenverfolgung aufzufangen. Solche selbstreflexiven Überschreitungen der aufklärerischen Bündnisbegeisterung sollen auf der Tagung besonders thematisiert werden.
3. Die Bündniskonjunktur des 18. Jahrhunderts wird in der Forschung als Begleiterscheinung der damals einsetzenden funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft gedeutet. Im literarisch-künstlerischen Bereich beispielsweise gelten sie als ‚mittlere‘ Kommunikationsmilieus, die einerseits Kontakte und Diskussionen unter Gleichgesinnten erleichterten und andererseits den systemischen Selbstbezug sowie Abschluss gegen ‚fremde‘ Anforderungen beförderten. Sie begünstigten die Formulierung von spezifisch ästhetischen Programmen und brachten diese zugleich in die neue Öffentlichkeit.
Entsprechend der interdisziplinären Anlage der Tagung soll über diese Beobachtung hinaus gefragt werden, ob auch Bündnisse zu verzeichnen sind, welche die sich ausbildenden Funktionssysteme miteinander verkoppelten. Macht es Sinn, etwa im Fall der Reputationsgewinne, die die ‚Reformfürsten‘ in Weimar oder Dessau durch die Förderung von Literatur und Künsten erzielten, von Bündnissen zu sprechen? Allgemeiner gefasst: Wo, wann und warum kam es zu politisch-intellektuellen Allianzen, Bündnissen von ‚Macht‘ und ‚Geist‘ oder Kunst? Oder wäre der Bündnis-Begriff, so angewandt, eine bloße Metapher, die irreführende Vorstellungen von Absichtlich- und Ausdrücklichkeit weckt? Wie viel Gleichheit bzw. Gleichartigkeit unter den ‚Verbündeten‘ fordert der Begriff des Bündnisses?

Mögliche Themenbereiche:
- Soziologie des Bündnisses zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft
- Bündnisse in der Politik: Allianzbildung, Diplomatie, Bündniswechsel
- Theorien des Bündnisses zwischen Macht, Moral und Markt von Hobbes bis Adam Smith und Kant
- Bündnisökonomien: Handelsgesellschaften, Versicherungen, Schulden
- Bündnisse im Alltag: Heiratspolitik, Patronage, Klientelismus
- Bündnisse zur Beförderung von Nutzen und Bildung: Sozietäten, „Oeconomische Gesellschaften“, Vereine, Logen, Clubs
- Bündnisse in aestheticis: der Leitautor und seine Entourage (Protegés, Unterstützer usw.); Freundschaft als beanspruchtes Movens der Dichterbünde; Faktoren der Front- und Bündnisbildung (ästhetisch, konfessionell, persönlich); publizistische Instrumente der Interessendurchsetzung
- Kulturen der Vergesellschaftung: Herzensbündnis und Sympathie, Freundschaft, Brüderlichkeit
- Rituale und Ausdrucksformen der Verbundenheit; unterschiedliche Formalisierungsgrade; Geheimbündnisse; das Verhältnis zwischen Binnenkommunikation und (Selbst )Darstellung in der Öffentlichkeit

Zur Teilnahme an der Tagung können sich Wissenschaftler/innen bewerben, die einer der beiden veranstaltenden Gesellschaften angehören, und ebenso andere Forscher/innen aus dem In- und Ausland. Willkommen sind alle Fächer, die zur Erforschung des langen 18. Jahrhunderts beitragen. Behandelt werden können Bündnisphänomene in ganz Europa und darüber hinaus.
Mitglieder der OGE 18 und Forscher aus Österreich richten ihre Bewerbung bitte an: arnulf.knafl@oead.at
Mitglieder der DGEJ und Forscher aus Deutschland richten ihre Bewerbung bitte an: daniel.fulda@germanistik.uni-halle.de und johannes.suessmann@uni-paderborn.de
Nicht-Mitglieder und Forscher aus anderen Ländern richten ihre Bewerbung bitte entweder an den österreichischen oder an die deutschen Veranstalter.
Bewerbungen mit einem Exposee von max. einer Seite Umfang werden bis zum 31. Oktober 2013 erbeten. Vorgetragen werden kann in deutscher, englischer und französischer Sprache.

Programm

Kontakt

Johannes Süßmann

Historisches Institut, Universität Paderborn
Warburger Str. 100, 33095 Paderborn
05251 60 5527
05251 60 3709
johannes.suessmann@uni-paderborn.de

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