Handwerkliche Ökonomien und Gewerbeförderung in historischer Perspektive

Handwerkliche Ökonomien und Gewerbeförderung in historischer Perspektive

Veranstalter
Zentralverband des Deutschen Handwerks und Handwerkskammer Berlin
Veranstaltungsort
Bildungs- und Innovationszentrums der Handwerkskammer Berlin (BIZWA), Meyer & Wittwer-Bau, Bernau-Waldfrieden
Ort
Bernau
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.07.2017 - 21.07.2017
Deadline
31.10.2016
Website
Von
Jeggle, Christof

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat 2013 mit einer Veranstaltung in Berlin einen Diskussionsprozess angestoßen, um die Forschung zur Handwerksgeschichte zu beleben. Die Diskussion wurde 2015 mit der Tagung "Fokus Handwerk" im LWL-Freilichtmuseum Hagen fortgesetzt. Mit einer Tagung zum Themenfeld "Handwerkliche Ökonomien und Gewerbeförderung in historischer Perspektive" möchte der ZDH diese nun am 20./21. Juli 2017 im Bildungs- und Innovationszentrum der Handwerkskammer Berlin (BIZWA) in Bernau-Waldfrieden bei Berlin weiterführen.

Seit dem Mittelalter hatten Handwerker und Handwerksbetriebe einen wesentlichen Anteil an gewerblicher Produktion und Dienstleistungen. Da es sich bis heute überwiegend um kleine, teilweise auch mittlere Unternehmen handelte, deren Wirtschaftskraft insgesamt eher begrenzt war und sich innerhalb der Gewerke oder Branchen erheblich unterschied, lassen sich Debatten und Maßnahmen zur Förderung handwerklicher Gewerbe über die Epochen hinweg verfolgen.

Das Bild, das die Wissenschaft von handwerklichen Ökonomien im Spannungsfeld von Obrigkeit, Handwerksorganisationen und Handwerkern bislang entworfen hat, ist insbesondere auf den Konflikt zwischen Regulierung und Freiheit der Ausübung handwerklicher Tätigkeiten gerichtet. Die Aneignung praktischer handwerklicher Kompetenzen von häufig nur implizit vermitteltem Wissen und von Berufserfahrung war und ist durch die Qualifikationsstufen vom Lehrling über den Gesellen bis zum Meister und die damit verbundenen Lehr- und Ausbildungszeiten geprägt. In diesem Zusammenhang wird häufig die These vertreten, die Akteure der höheren Qualifikationsstufen seien regelmäßig bestrebt, den Berufszugang unter dem Vorwand zu reglementieren, Produkt- und Dienstleistungsqualität im jeweiligen Handwerk aufrecht zu erhalten, um tatsächlich jedoch das Ziel zu verfolgen, ihr soziales Prestige und die eigene betriebliche Existenz abzusichern. Die Kehrseite der dadurch bedingten wirtschaftlichen Nachhaltigkeit sei die Beschränkung ökonomischer Freiheiten und eine negative Haltung gegenüber Innovationen gewesen. Es wird darauf verwiesen, dass es in der Regel nur Meistern gestattet war, eine eigene Werkstatt zu betreiben, wobei die selbständige handwerkliche Tätigkeit von Frauen bis ins 20. Jahrhundert weitgehend eingeschränkt blieb. Selbst die Einführung der modernen Handwerksorganisationen ab 1897 /1900 wird als Erfolg der Handwerksinnungen und -verbände betrachtet, Schutzmechanismen für Handwerksbetriebe aufzubauen, auch wenn sich ihre Regulierungsgewalt nach Einführung der Gewerbefreiheit nur noch auf die Festsetzung beruflicher Qualifikationen beschränken konnte.

Das Bild von handwerklichen Ökonomien, das primär von der Frage nach An- oder Abwesenheit von Zwang, Reglementierung und Regulierung geprägt war, wird zunehmend in Frage gestellt: Ist Regulierung, und damit letztlich das unterstellte rückwärtsgewandte Weltbild der Handwerksorganisationen, ein geeigneter Zugang zum Verständnis vorindustrieller und industrieller Handwerkswirtschaft? Lassen sich neben dem Aspekt der Regulierung andere Bestrebungen zur gezielten Entwicklung bzw. Förderung handwerklicher Ökonomien feststellen?

Die Förderung von Ansiedlung und Entwicklung von Gewerbebetrieben wurde ursprünglich vor allem durch politische Obrigkeiten, nicht zuletzt aus fiskalischem Interesse, betrieben. Die Handwerker selbst mit ihren verschiedenen Formen der Selbstorganisation verfolgten ihrerseits Maßnahmen, um die Qualität der Produkte zu gewährleisten, Produktionsverfahren weiter zu entwickeln und Innovationen aufzunehmen und damit ihre Märkte und Betriebe zu stabilisieren. Bei den Maßnahmen zur Handwerksförderung wurde seit dem späten 17. Jahrhundert und verstärkt seit dem 19. Jahrhundert neben der praktischen betrieblichen Ausbildung den begleitenden und ergänzenden Schulungen und Fortbildungen handwerklicher Kompetenzen wie Produktgestaltung, Arbeitstechniken und Betriebsführung zunehmende Bedeutung zugemessen und durch spezielle Bildungseinrichtungen vermittelt. Dazu trat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Mittel von Ausstellungen und Sonderschauen zur Präsentation handwerklicher Produkte und Leistungen. Diese Maßnahmen zielten nicht auf Reglementierung, sondern auf Qualifizierung und konnten gerade in den Handwerksorganisationen Kräfte in großem Ausmaß binden.

