Theodor-Heuss-Kolloquium 2016
Zwischen Neoliberalismus und zivilgesellschaftlichem Aufbruch.
Liberale und Liberalismus seit den 1970er Jahren
Leitung: Frank Bösch/Thomas Hertfelder/Gabriele Metzler
Die Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus verfolgt seit 2013 einen Forschungsschwerpunkt zum Thema „Liberalismus im 20. Jahrhundert“. Anknüpfend an die Theodor-Heuss-Kolloquien 2013 („Liberalismus im 20. Jahrhundert“, Tagungsbericht unter www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-4827) sowie 2015 („Liberalismus in der Zwischenkriegszeit“, Tagungsbericht folgt) plant die Stiftung am 3.-4. November 2016 ein Theodor-Heuss-Kolloquium zum Thema „Zwischen Neoliberalismus und zivilgesellschaftlichem Aufbruch. Liberale und Liberalismus seit den 1970er Jahren“.
Der Liberalismus veränderte sich in den 1970/80er Jahren rasant und wurde international durch neue Spannungslinien herausgefordert. Wenngleich der Liberalismus auch vorher vielfältige Strömungen vereinte, kam es in mehrfacher Hinsicht zu einer Ausdifferenzierung und Transformation. Neoliberale Ansätze gewannen an Bedeutung, aber auch linksliberale Milieus profilierten sich neu. Liberale Grundideen diffundierten im Zuge der postulierten „Fundamentalliberalisierung“ in die Gesellschaft, aber zugleich waren es gerade liberale Innenminister, die zum Schutz der „inneren Sicherheit“ Einschränkungen vornahmen. Dies alles sorgte zwar für eine neuartig starke Präsenz liberaler Vorstellungen in der Öffentlichkeit, Politik und Gesellschaft, doch ebenso verloren die Liberalen und der Liberalismus durch die Fragmentierung an Profil.
Ziel der Tagung ist, diese Veränderungen nicht nur aus der Perspektive der Ideen- und Parteiengeschichte, sondern auch aus der Sozial- und Kulturgeschichte des Liberalismus zu untersuchen. Erstere lenkt den Blick auf die Frage, was überhaupt unter „Liberalismus“ im späten 20. Jahrhundert gefasst werden kann; wie liberale Selbstbeschreibungen, aber auch Zuschreibungen von außen formuliert wurden. Lässt sich so etwas wie „eine irreduzible liberale Grundausstattung“ (Michael Freeden) erkennen? Aus der zweiten Perspektive rücken neben den intellektuellen Vordenkern auch die gesellschaftlichen Ursachen und die Praktiken in den Vordergrund – etwa die Perzeption von und Reaktionen auf Wirtschaftskrisen und Inflation, der Wandel der politischen Kultur mit der Etablierung der Dienstleistungsgesellschaft und dem Ende des Kalten Kriegs oder auch Formen des liberalen Engagements und Lebensweisen von Liberalen. Inwieweit trug der Umbruch von 1989/90 zur Transformation des Liberalismus, aber auch zur Diffusion (neo-) liberaler Konzepte bei? Der Schwerpunkt soll dabei auf der bundesdeutschen Entwicklung liegen, diese wohl aber mit Seitenblicken oder Transferbeziehungen zu westlichen Nachbarn verbunden werden. Auch Ostdeutschland und Osteuropa nach 1989 wären dabei zumindest am Rande einzubeziehen. Generell sind einzelne Referate willkommen, die explizit ausländische Entwicklungen und/oder deren Verbindungen zur Bundesrepublik thematisieren oder vergleichend einbeziehen.
