Die Unterzeichnung des Kieler Vertrags am 14. Januar 1814 besiegelte den letzten Konflikt zwischen Schweden und Dänemark und markierte somit einen Wendepunkt in der europäischen Geschichte. Anlässlich seines zweihundertsten Jubiläums möchte diese Tagung die vielfältigen Repräsentationen von „Macht“ und „Volk“ in einer europäisch kontextualisierten Geschichte Skandinaviens hinterfragen. Der betrachtete Zeitraum vom 13. Jahrhundert bis 1814 umfasst die lange Phase der Stabilisierung der skandinavischen Königreiche und der Herausbildung nationaler Zugehörigkeiten bis hin zu den Nationalismen des frühen 19. Jahrhunderts.
Diese Tagung möchte an die bisherigen Entwicklungen der Repräsentationsforschung im Sinne einer Kulturgeschichte des Politischen anschließen. In Frankreich hat Roger Chartier die entscheidende Rolle der Repräsentationen bei der Herausbildung gesellschaftlicher Hierarchien hervorgehoben. Die „objektivierten Unterscheidungen in der Gesellschaft‟ erweisen sich, Chartier zufolge, als die „Übertragung des mehr oder weniger großen Werts, der jeder Gruppe aufgrund ihrer Selbstrepräsentation beigemessen wird‟ (Chartier, Roger: Au bord de la falaise : l'histoire entre certitudes et inquiétude, Paris: Albin Michel, 22009 (11997), S. 11). Repräsentationen entstehen somit im Zusammenspiel konkurrierender Machtformen am Schnittpunkt zwischen Herrschaftstheorie und Herrschaftspraxis und beruhen daher auf einer aktiven Kommunikation. Diese Kommunikation erweist sich als die entscheidende Machtquelle, insofern sie zu Zwecken der Überzeugung, der Rechtfertigung von Konflikten und der Mobilisierung von Energien gezielt eingesetzt werden kann.
Völker und Machtkonfigurationen im Staats- und Nationsbildungsprozess
In Anlehnung an die Untersuchungsfelder der Nationalismusforschung wie Patriotismus, Regionalismus, Nationalgefühl oder Reichspatriotismus bezweckt die Untersuchung der jeweiligen, historisch variablen Repräsentationen von Macht und Volk ein besseres Verständnis der Zugehörigkeiten im skandinavischen Raum sowie im baltischen und gesamteuropäischen Kontext. Chronologisch reichen diese Phänomene von der Ausdifferenzierung der europäischen Staatenwelt im Spätmittelalter bis hin zu den Prozessen von Staatsbildung und Machthegemonie in der Frühen Neuzeit.
Parallel zu den Veränderungen im Nationsbegriff erweiterte sich der Volksbegriff in Mittelalter und Früher Neuzeit und schloss Bauernschaft, Adel im Mittelalter, Allodialgut besitzende Bauern in Skandinavien, Untertanen, einfache Soldaten ein – eine lenkbare Bedeutungsvielfalt, die es den Machtinstanzen nahelegte, sich auf legitimierende Repräsentationen des Volks zu stützen. Aus dieser Perspektive können zentrale Ereignisse der skandinavischen Geschichte wie Gustav Vasas Kampf um den schwedischen Thron 1520-1523 oder der Fall Friedrich Struensees in Dänemark 1772 in neues Licht gerückt werden.
In Krisenzeiten lässt sich besonders gut beobachten, wie aus dem Konflikt mit der obersten, königlichen Gewalt heraus konkurrierende Repräsentationen von „Volk“ und „Macht“ entstanden (die Elite als Mittler zwischen Volk und Herrscher, die religiöse Macht, Bauerngemeinden,…).
Von der nationalen zur transnationalen Perspektive
Die Tagung möchte die zahlreichen Berührungspunkte und Identitätskonflikte zwischen Skandinavien und kontinentaleuropäischen Ländern wie Frankreich, den Niederlanden, dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation thematisieren. Sie fragt nach dem Einfluss dieser Kontakte auf die Zirkulation kultureller und politischer Modelle. Anhand von Beispielen wie die Beziehungen zwischen der königlichen Macht und der Handels- und städtischen Macht der Hanse, die Rolle des Grenzadels, der deutschsprachigen Bevölkerung im südlichen Jütland und im schwedischen Pommern, der ausländischen Eliten (wie im Fall Islands), der in Pommern und Livland bestehenden Gemeinschaften sowie der kulturellen Ausstrahlung Kopenhagens durch die Universität Kiel kann eine transnationale Geschichte der Identitäts- und Zugehörigkeitsformen entworfen werden. Dabei werden die unterschiedlichen Erscheinungen des Nationalismus und des Nationsbegriffs im skandinavischen Raum auch mit Blick auf die Schlüsselrolle hybrider Grenzgebiete untersucht.
Diese Perspektivenvielfalt erlaubt es, die nationale skandinavische Historiographie kritisch zu beleuchten. Anstatt die allzu häufige Fixierung auf die Person des Monarchen fortzuschreiben, soll die Komplexität der Machtrepräsentation auf ihre geographischen, kulturellen und herrschaftspraktischen Dimensionen hin hinterfragt werden.
Folgende Themenschwerpunkte und Leitfragen der Tagung sind avisiert :
Nationale Identitäten und Stereotypen – z. B. der „nationale“ Bauer, die „ausländischen“ Eliten – und ihre Herausbildung durch die Beziehung von Individuen und Gruppen zum Herrscher in Konflikten, Verhandlungen, Petitionen
Nationale und dynastische Geschichtsschreibung: Kontinuitäten von Herrschaftszeiten, das Neu- und Umschreiben der Nationalgeschichte, die Erfindung von Gründungsmythen
Inszenierung von Herrschaft und Macht in der Kunst: Bilddarstellungen, Literatur, Aufführungspraxis
Medien in Konfliktzeiten zwischen nationaler „Propaganda“ und patriotischer Begeisterung
Außenpolitik zwischen Diplomatie und Grenzkonflikten: das Bild Skandinaviens und seiner Herrscher bei den Nachbarländern und in Kontinentaleuropa
Herrschaftsformen und ihr Verhältnis zur Bevölkerung (Nationalstaat, Personalunion, Absolutismus, Hegemonie, Kolonie) sowie deren Infragestellung durch regionale Unabhängigkeitsbewegungen und Aufstände
Skandinaviens Kolonien und deren Bevölkerung in den Konflikten zwischen Skandinavien und Kontinentaleuropa
Die Tagung ist interdisziplinär ausgerichtet. Fallstudien sowie die Erschließung unterschiedlichster Quellenarten – Urkunden, Friedensverträge, historiographische Werke, Porträts, literarische Werke, visuelle Künste, mündliche Überlieferung – sind willkommen. Abstracts der Beitragsvorschläge (max. 500 Wörter) senden Sie bitte mit einer kurzen Bio-Bibliographie bis zum 15.01.2014 an peuplesetpouvoirs@gmail.com.
Konferenzsprachen sind Französisch, Schwedisch, Deutsch und Englisch. Über die Annahme der Beiträge informieren wir bis zum 28.02.2014.
Wissenschaftliches Komitee :
Christina Folke Ax (Danish National Museum - Open Air Museum, Universität Copenhague)
Rainer Babel (Deutsches Historisches Institut Paris)
Martin Krieger (Universität Kiel)
Gérard Laudin (Universität Paris-Sorbonne)
Marie-Thérèse Mourey (Universität Paris-Sorbonne)
Jonas Nordin (Königliche Bibliothek Stockholm, Universität Stockholm)
Karin Sennefelt (Universität Stockholm)