Das von der DFG geförderte Wissenschaftliche Netzwerk „Lutherische Orthodoxie revisited. Konfessionelle Muster zwischen Identitätsverpflichtung und ‚Weltoffenheit‘“ führt vom 12. bis 14. Oktober 2016 an der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt seinen ersten von insgesamt fünf Workshops durch.
Das interdisziplinäre und internationale Netzwerk setzt sich eine Neubewertung der lutherischen Orthodoxie zum Ziel, die bis heute von der Forschung überraschend ambivalent bewertet wird. Auch wenn das alte Bild von der „toten Orthodoxie“ wissenschaftlich längst überholt ist, besteht über die Einschätzung ihrer Leistungen für das geistig-religiös-kulturelle Leben vom späten 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert noch immer keine Einigkeit. Dies überrascht umso mehr, als aktuelle Ansätze von einer gerade im Vergleich mit dem Katholizismus und Calvinismus spezifisch lutherischen Konfessionskultur sprechen. Mit diesem Begriff werden die Spannungen zwischen Identität, Beharrlichkeit der Institutionen, Deutungen und Praktiken auf der einen Seite und sich wandelnden historischen Bedingungen auf der anderen Seite als besondere kulturelle Konfiguration der lutherischen Orthodoxie beschrieben.
Das Netzwerk knüpft an diese Ansätze an, indem es anhand ausgewählter Aspekte sowohl nach der normativen, auf lehrmäßige Homogenität und Kontinuität abzielenden lutherischen Theologie (auch in ihrer universitären Verortung und Praxis) als auch nach den politischen, sozialen, kulturellen und religiösen Lebenswirklichkeiten der lutherischen Konfession fragt. Sie soll auf diese Weise in ihrer Bedeutung für die topische und systematische Weiterbildung der reformatorischen Theologie, für die Prägung des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens und für die Herausbildung einer spezifischen Formation der frühneuzeitlichen Religionskultur sichtbar gemacht werden. Ziel ist es, sie als zeitbedingte Antwort auf mentalitätshistorische Fragen zu verstehen, d.h. als eine historisch gebundene religiöse Ausdrucksform, die sich als Teil der allgemeinen Kultur stets mitveränderte.
Das Netzwerk wird sich vor allem den Themenfeldern „Die Theologie und ihre Akteure“, „Religion und Politik“, „Kirche und Bildung“ sowie „Lebenswelt und (materielle) Kultur“ widmen. Der erste Workshop dient der grundlegenden Klärung der verwendeten Begriffe, der theoretischen Rückversicherung hinsichtlich des gemeinsamen analytischen Instrumentariums sowie der ausgewählten Themenblöcke, um zu einer gemeinsamen Ausgangsbasis in einem interdisziplinären Kontext zu gelangen.
Teilnehmer/innen des Netzwerks in alphabetischer Reihenfolge: Dr. Sivert Angel (Oslo), Dr. Jürgen Beyer (Åbo, Finnland), Dr. Hendrikje Carius (Gotha), PD Dr. Kęstutis Daugirdas (Mainz), Dr. Daniel Gehrt (Gotha), Dr. Joar Haga (Oslo), Dr. Jan Van de Kamp (Bremen), PD Dr. Stefan Michel (Leipzig), Dr. Cornelia Rémi (München), Dr. Sascha Salatowsky (Gotha), Dr. Beate Agnes Schmidt (Hannover), Dr. Thomas Töpfer (Leipzig), Elena Tolstichin, M.A. (Hamburg) und PD Dr. Christopher Voigt-Goy (Mainz).
An dem ersten Workshop werden Prof. Dr. Thomas Kaufmann (Göttingen) und PD Dr. Christian Witt (Wuppertal) als Gäste teilnehmen. Ferner werden die beiden Doktoranden Rieke Schole (Osnabrück) sowie Mattias Skat Sommer (Aarhus, Dänemark) ihre Promotionsprojekte zur lutherischen Orthodoxie vorstellen.
Interessierte Gäste sind am 12. und 13. Oktober herzlich willkommen. Um Voranmeldung bis zum 7. Oktober 2016 wird gebeten.
Weitere Informationen zum Netzwerk finden sich auf dem Blog https://luthorth.hypotheses.org/
Das Netzwerk ist im Rahmen des von der DFG geförderten Projekts „Ausbau der Forschungsbibliothek Gotha zu einer Forschungs- und Studienstätte für die Kulturgeschichte des Protestantismus in der Frühen Neuzeit“ entstanden, das sich u.a. Initiativen zur stärkeren Erforschung der vorhandenen handschriftlichen und gedruckten Bibliotheksbestände zur lutherischen Orthodoxie zum Ziel gesetzt hat.