Byzanz und der Westen: Politische Interdependenz und kulturelle Missverständnisse

Byzanz und der Westen: Politische Interdependenz und kulturelle Missverständnisse

Veranstalter
WissenschaftsCampus Mainz (Forschungskooperation zwischen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum)
Veranstaltungsort
Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Ernst-Ludwig-Platz 2, 55116 Mainz, Vortragssaal (im Kurfürstlichen Schloss)
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.11.2013 - 23.11.2013
Von
Benjamin Fourlas

Das Jahrtausend zwischen dem Ende des römischen Kaisertums im Westen und der Eroberung Konstantinopels kennt ganz verschiedene Formen, in denen sich das Nebeneinander der beiden aus dem Römischen Reich hervorgegangenen, in sich wiederum vielfach und auf verschiedene Weise differenzierten kulturellen und politischen Räume mit den Gravitationszentren Konstantinopel und Rom äußern konnte: Neben Phasen der Indifferenz, des ein- oder beidseitigen Desinteresses und der gegenseitigen Unkenntnis gab es Versuche des Zusammenwirkens bis zur dynastisch–familiären Verbindung, aber auch stets abrufbares Misstrauen, Rivalitäten und Konflikte bis hin zur Katastrophe von 1204.

Neben ungeschminkten Machtinteressen einzelner Protagonisten sind gerade für die Konflikte zwischen Ost und West immer wieder grundlegende Missverständnisse verantwortlich gemacht worden: So bei den westlichen Reaktionen auf den ostkirchlichen Bilderstreit, die man nicht nur auf Übersetzungsprobleme, sondern auch auf grundlegende Niveauunterschiede zwischen griechischer und lateinischer Theologie zurückgeführt hat. So bei Titulatur- und Protokollfragen zwischen den in ungebrochener römischer Kontinuität stehenden Kaisern des Ostens und den seit dem Jahr 800 ebenfalls an die römische Tradition anknüpfenden Kaisern des Westens. So bei den Kreuzzügen, die nicht zur Annäherung zwischen westlicher und östlicher Christenheit führten, sondern vielmehr zur weiteren Entfremdung. Und auch bei den insgesamt positiv beurteilten, die kulturelle Entwicklung des Westens vielfach befruchtenden kulturellen Rezeptions- und Aneignungsprozessen wird dem Missverständnis große Wirkung zuerkannt, wobei vom oberflächlichen Prunken mit unverstandenen Elementen der griechischen Schriftkultur über die äußerlich bleibende Nachahmung bis zur funktionellen Umwidmung und Simplifizierung komplexer kultureller Artefakte ganz verschiedene Grade und Wirkungsweisen kulturellen Missverstehens in Anschlag gebracht werden.

Insgesamt dürfte aber schon die Vielfalt der religiös-kirchlichen, politischen und kulturellen Konstellationen, in denen sich Verbindungen und Konflikte zwischen dem Westen und Byzanz realisierten, eine genauere Differenzierung von Bedingungen und Funktionen des Missverständnisses notwendig machen, um die damit explizit oder implizit verbundenen Konzepte im Rahmen kulturwissenschaftlicher Forschung kritisch zu reflektieren. So lässt sich schon im vorwissenschaftlichen Raum eine Typologie des Missverständnisses geben, deren Überführung in ein kulturwissenschaftliches Konzept genauer zu konkretisieren und zu prüfen wäre: Es gibt unreflektierte, aber auch provozierte oder politisch ausgenützte Missverständnisse; vermeintliche Missverständnisse, die reale politische oder kirchenpolitische Interessensgegensätze verdecken; vermeidbare und möglicherweise unvermeidliche Missverständnisse; schließlich Missverständnisse der Forschung, die mitunter vorschnell ein Missverständnis konstatiert, wo Logik und Sinnzusammenhang sich nicht sofort erschließen. Zu unterscheiden wäre nicht zuletzt zwischen produktiven Missverständnissen, die weiterführende Kommunikation oder auch neue kulturelle Sinnstiftungen ermöglichen, und solchen, die Kommunikation behindern oder gar abschneiden, Verständnis unmöglich machen und kulturelle Austauschbeziehungen veröden lassen.

