Digitalisierung, Big Data und die Aufgabe der Theorie. Jahrestagung der DGGMNT

Digitalisierung, Big Data und die Aufgabe der Theorie. Jahrestagung der DGGMNT

Veranstalter
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V.
Veranstaltungsort
Ort
Lübeck
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.09.2016 - 18.09.2016
Deadline
24.04.2016
Website
Von
Susan Splinter, Postfach 41 04 20 , Staatliche Museen Kassel

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. lädt ein zu Vortrags- und Sektionsanmeldungen für die Jahrestagung in Lübeck vom 16. - 18. September 2016 mit dem Rahmenthema
DIGITALISIERUNG, BIG DATA UND DIE AUFGABE DER THEORIE
Die neuen Möglichkeiten der Informationstechnologien verändern die Wirklichkeit, sie bestimmen den Alltag und greifen längst auch in die Arbeitsbedingungen historischen Arbeitens ein. Das Bearbeiten gigantischer Datenmengen, die noch vor kurzem unvorstellbar waren, ist in vielen Wissenschaftszweigen zur Selbstverständlichkeit geworden, und die wachsenden digitalen Archive eröffnen auch der Medizin-, Wissenschafts- und Technikgeschichte neue Perspektiven – bzw. stellen sie vor neue Herausforderungen. Zu den Einsatzfeldern von Big Data gehören genetische Sequenzen oder Klimadaten ebenso wie die Textcorpora der Literaturwissenschaften, historische Zeitschriften- und Buch-Bestände oder digitalisierte Archivalien.
2008 ging Chris Anderson, der damalige Chefredakteur der Zeitschrift Wired, so weit, angesichts von Big Data „das Ende der Theorie“ auszurufen, weil nun die ganze Welt in ihren Daten gesammelt und diese Daten von Computern bearbeitet werden können, ohne einen Umweg über abstrahierende Theorien nehmen zu müssen. Was ehemals als starke Theorie sein Recht behauptet habe, erscheine im Licht der neuen Technik als problematische Verkürzung komplexer Sachzusammenhänge, Theorie würde schlicht obsolet. Wissenschafts- und Technikgeschichte steht solchen Thesen allein schon deswegen skeptisch gegenüber, weil es in den verschiedensten Wissenschaften und Praxisfeldern schon seit langer Zeit sehr große Datensammlungen gab und die Klage über die Informationsexplosion so alt ist wie die Informationsmedien. Aber (a) welche Aufgabe hat heute Theorie angesichts von Big Data, (b) wie sind die aktuellen Diskussionen historisch einzuordnen, (c) welche Veränderungen kommen auf unsere Fächer zu und (d) wie können wir profitieren, ohne uns in den Datenmengen zu verlieren?

(a) Big Data als Zäsur
Tatsächlich wird heute diskutiert, ob gegenwärtig ein Strukturwandel der Wissenschaften zu beobachten ist, der vom klassischen Theorie-Ideal der Neuzeit wegführt zum technischen Können. Dazu lässt sich nicht nur auf die Konjunktur der Bio-, Technik-, Material- und Umweltwissenschaften verweisen oder auf die Partizipation der klassischen Naturwissenschaften an der Nanotechnologie, sondern auch die Sozialwissenschaften sind auf „datengetriebene Forschung“ eingeschwenkt, in den Geisteswissenschaften erfreut sich die „grounded theory“ weiter Verbreitung als dezidiert anti-spekulative Neuausrichtung der Hermeneutik und in der Medizin werden in Genetik, Klinischen Studien und Neurowissenschaften große Datenmengen generiert, um aus der Menge der Daten die Muster bislang unbekannter Kor-relationen und Interaktionen hervortreten zu lassen. Was bedeuten diese Entwicklungen für die Theorie? Wie haben sich ihre Aufgaben, vielleicht auch ihre Möglichkeitsbedingungen und Potenziale angesichts von Big Data verändert?

