BRDDR – Arenen des Übergangs in der Vereinigungsgesellschaft

BRDDR – Arenen des Übergangs in der Vereinigungsgesellschaft

Veranstalter
Lehrstuhl Neuere und Neueste Geschichte II des Historischen Seminars der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, unterstützt von der Freiherr vom Stein-Gesellschaft e.V. und der Alfred-Toepfer-Stiftung
Veranstaltungsort
Gut Siggen
Ort
Neustadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.11.2015 - 06.11.2015
Website
Von
Christoph Lorke

Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung waren zweifellos von nationaler, in vielfacher Hinsicht auch europäischer und globaler Bedeutung. Politikhistorisch trennten die Jahre 1989/1990 das Vorher und das Nachher deutlich, als sich die DDR – so die völkerrechtliche Sprachregelung – der alten Bundesrepublik anschloss. Diese Entwicklung markierte die Überwindung der SED-Diktatur wie auch das Ende der nationalen Teilung. Der Rückblick auf diese Ereigniskette und deren empathische Deutung mitsamt populären Versatzstücken wie Freiheit, Demokratisierung und Wohlstand stand lange Zeit für die Gründungsgeschichte des wiedervereinigten Deutschlands wie auch eines sich erweiternden Europas.

Mit dem Abstand von mittlerweile einem Vierteljahrhundert wird diese emphatische Lesart blasser. Nicht nur die Verwerfungen der Banken- und Eurokrise seit 2008, sondern auch die Entwicklungen auf nationaler und europäischer Ebene lassen die Ambivalenzen der Entwicklung seit 1989 deutlicher hervortreten. Aus der Zäsur wird aus der distanzierten Rückschau ein immer weicherer Übergang, der die Zeit des Kalten Krieges deutlicher mit den 1990er Jahren verbindet. "Wir sind vereint, aber noch nicht eins", so resümiert jüngst eine Studie des Zentrums für Sozialforschung der Universität Halle den Stand der deutschen Einheit und verweist damit deutlich auf das Gewicht, das der Teilungsgeschichte auch heute noch zukommt. Von einer "Meistererzählung" Europas mit den Glücksversprechen von Demokratie und Überwindung von Armut und Krieg sind wir im Zeichen der Ukraine-Krise weiter entfernt denn je.

Diese Beobachtungen sind Anlass, mit dem geplanten wissenschaftlichen Symposium, dem "11. Nassauer Gespräch", einen Anstoß zu einer Historisierung der Vereinigungsgesellschaft zu geben. Prof. Dr. Thomas Großbölting, Universität Münster, der die wissenschaftliche Leitung übernommen hat, plant die Konzentration auf das geteilte und dann wiedervereinigte Deutschland in seinen europäischen Bezügen. Die Frage nach dem "Zäsurcharakter" von 1989 wird Auftakt dazu sein, nach der gemeinsamen Basis und dem Trennenden zu fragen, welches Ost und West vorfanden und verarbeiteten:

- Mit den "Arenen" der Wiedervereinigung werden speziell diejenigen Institutionen und Formen der organsierten Öffentlichkeit analysiert, in denen der Übergang politisch gestaltet und diskursiv verhandelt wurde. Insbesondere das Verhältnis zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft galt es neu zu gestalten in einem Kontext, der die Opposition Kapitalismus – Kommunismus (vermeintlich) hinter sich gelassen hatte.

- Der Blick wird auf das Funktionieren und die Fuktion der zahlreichen nationalen Selbstbeschreibungen und Vereinigungslegenden gerichtet, die die Debatten um Identitäten und kollektive Selbstbilder anfachten. Wo mit 1989 Weltbilder, feste Grenzziehungen wie auch Selbstverständnisse ins Wanken gerieten, soll nach Substituten oder dem Verschwinden alter Gewissheiten gefragt werden.

- Ordnungsvorstellungen realisieren sich zudem in kollektiv diskutierten und individuell gelebten Verhaltensweisen und Stilen. Auch auf dieser alltags- und kulturgeschichtlichen Ebene wird nach Kontinuitäten in der Zäsur und nach den historischen Vermächtnissen aus der Zeit der europäischen wie deutschen Teilung, die die Vereinigungsgesellschaft dann geprägt haben, gesucht.