Heute wird unter Gewerbeförderung im Handwerk eine ganze Bandbreite von Aufgaben der Handwerkskammern und -verbände subsumiert, die dazu dienen, die einzelnen Handwerksbetriebe betriebsstrategisch zu unterstützen und zu fördern. Das Spektrum von Beratungsschwerpunkten hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts innerhalb der Handwerksorganisationen ausdifferenziert. Zu Beginn der Geschichte der Handwerkskammern waren technische Beratung und Technologietransfer auf der einen und Formgebung bzw. Gestaltung auf der anderen Seite die beiden großen Beratungsschwerpunkte. Die aktuellen Themenfelder sind: Betriebsführung und Betriebsberatung, Umwelt-, Innovations- und Technologieberatung, Technologietransfer und Zulieferwesen, Messen und Ausstellungen, Außenwirtschaftsberatung, Entwicklungszusammenarbeit, Fachkräftesicherung, Berufsorientierung, Integration von Flüchtlingen, Formgebung und Gestaltung, Restaurierung und Denkmalpflege.

Die skizzierten empirischen Befunde lassen vermuten, dass Formen strategischer Unterstützung der Handwerksbetriebe durch die Handwerksorganisationen und seitens der Obrigkeiten bzw. des Staats lange vor der Prägung des heutigen Begriffs der Gewerbeförderung existierten. Mit der Konferenz wird daher der Versuch unternommen, diese empirischen Befunde, die bislang aus dem etablierten Bild ausgeblendet oder nicht miteinander in Bezug gesetzt wurden, zu integrieren und handwerkliche Ökonomien unter dem neuen Fokus, der "Gewerbeförderung" zu betrachten. Der Begriff wird dazu heuristisch verwendet und die Tagung geht von der zentralen Fragestellung aus: Welche Felder und Formen von Gewerbeförderung lassen sich für das Handwerk in der historischen Entwicklung nachweisen? Wer waren die Protagonisten? Welche Ziele verfolgten sie jeweils und welche Strategien bildeten sie aus? Welche Maßnahmen galten als geeignet, Gewerbe bzw. handwerkliche Betriebe "zu fördern"? In welchem Verhältnis standen "Förderung" und Regulierung? Erst im Vergleich der unterschiedlichen Befundlagen und Ansätze zur Gewerbeförderung lässt sich im Weiteren fragen: Gibt es über die Epochen hinweg Muster, die grundsätzliche Aussagen über das Zusammenspiel von Handwerksbetrieben, Handwerksorganisationen und Obrigkeit bzw. Staat und damit über die Handwerksökonomie allgemein gestatten?

Gesucht werden Beiträge mit empirisch fundierten historischen Fallstudien, die sich mit dem Themenfeld der Gewerbeförderung im Handwerk für Mittelalter und Frühe Neuzeit und insbesondere für den Zeitraum vom frühen 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, auseinandersetzen. Dabei geht es nicht nur um die Frage von Erfolg oder Misserfolg der Gewerbeförderungsmaßnahmen. Von Interesse ist auch, wie sich die einzelnen Handwerksbetriebe zu den Fördermaßnahmen und Einflussnahmen, sowohl von Seiten der Handwerksorganisationen als auch seitens der Obrigkeit bzw. des Staates, verhielten, und ob und wie sich ihre Produktionsbedingungen veränderten und welche Auswirkungen das wiederum auf Handwerksorganisationen und Obrigkeit bzw. Staat hatte.

Vorgesehen sind Vorträge von 20 Minuten Dauer mit anschließender Diskussion. Die Veranstaltung dient sowohl der wissenschaftlichen Diskussion des gegenwärtigen Stands der Forschung zum genannten Themenfeld als auch der Fortbildung im Rahmen der Informations- und Weiterbildungslehrgänge für Berater aus dem Handwerk.

Der Tagungsort, das Lehrgangs- und Seminargebäude ,Meyer & Wittwer-Bau' des Bildungs- und Innovationszentrums der Handwerkskammer Berlin (BIZWA) in Bernau-Waldfrieden, wurde als Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) 1928-1930 nach Entwürfen des Bauhaus-Architekten Hannes Meyer errichtet und ist heute ein Baudenkmal. Bernau liegt in der Nähe von Berlin und ist mit der S-Bahn zu erreichen. Der Transfer zum Tagungshaus wird organisiert. Die Kosten für Anreise und Übernachtung können nicht erstattet werden. Eine Publikation der Beiträge ist in einem Tagungsband vorgesehen, die Manuskripte sollten bis zum 31. Oktober 2017 vorliegen.

Vorschläge für Vorträge mit Titel, halbseitigem Abstrakt und kurzem "Lebenslauf" bitten wir bis zum 30. Oktober 2016 an beide Organisatoren Titus Kockel <kockel@zdh.de> und Christof Jeggle <c.jeggle@web.de> zu schicken. Für weitere Auskünfte zur Tagung stehen die Organisatoren gerne zur Verfügung.

Programm

Kontakt

Dr. Titus Kockel
Abteilung Gewerbeförderung
Referatsleiter Kultur, Messen, Gestaltung, Denkmalpflege
Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)
Mohrenstraße 20/21
D-10117 Berlin
kockel@zdh.de

Dr. Christof Jeggle
Bamberg
c.jeggle@web.de