Der Blick auf Anfang und Ende des Zweiten Weltkriegs geben der Exilforschung im memorialen Boom der Kriegsjubiläen eigenen und doppelten Anlass, sich auf ihrer Jahrestagung 2015 mit den Themen Krieg und Frieden im Kontext von Exil auseinanderzusetzen.
Mit der Vertreibung aus einem totalitär regierten Herkunftsland erscheinen Krieg-Frieden- bzw. Pazifismusdiskurse einem neuen Licht. Und noch einmal verschieben sich die Fronten, wenn dieses Herkunftsland einen Eroberungskrieg gegen die Länder führt, die bislang Schutz gewährt haben.
Der Exodus aus Deutschland setzte 1933 ein. Diese ersten Jahre des Exils waren von der Hoffnung getragen, der „Spuk“ werde bald vorüber sein, und entsprechend provisorisch richteten sich viele Exilantinnen und Exilanten in den europäischen Nachbarländern ein. Der „Anschluss“ Österreichs, die Annexion der Tschechoslowakei und der Beginn des Zweiten Weltkriegs machten diese Hoffnungen zunichte. Für viele im Exil Lebende begann eine neue Phase der Unsicherheit, der Zerrissenheit und der immer weiteren Entfernung von Freunden, Familie und Bekannten. In den Ländern, die ihnen bislang Schutz gewährt hatten, wurden sie nun zu „enemy aliens“ erklärt. Dadurch waren sie nicht nur offener Feindseligkeit, sondern auch der Freiheitsberaubung und bürokratischer Schikane ausgesetzt, und ihr Aufenthaltsstatus war mitunter ernsthaft gefährdet.
Die Dissonanzen, die bei Exilantinnen und Exilanten, vor allem wenn sie pazifistisch orientiert waren, angesichts des Kriegsausbruchs auftraten, stellen einen Schwerpunkt der Jahrestagung dar. Konnte man Pazifist/in bleiben, wenn Hitler Land um Land angreifen ließ? Sollte man sich in den Exilländern, die mit Deutschland im Krieg standen, auf die Seite der Gegner Hitlers schlagen und damit – ob in Widerstandshandlungen und Untergrundbewegungen in den besetzten Ländern oder in den Armeen der Alliierten – in einen Bruderkrieg eintreten? Auf welche zum Teil ganz unerwünschten Allianzen musste man sich im Kampf gegen den Diktator einlassen? Mit dem Wunsch nach der Zerstörung der NS- Herrschaft ging die Sorge um die Zerstörung der alten Heimat einher.
Auch das Kriegsende stellte für die Verfolgten des Hitlerregimes eine Zäsur dar, doch bedeutete es auch das Ende des Exils? Diese Frage bildet einen zweiten Schwerpunkt der Jahrestagung. In welche materiellen und Gewissensnöte kamen Exilantinnen und Exilanten angesichts des Zusammenbruchs des ‚Dritten Reichs’, und von welchen Erwägungen waren ihre Entscheidungen über Verbleib im Exilland oder Remigration nach Deutschland geprägt? Gefragt wird nach politischen Neuordnungsvorstellungen von Exilierten, nach ihrer schwierigen Neupositionierung in den Gesellschaften ihrer einstigen ‚Vertreiber’ und schließlich nach der Rezeption der Krieg/ Frieden-Thematik in der Exilforschung.