Wenn Zukunft nicht mehr gleichbedeutend ist mit dem Weltgericht oder der Zeitspanne bis zu seinem Eintreffen, so ändert sich der Blick auf Kommendes entscheidend. Zukunft kann nur mehr als „leerer zeitlicher Raum“ (Koselleck) entworfen werden, was eine große Zahl von Institutionen und Praktiken auf den Plan ruft, die mit ihren wissenschaftlichen Modellen in Aussicht stellen, das Ungewisse möglicher Ereignisse und Entwicklungen in Planbarkeiten zu überführen: die demographische Entwicklung, den Klimawandel, die Energieversorgung, die Abschätzung von technischen und geopolitischen Folgeerscheinungen, nicht zuletzt die Ökonomie an der Börse. Die Vorhersage möglicher Zukünfte entsteht aus einer sich ständig verändernden und oft als bedrohlich empfundenen Gegenwart. Zukunft haben wir nur in ihren sozialen und gesellschaftlichen Konstrukten. Schon das divinatorische Wissen der Alten Welt mit seinen Orakelsprüchen hat niemals behauptet, eine zukünftige Wirklichkeit „wirklich zu sehen“, wohl aber das Sichtbare, Erkennbare und Plausible zur Perspektivierung von Macht und Moral benannt und beurteilt. Zukunftswissen ist Orientierungswissen. Das gilt bis heute für jederlei ‚Politikberatung‘. In den Mosse-Lectures soll das in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, in den Künsten und Religionen erforschte und imaginierte Zukunftswissen, auch das einzugestehende Nicht-Wissen, verhandelt werden: seine Herkunft, Geltung, Legitimierung und sein Einfluss: von der Wahrsagekunst im Alten Orient bis zu Big Data. Welches Selbstverständnis einer Gesellschaft zeigt sich in ihren Bezugnahmen auf die Zukunft? Welche rhetorischen, technischen und medialen Mittel zur Modellierung und Inszenierung von Zukunftswissen sind zu beobachten und zu analysieren? Welche kollektiven Wünsche und Ängste prägen seit der klassischen Apokalypse die Vorstellungen des ultimativ Zukünftigen?