Baltische Bildungsgeschichte(n) / Baltic Educational Histories

Baltische Bildungsgeschichte(n) / Baltic Educational Histories

Veranstalter
Baltisch-deutsches Netzwerk Germanistik The Baltic-German Network for German Studies
Veranstaltungsort
Ort
Tartu
Land
Estonia
Vom - Bis
19.09.2016 - 22.09.2016
Deadline
30.10.2015
Website
Von
Jürgen Joachimsthaler

Call for papers – Baltische Bildungsgeschichte(n)

Interdisziplinäre Tagung, 19.-22.9.2016, Tartu

Im Zuge von Handelskontakten, Christianisierung, Ordenskriegen und Rechtsimport gerieten die autochthonen Völkerschaften des baltischen Raums unter kulturelle, sprachliche und politische Einflüsse unterschiedlichen Gewichts. Sie wurden dadurch Formierungsprozessen ausgesetzt, die immer wieder mit kolonialen Prozessen verglichen werden. Auf Seite der dominierenden Kulturen (Deutsche, Dänen, Polen, Schweden, Russen) hatte dies ein beträchtliches Aufgebot an wirtschaftlichen, juristischen, religiösen und kulturellen Einrichtungen zur Folge, ein Heer von Spezialisten (Amtsleute, Juristen, Pfarrer, Literaten, Pädagogen) sollte die Machtverhältnisse auch im Bewusstsein der Beherrschten verankern. Zu diesem Zweck und aufgrund des Muttersprachengebots seit der Reformation mussten viele dieser Spezialisten sich mit den dominierten Kulturen und Sprachen beschäftigen, was in Publizistik, Literatur und Wissenschaft zu einer verstärkten Reflexion über die baltischen Sprachen und Ethnien sowie über das asymmetrische Spannungsgefüge zwischen jeweils überlegener und unterlegener Kultur führte. Gesetzgebung und kulturelle Arbeit sollten zugleich das soziale und kulturelle Überleben der herrschenden Minderheiten sichern. Diese Situation führte zu einer zeitweise in ganz Europa sichtbaren außergewöhnlichen Dichte an Bildungsanstrengungen im Baltikum (man denke nur an die zahlreichen Hofmeister des 18. Jahrhunderts, die den geistigen Austausch weit über das Baltikum hinaus sicherten). In die kulturelle Sphäre der Mächtigen hineinsozialisierte Gelehrte oft bäuerlicher Herkunft begannen schließlich von den dominanten Bildungswelten aus und mit deren Mitteln, aber gegen sie Konzepte einer ‚eigenen‘ Kultur der jeweiligen baltischen Sprachgemeinschaften zu erarbeiten. Damit einher ging eine innere Formierung der baltischen Völker seit der Zeit des ersten „nationalen Erwachens“, die oft ihrerseits Symptome einer „inneren Kolonisation“ (wie in Preußen die planmäßige Ausformung der eigenen Gesellschaft genannt wurde) zeigen. Wie alle Nationen konstituieren ja auch die baltischen Nationen sich selbst – zeitweise in erzwungener Abstimmung mit sowjetischen Vorgaben – mit Hilfe von Bildungsmaßnahmen, Schulen, Literatur, Kultur, Medien, Sprachpolitik etc. In der Gegenwart müssen sie nun umgehen mit Minderheiten, insbesondere natürlich der russischen, sowie mit Sprach- und Kulturkontaktsituationen verschiedenster Art.