Programm

Donnerstag, 21.11.
17:00
Eintreffen der Teilnehmer/Innen, Registrierung
18:15
Mischa Meier/Steffen Patzold (Tübingen): Osten und Westen um 500: Kommunikation und Missverständnisse

Freitag, 22.11.
1. Sektion: Byzanz und der Westen: Theologische Kontroversen und politische Gegensätze

9:30
Filippo Carlà (Mainz): Die Differenz als Argument: Gregor der Große, Konstantina und der Kopf des Apostels Paulus
9:55
Sebastian Kolditz (Bochum): Verständigungen oder Missverständnisse? Zu den kirchlichen Beziehungen zwischen Rom und Konstantinopel im 6. Jahrhundert
10:20
Diskussion
10:40
Pause
11:10
Hannes Möhring (Bayreuth): Kollaboration mit dem Feind? Westliche Gerüchte über ein Bündnis von Byzanz und Saladin.
11:35
Stefan Burkhardt (Heidelberg): Scheitern zwischen Ost und West? Das Lateinische Kaiserreich von Konstantinopel
12:00
Diskussion
12:20
Pause
14:15
Martin Vucetic (Mainz): Alles nur ein Missverständnis? Das Treffen des bulgarischen Herrschers Simeon mit dem konstantinopolitanischen Patriarchen Nikolaos Mystikos am Hebdomon (913)
14:40
Maike Sach (Kiel): Griechischen’ Glaubens und Erbe von Byzanz? Fehleinschätzungen, kulturelle Missverständnisse und konfligierende Konzepte über das Selbstverständnis in den Gesprächen zwischen Zar Ivan IV. und dem päpstlichen Legaten Antonio Possevino im Jahre 1582
15:05
Diskussion
15:25
Pause

2. Sektion: Byzanz und der Westen: Kulturelle Einflüsse und kulturelle Rezeption zwischen Nachahmung, Aneignung und kreativer Verwandlung

16:00
Falko Daim (Mainz): Aspekte des Güteraustausches zwischen Byzanz und dem Westen (5.-7. Jh.)
16:25
Carolina Cupane (Wien): Zu den literarischen Beziehungen zwischen Byzanz und dem Westen.
16:55
Diskussion
17:15
Pause
17:30
Irmgard Siede (Mannheim): Abkopiert – ummontiert – uminterpretiert: Buchmalerei und Elfenbein im 10. und 11. Jahrhundert – byzantinische Kunst mißverstanden?
17:55
Ulrike Koenen (Düsseldorf): Formen der Aneignung byzantinischer Kunstwerke im Westen
18:20 Diskussion

Samstag, 23.11.
9:00
Ina Eichner (Mainz): Nachahmung östlichen Pilgerwesens im Westen.
9:25
Reinhard Frötschner (Regensburg): Die Wahrnehmung des Christusnarrentums im Moskauer Reich durch westliche Russlandreisende des 16. und frühen 17. Jahrhunderts
9:50
Diskussion
10:10
Pause

3. Sektion: Der Westen und das byzantinische Erbe: Bewahrung, Aneignung, Uminterpretation

10:40
Massimo Bernabò (Pavia): Byzantium in the 1930s Italy: the Palace of Justice in Milan
11:05
Ralf-Johannes Lilie (Berlin): Vom Wandel eines Symbols: Das Byzanzbild zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert.
11:30
Diskussion
11:50
Mihai Grigore (Mainz)/ Zachary Chitwood (Berlin): Byzantinisches Stiftungswesen ohne byzantinischen Staat: Die Fürsten der Walachei in der griechisch-orthodoxen Stiftungskultur des 15. und 16. Jahrhunderts
12:15
Jan Kusber (Mainz): Die Byzantinische Autokratie als Stereotyp: Das Beispiel Russland
12:40
Diskussion

Kontakt

Benjamin Fourlas
Römisch-Germanisches Zentralmuseum
fourlas@rgzm.de

http://www.byzanz-mainz.de/aktivitaeten/a/article/byzanz-und-der-westen-politische-interdependenz-und-kulturelle-missverstaendnisse/
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