(b) Historische Distanz und Big Data als Praxis
Die Aktualität des Themas mit seinen noch weitgehend unausgeloteten Effekten im Wissenschaftsbetrieb fordert zu historischer Tiefenschärfe heraus, um nicht vorschnell dem gegenwärtigen Hype um Big Data aufzusitzen. Große Datenmengen waren immer schon das Kennzeichen von Bibliotheken und Archiven, deren praktische Expertise zugleich im Umgang mit ihnen lag und im 19. Jahrhundert zu nationalen Initiativen der Informationsverwaltung führte. Dazu zählten auch die Museen und Sammlungen, die sich seit ihrer Gründung den Sachen selbst verschrieben – als nicht weniger gigantische Speicher. Technische Projekte und ganze Forschungszweige der verschiedensten Disziplinen der Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften fußten auf der Handhabung sehr großer Datenmengen. Welche neuen Sichtweisen auf diese lange Geschichte der Datensammlung eröffnen sich aus der gegenwärtigen Konjunktur von Big Data? Welche neuen Probleme und Herausforderungen ergeben sich aus den digitalen Möglichkeiten für historische Projekte? Welche Praktiken von Big Data lassen sich aus einer historischen Perspektive mittlerer und langer Reichweite identifizieren. Und was kann Wissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte zu den aktuellen Diskussionen beitragen?

(c) Reflexive Nähe
Das Thema soll nicht nur auf der Ebene des Gegenstands, sondern auch reflexiv hinsichtlich der in der DGGMNT versammelten Fächer mit ihren jeweiligen methodischen und praktischen Orientierungen entfaltet werden: Nach einer „heißen Phase“ der Theorie-Debatten in der Wissenschaftsforschung, aber auch in der Medizin-, Wissenschafts- und Technikgeschichte mit ihren verschiedenen Turns dominieren nun Zugänge, die – freilich oft aus präzisen theoretischen Erwägungen heraus – situierte Praktiken, konkrete Materialitäten und mediale Vermittlungen ins Zentrum der Analyse und Reflexion rücken. Welche Effekte haben Big Data und Digitalisierungsprojekte für die Orientierung unserer Fächer? Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Rolle von Theorie?

(d) Digital Humanities & Big Data als Methode
Unter dem Stichwort Digital Humanities wird Big Data zunehmend zu einer Forschungsrealität auch von Wissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte. Was aber genau „Big Data“ in den Geschichtswissenschaften heißt und was davon zu erwarten ist, bleibt vorerst unklar. Unstrittig scheint dagegen zu sein, dass sich die Potenziale von Big Data nur verwirklichen lassen, wenn die Methodenfrage geklärt ist. Die Fragen, die sich an uns als Scientific Community richten, sind: Was können Wissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte von Big Data-Arbeitsweisen erwarten? Welche technischen und methodischen Standards brauchen wir? Welche Strategien gibt es, nicht schon an den technischen und finanziellen Herausforderungen zu scheitern? Was sind die Erfahrungen, auch hinsichtlich rechtlicher Rahmenbedigungen und der Publikationspraxis? Wie bringen wir in Zukunft „Big Data“ in der Lehre ein? Welche Aufgaben kommen auf Institute, Fachverbände und Fachgesellschaften zu?

Im Rahmen dieser Überlegungen will der Vorschlag zu Vorträgen auffordern, die sich in vielfältiger Weise mit dem Thema auseinandersetzen. Erwünscht sind sowohl Einreichungen zu fachspezifischen Fallstudien und interdisziplinären bzw. diachronen Vergleichen, als auch methodische und reflexive Beiträge zur Wissens- und Theoriegeschichte sowie Referate, die das eigene Forschungshandeln vor dem Hintergrund digitaler Entwicklungen reflektieren. Willkommen sind sowohl Vorschläge zu Einzelvorträgen als auch zu Sektionen. Diese sollten in der Regel in 30-Minuten-Einteilung angelegt sein, können aus drei oder vier Vorträgen bestehen (plus ggf. Moderation, bei drei Vorträgen gerne mit Kommentar) und sollten genügend Zeit für Diskussionen einplanen. Vorschläge für andere Sektionsformate werden mit Interesse geprüft.
Wie üblich können auch Vorträge und Sektionen vorgeschlagen werden, die sich nicht auf das Rahmenthema beziehen.
Vorschläge für Einzelvorträge sind mit Abstracts (max. 1 Seite) einzureichen, bei Sektionen sind die Abstracts der Einzelbeiträge und eine Zusammenfassung einzureichen. Die Beteiligung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist ausdrücklich erwünscht; bei gleicher Qualität werden Sektionen, die akademische Generationen überspannen, bevorzugt. Vorschläge sind bis zum 24. April 2016 zu richten an:

Dr. Susan Splinter
Schriftführerin der DGGMNT
NDB, Historische Kommission
b. d. Bayerischen Akademie d. Wissenschaften
Alfons-Goppel-Str. 11
80539 München
E-Mail: splinter@ndb.badw.de

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Susan Splinter

NDB, Historische Kommission b. d. Bayerischen Akademie d. Wissenschaften
Alfons-Goppel-Str. 11, 80539 München

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