Baltische Geschichte, aber auch Wirtschaft, Verwaltung, Sprache, Recht, Kultur und Literatur der baltischen Länder berühren so fast unvermeidlich in fast allen ihren Dimensionen den Aspekt „Bildung“ – über die Sprach- und Kulturgrenzen hinweg lassen die Geschichten der baltischen Völker und Kulturen sich (auch) als Bildungsgeschichten erzählen. Für das Thema „Bildung“ stellt das Baltikum drüber hinaus eine Schlüsselregion von besonderem exemplarischen Wert dar: Bildung hat ja ohnehin immer eine koloniale Dimension, insofern als überlegen definierte Personen angeblich Unterlegenen mit dem Versprechen oder dem Anspruch gegenübertreten, diese einem Konzept gemäß zu „bilden“, demzufolge sie erst zu richtig ‚gebildeten‘ Menschen werden können sollen. Dass der Gegensatz zwischen Bildenden und zu Bildenden im Baltikum lange Zeit auf verschiedene ethnische Gruppen verteilt sein konnte, macht diese jeder Bildung inhärente Spannung umso sichtbarer. Das Thema „Baltische Bildungsgeschichte(n)“ bietet so Platz für viele Forschungsansätze aus allen Bereichen der kulturhistorischen wie der gegenwartsbezogenen Baltikumsforschung. Wir bitten um Tagungsbeiträge, die in dieses breite Spektrum passen, seien es Analysen relevanter Diskursfelder, religiöser oder kultureller Strömungen und Einrichtungen oder ganzer wissenschaftlicher Fächer, seien es Forschungen zu exemplarischen oder herausragenden Geschichten Einzelner, Gruppen oder ganzer Völker.

Sektionen:

1.Sprachen der Bildung – Bildung der Sprachen (Sektionsleitung Egle Kontutyte und Reet Bender)
2. Medien der Bildung (Sektionsleitung Ulrike Plath und Maris Saagpakk)
3. Institutionen der Bildung (Sektionsleitung: Silke Pasewalck und Liina Lukas)
4. Symbolische Ordnungen (Sektionsleitung Karsten Brüggemann und Jaan Undusk)
5. Akteure der Bildung (Sektionsleitung Jost Eickmeyer und Anu Schaper)
6. Nation building – Bildung der Nationen (Sektionsleitung Thomas Taterka und Julija Boguna)
7. Strukturen der Macht in Sprache, Literatur und Kultur (Sektionsleitung Ruta Eidukeviciene und Andreas Kelletat)
8. Offene Sektion (diese bietet die Möglichkeit für weitere Beiträge, die zum Gesamtthema, aber nicht in das Schema einer der anderen Sektionen passen).

Veranstalter:
Baltisch-deutsches Netzwerk Germanistik

Planungskomitee:
Dr. Reet Bender (Tartu)
Prof. Dr. Rūta Eidukevičienė (Kaunas)
Prof. Dr. Jürgen Joachimsthaler (Marburg)
Prof. Dr. Maris Saagpakk (Tallinn)
Prof. Dr. Thomas Taterka (Riga)
Dr. Eglė Kontutytė (Vilnius)

Konzeption / Sprecher des Planungskomitees:
Prof. Dr. Jürgen Joachimsthaler (Marburg)

Koordination:
Dr. Silke Pasewalck (Tartu)

Anmeldungsmodalitäten: Bitte schicken Sie bis zum 15.10.2015 einen Titelvorschlag sowie ein kurzes Abstract von ca. 250 Wörtern unter Angabe der Sektion an bildungsgeschichten@ut.ee.

Wir bemühen uns um Zuschüsse. Es wäre jedoch gut, wenn die Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihrerseits versuchen würden, die Reisekosten über ihre Institute oder andere Quellen zu organisieren.