Erwünscht sind Beiträge zu folgenden drei Schwerpunkten:
1. Siegeszug des Neoliberalismus?
„Neoliberale“ Strömungen gewannen seit den späten 1970er Jahren unverkennbar an Gewicht, besonders in Großbritannien und den USA. Leitfragen für diese Sektion sind: Wie und inwieweit etablierte sich diese Denkhaltung in der bundesdeutschen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch in der Gesellschaft? Ab wann kann man sektoral überhaupt von „neoliberaler“ Politik sprechen? Trägt dieser Begriff auch analytisch, oder ist er nur eine Kampfvokabel? Welche Leitideen bzw. ideologischen Ordnungsmuster waren dabei wirksam? Inwieweit liegt das auslösende Moment in der Stagflation der 1970er Jahre, also auf ökonomischer Ebene, oder lagen dem „neoliberalen“ Ansatz vor allem staatskritische (etwa aus den USA importierte) Sichtweisen zu Grunde? Über die Ära Kohl hinaus soll der Blick dabei bewusst bis in die rot-grüne Zeit hinein gerichtet werden, in der mitunter „neoliberale“ Politiken erst umgesetzt wurden. Dabei wäre etwa die viel beschworene Pfadabhängigkeit deutscher Sozialstaatlichkeit zu diskutieren, Vorstellungen von Modernisierung und eben die Art des Ideentransfers aus den USA und Großbritannien.
2. „Zivilgesellschaft“ und „linksliberale“ Leitbilder
„Linksliberal“ wurde in den 1970er Jahren zu einem Erfolgsbegriff, der kritische Intellektuelle umschrieb oder unabhängigen Journalismus adelte (wie des Spiegel oder der Süddeutsche Zeitung). Das vielfältige Eintreten für Bürgerrechte, Emanzipation und zivilgesellschaftliches Engagement formierte sich freilich jenseits der FDP in neuen politischen Gruppen. Neben neuen sozialen Bewegungen und Wählergemeinschaften waren es mittel- bis langfristig vor allem die Grünen, die politisch und lebensweltlich diesen zivilgesellschaftlichen Aufbruch als Teil des Liberalismus aufnahmen. Gerade in den Groß- und Universitätsstädten übernahmen bildungsbürgerliche Gruppen hier ein liberales Erbe, transformierten es aber markant. Leitfragen dieser Sektion sind: In welcher Beziehung stehen diese als „linksliberal“ bezeichneten Gruppen und Ideen zu klassischen Formen des Liberalismus? Welche linksliberalen Leitbilder prägten sich aus, von welchen Gruppen wurden sie getragen? Welche Wendung nahm die Liberalisierung der Gesellschaft im Zeichen „postmoderner“ Zeitdiagnosen? Worin bestehen die Grenzen und auch die sozialkulturellen Kosten jener Liberalisierung? Wo und wie wurde sie von der Politik im engeren Sinn aufgegriffen und moderiert?
3. Fundamentalliberalisierung, Politik und Rechtsstaatlichkeit
Der postulierten „Fundamentalliberalisierung“ der 1970er Jahre stand die neue Bedeutung der „inneren Sicherheit“ gegenüber, die, unter Beteiligung von liberalen Innenministern, aus Angst vor Terroristen, Ausländern oder Verbrechen bürgerliche Freiheiten eher einschränkten. Leitfragen dieser Sektion sind: Inwieweit wurde liberales Denken also durch politische und institutionelle Zwänge in der Umsetzung überformt? Wie wurde Rechtsstaatlichkeit vor den neuen Risiken, die das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts so eindrücklich vor Augen geführt hat, gedacht, und wie wurde sie politisch verhandelt?
Die Tagung richtet sich an Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler wie auch an bereits etablierte Forscherinnen und Forscher. Ausdrücklich erwünscht sind Vorträge aus aktuell laufenden und noch nicht publizierten Arbeiten. Tagungssprache ist Deutsch.
Die Stiftung übernimmt die Reise- und Übernachtungskosten nach Maßgabe des Bundesreisekostengesetzes sowie die Verpflegung vor Ort.
Bitte senden Sie Ihr Exposé (nicht länger als 500 Wörter) mit Kurzbiografie (in einer PDF-Datei) bis zum 21. September 2015 an folgende Adressen: boesch@zzf-pdm.de, hertfelder@stiftung-heuss-haus.de, gabriele.metzler@geschichte.hu-berlin.de
Zusagen über angenommene Beiträge werden bis zum 31. Oktober 2015 verschickt.