Die Ergebnisse des wissenschaftlichen Symposiums werden in einem Sammelband publiziert. Die Veranstaltung findet in Räumen und mit Unterstützung der Alfred-Toepfer-Stiftung im Seminarzentraum auf Gut Siggen in Ostholstein statt.

Es handelt sich um einen geschlossenen Teilnehmerkreis.

Programm

Mittwoch, 4.11.2015

19.30 Uhr - Begrüßung & Einführung: Thomas Großbölting (MÜNSTER)
20.00 Uhr -Prof. Dr. Ralph Jessen (KÖLN): Das „Volk“ von 1989 als Praxis, Projektion und Erinnerungsort. Begriffsgeschichtliche Beobachtungen

Donnerstag, 5.11.2015

Sektion 1: Das Verhältnis zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft
Leitung: PD Dr. Winfried Süß (POTSDAM)

9.15 Uhr - Dr. Ursula M. Dalinghaus (IRVINE): Eine Frage der Werte: Die Währungsunion 1990 als kulturtechnischer Prozess
10.00 Uhr - Marcus Böick (BOCHUN): Im Ausnahmezustand zwischen Plan und Markt. Die Manager der Treuhandanstalt und die Umgestaltung der ostdeutschen Wirtschaft in den frühen 1990er-Jahren

10.45 Uhr - Kaffeepause

11.15 Uhr - PD Dr. Kerstin Brückweh (TÜBINGEN/DUISBURG-ESSEN): Unter ostdeutschen Dächern. Wohneigentum zwischen Enteignung, Aneignung und Neukonstitutierung der Lebenswelt in der langen Geschichte der “Wende”
12.00 Uhr - Dr. Rüdiger Schmidt (MÜNSTER): Die ökonomische Seite der Freiheit: Die Bürgerrechtsbewegung und das „Volkseigentum“

13.00 Uhr - Mittagessen

Sektion 2: Identitäten und kollektive Selbstbilder
Leitung: Prof. Dr. em. Hans-Ulrich Thamer (MÜNSTER)

14.00 Uhr - Dr. Nina Leonhard (HAMBURG): Einschluss durch Ausschluss: Gedächtnispolitik und biographische Sinnbildung infolge der 'Vereinigung' von Bundeswehr und NVA
14.45 Uhr - Dr. Angela Siebold (HEIDELBERG): Der lange Weg aus der zweigeteilten Welt. Selbst- und Fremdverortungen in der Außen- und Europapolitik

15.30 Uhr - Kaffeepause

16.00 Uhr - Markus Goldbeck (MÜNSTER): Vergangenheit als politische Ressource: Das Beispiel der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) im Kontext der „Stasi-Debatte“.
16.45 Uhr - Dr. Sabine Kittel (MÜNSTER): Neuinterpretationen der Vergangenheit in der Transformationsgesellschaft: „Stasi“ und „IM“ als Chiffre des sozialistischen „Unrechtsstaates“

Freitag, 6.11.2015

Sektion 3: Lebensweisen und Lebensstile: Soziale und individuelle Ordnungsvorstellungen
Leitung: Prof. Dr. Michael Schwartz (BERLIN)

09.30 Uhr - Eva Schäffler (SALZBURG): Zwischen staatlichen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Eigendynamiken: Paarbeziehungen in Ostdeutschland auf dem Weg vom Realsozialismus zum Postsozialismus
10.15 Uhr - Anja Schröter (POTSDAM): Die ostdeutsche „Scheidungsgesellschaft“ 1980-2000
11.00 Uhr - Teresa Tammer (BERLIN): Coming out in die deutsche Einheit. Vom Aufbruch und Abschied der DDR-Schwulenbewegung

12.30 Uhr - Mittagessen

13.00 Uhr - Ines Langelüddecke (HAMBURG): Adlige Rückkehrer und Dorfbewohner zwischen Reden und Schweigen - Eine Oral-History-Studie über ein brandenburgisches Gutsdorf nach 1989/90
13.45 Uhr - Dr. Christoph Lorke (MÜNSTER): Neue und alte soziale Ungleichheiten. Armut in der Vereinigungsgesellschaft.

14.30 Uhr - Abschlussdiskussion: Perspektiven der Vereinigungsgesellschaft

http://www.freiherr-vom-stein-gesellschaft.de/veranstaltungstermin.php?k=1&sk=35k=35

Kontakt

christoph.lorke@uni-muenster.de


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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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