Seit dem Thesenanschlag Martin Luthers, der als markanter Auftakt der europäischen Reformation gilt, sind fast 500 Jahre vergangen. In Kooperation mit der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin nimmt dies die Guardini Stiftung zum Anlass, in einer Reihe von Summer Schools nach der Bedeutung der Reformation für Theologie und Gesellschaft der Neuzeit und ihrem Nachwirken auf die Gegenwart zu fragen. Die erste Summer School in dieser Reihe wurde im letzten Jahr mit großem Erfolg in Rom abgehalten; die zweite wird nun vom 18.–30. Juli 2016 in Erfurt, dem Studien- und ersten akademischen Wirkungsort Martin Luthers, stattfinden. Zur Bewerbung eingeladen sind jüngere Wissenschaftler/-innen (Doktoranden, Post-Docs, Masterstudenten) aus allen einschlägigen Disziplinen. Eine Teilnahme an der ersten Summer School ist keine Voraussetzung für die Bewerbung.
Konzept
Gewöhnlich lesen wir das reformatorische und nachreformatorische Zeitalter als Geschichte unter dem Vorzeichen der konfessionellen Differenz: Es bildeten sich zumal im Deutschen Reich im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts Gemeinwesen aus, deren alle institutionellen Gestalten durchdringende Klammer eine konfessionelle Bindung des Landesherrn bzw. der im Rat vertretenen Bürgerschaft war – das sogenannte „Konfessionelle Zeitalter“ (Ernst Walter Zeeden, Bernd Moeller, Heinz Schilling, Wolfgang Reinhardt). Gerade die Forschung zum Konfessionellen Zeitalter hat aber auch gezeigt, wie viele parallele, ja, gleichartige Entwicklungen im Rahmen der verschiedenkonfessionellen Gemeinwesen stattgefunden haben, so dass man von gleichzeitigen Modernisierungsvorgängen unter gegenläufigen konfessionellen Vorzeichen gesprochen hat. Dabei kam es zu vielfältigen wechselseitigen Beeinflussungen auf den verschiedensten – kulturellen, religiösen und juristischen – Gebieten.
Eben diesen Einflüssen will die Sommerschule in Erfurt nachgehen. Sie zeigen sich in der Bildenden Kunst, in Literatur und Musik, im Kirchenbau, in der Liturgie, aber auch in der Wissenschaft, namentlich der Philosophie mit der in beiden Traditionen betriebenen Aristoteles-Rezeption; ja, selbst auf dem Ge-biet, auf dem die Differenz am ausgeprägtesten war, dem der akademischen Theologie, sind jenseits der scharfen Polemik wechselseitige Beeinflussungen unverkennbar.
Der zweite Aspekt, dem die Sommerschule nachgehen will, sind die in der Forschung behaupteten langfristigen „Kulturwirkungen“ der konfessionellen Bindungen, wie sie prominent vom Heidelberger „Eranos-Kreis“ um Ernst Troeltsch, Max Weber, Georg Jellinek und anderen vertreten wurden. Diese Wirkungen betreffen etwa die These von einem Zusammenhang von Protestantismus und Kapitalismus, die mit dem Aufkommen des Protestantismus verknüpfte Idee der Religionsfreiheit und der Formulierung der Menschenrechte oder die Nachzeichnung der unterschiedlichen kirchlichen und säkularen Sozialformen, die sich in den konfessionellen Traditionen ausbildeten („Soziallehren“).
Beide Aspekte des geplanten Programms hängen eng miteinander zusammen: Die Beeinflussungen gehen nicht einfach von religiösen Vorgaben aus, sondern vollziehen sich durch die wechselseitige Rezeption sozialer und kultureller Auswirkungen der jeweiligen religiösen Traditionen, die im Kontext der Rezipienten u.U. eine neue Bedeutung gewinnen.
Die Sommerschule verbindet wissenschaftliche Arbeit an den Vormittagen (Kurzvorträge der beteiligten Professor/inn/en; Textarbeit) mit Vorträgen und einem Kultur- und Besichtigungsprogramm. An den Nachmittagen und Abenden werden Exkursionen in die kulturell reichhaltige Landschaft von Erfurt und Umgebung (etwa Weimar, Eisenach, Schmalkalden, Gotha, Mühlhausen) angeboten. Ebenso sind Be-gegnungen mit gegenwärtigen Repräsentanten der konfessionellen Traditionen vorgesehen. Es ist für jeden Tag auch ein Zeitraum eingeplant, in dem die Stipendiaten ihre eigenen Forschungsinteressen vor- und zur Diskussion stellen können. Für die Seminarveranstaltungen wird rechtzeitig ein Reader mit Texten bereitgestellt.
Veranstalter
Träger der Summer School sind die Guardini Stiftung und die Guardini Professur an der Berliner Humboldt-Universität. Die Stiftung hat in der Vergangenheit maßgeblich hingewirkt auf die Wiedererrichtung des Guardini-Lehrstuhls, die 2004 an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin gelungen ist. Mit Blick auf ihre Ziele, Aktivitäten und die Zusammensetzung ihrer Gremien ist die Guardini Stiftung ökumenisch ausgerichtet und versteht sich auch als Plattform des Dialogs mit Vertretern der Weltreligionen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Romano Guardinis triadischen Ansatz (das Dreieck von Kunst, Glaube und Wissenschaft) in Forschung und Lehre nutzbar zu machen und mit einer Vielzahl von Veranstaltungen in den öffentlichen Diskurs zu tragen.
Teilnehmer
Eingeladen zur Bewerbung sind Doktoranden/innen, Post-Docs und Masterstudierende aus allen einschlägigen Fachrichtungen, insbesondere Theologie, Philosophie, Literatur- und Kunstwissenschaften, Geschichte etc. Eine konfessionelle Ausgeglichenheit wird vom Veranstalter angestrebt.
Teilnehmende aller Konfessionen und Weltanschauungen sind willkommen, vorausgesetzt wird jedoch ein originäres Interesse an Fragen, die mit der Theologie verknüpft sind.
Organisatorisches
Die Summer School wird geleitet von einem Team von ausgewählten Wissenschaftlern/-innen, dem Prof. Ugo Perone (Guardini Professor), Prof. Dorothea Wendebourg, Prof. Notger Slenczka, Prof. Martin Ohst, Prof. Michael Gabel u.a. angehören werden. Sie leiten zusammen mit weiteren Lehrenden die Summer School und stehen allen Teilnehmenden für Gespräche und Beratung zur Verfügung.
Für die zwei Wochen der Summer School organisiert das Kollegium gemeinsame Lektüre- und Seminarsitzungen. Außerdem wird es an mehreren Abenden Vorträge der Lehrenden oder von externen Gästen geben. Ebenso werden alle Teilnehmer Zeit haben, auch ihre eigenen Projekte und Ideen vor-zustellen. Alle Veranstaltungen werden genügend Raum für die Diskussion und gemeinsame kritische Auseinandersetzung bieten. Als zusätzliches und fakultatives Angebot werden wir gemeinsame reformationsbezogene Exkursionen zu ausgewählten Orten der Reformation vorbereiten.
Die Summer School wird in Deutsch gehalten, Vorträge und Diskussionen auf Englisch sind jedoch gerne willkommen. Internationale Interessenten (mit einer anderen Muttersprache als Deutsch) sind zur Bewerbung ausdrücklich eingeladen, sie sollten aber in der Lage sein, einer Diskussion in deutscher Sprache zu folgen.