Call for Papers: Baltic Educational Histories

Interdisciplinary Conference, 19th – 22nd September, 2016, Tartu

Through factors such as trade, Christianisation, the wars waged by the chivalric orders, and the importation of laws, the autochthonous peoples of the Baltic region were exposed to cultural, linguistic, and political influences of varying degrees. In this way, they were subjected to formative processes which are frequently compared with colonial practices. The cultures (German, Danish, Polish, Swedish, and Russian) which played a dominating role in the region established a wide array of economic, legal, religious, and cultural institutions; an army of specialists (officials, lawyers, clergymen, writers, teachers) was enlisted in order to firmly entrench their power—not least in the consciousness of the dominated peoples. To this end, and due to the post-Reformation requirement to use the native language, many of these specialists had to engage with the local cultures and languages. In the domains of journalism, literature, and academia, this led to greater reflection on the various Baltic languages and ethnic groups, and on the asymmetrical structural tensions between the dominant and subordinate cultures. The aim of the official legislation and cultural activity was to ensure the cultural and social survival of the ruling minorities. This state of affairs led to an extraordinary concentration of educational initiatives in the Baltic region, the effects of which were sometimes visible across Europe (we might think for example of the many Hofmeister (private tutors), who facilitated intellectual exchange far beyond the borders of the Baltic states in the 18th century). In the cultural centres of power, scholars who had been integrated into the social order—often after having risen from a farming background—began to elaborate, from within the midst of and with the means of, but ultimately against, the dominant educational paradigms, conceptions of the distinctive cultural character of the various Baltic linguistic communities. From the time of the first “national awakening,” this was accompanied by the internal formation of the Baltic peoples, who often manifested symptoms of an “internal colonisation” (as the planned construction of society was termed in Prussia). Like all nations, the Baltic nations have constituted themselves—sometimes in accordance with Soviet requirements—by means of educational practices, schools, literature, culture, media, linguistic policies, and so on. Today they must also deal with minorities (particularly those of Russian origin), and with a wide range of linguistic and cultural contexts of exchange.

In almost all of their dimensions, then, the history, economy, administration, languages, law, culture, and literature of the Baltic states almost unavoidably bear on the question of “education.” Across linguistic and cultural borders, the histories of the Baltic peoples and cultures can (also) be told as educational histories. Moreover, the Baltic region is an area of exemplary significance where the theme of education is concerned: for education always has something of a colonial character, insofar as individuals defined as superior promise or feel entitled to “cultivate” supposedly inferior individuals in accordance with a model which will allow them to become truly “cultured.” The fact that teachers and learners were divided among different ethnic groups in the Balkans for such a long time serves to make this tension inherent to all education even more apparent. The theme of “Baltic educational histories” can thus be approached in a variety of ways from all areas of historical and contemporary research on the Baltics. We welcome contributions from a wide range of perspectives, which may include analyses of relevant fields of discourse, religious and cultural institutions and trends, and academic disciplines as a whole, or studies which focus on exemplary or exceptional stories of individuals, groups, or entire peoples.

Sessions:
1. Languages of education – language education (chairs: Eglė Kontutytė and Reet Bender)
2. Educational media (chairs: Ulrike Plath and Maris Saagpakk)
3. Educational institutions (chairs: Silke Pasewalck and Liina Lukas)
4. Symbolic orders (chairs: Karsten Brüggemann and Jaan Undusk)
5. Key players in education (chairs: Jost Eickmeyer and Anu Schaper)
6. Nation building – educating nations (chairs: Thomas Taterka and Julija Boguna)
7. Power structures in language, literature, and culture (chairs: Rūta Eidukevičienė and Andreas Kelletat)
8. Open sessions (these offer a forum for other contributions which fit the overall conference theme but not the topic of one of the other sessions).

Conference organised by
The Baltic-German Network for German Studies

Planning committee:
Dr Reet Bender (Tartu)
Professor Rūta Eidukevičienė (Kaunas)
Professor Jürgen Joachimsthaler (Marburg)
Professor Maris Saagpakk (Tallinn)
Professor Thomas Taterka (Riga)
Dr Eglė Kontutytė (Vilnius)

Overall conception/planning committee representative:
Professor Jürgen Joachimsthaler (Marburg)

Organisation:
Dr Silke Pasewalck (Tartu)

Applications: please send a proposed title, together with a short abstract of around 250 words, to bildungsgeschichten@ut.ee by 15th October 2015, indicating the session for which the paper is most appropriate.

We shall endeavour to cover travel expenses, but would ask participants to attempt to secure reimbursement for their travel costs from their institutions or other sources in the first instance.

Programm

Kontakt

Silke Pasewalck

University of Tartu, College of Foreign Languages and Cultures, Jakobi 2, Tartu 51014, Eesti

bildungsgeschichten@ut.ee