Ästhetiken der Liminalität. Die transformative Kraft von Werken der bildenden Kunst in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Ästhetiken der Liminalität. Die transformative Kraft von Werken der bildenden Kunst in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Veranstalter
DFG-Forschergruppe 1703 „Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst“, Teilprojekt A1 „Ästhetiken des fremden Heiligen“
Veranstaltungsort
Freie Universität Berlin, Kunsthistorisches Institut, Koserstraße 20, 14195 Berlin, Raum A 163
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.10.2016 -
Deadline
26.10.2016
Von
Saviello, Alberto

Ästhetiken der Liminalität. Die transformative Kraft von Werken der bildenden Kunst in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Ein Workshop des Projektes A1 „Ästhetiken des fremden Heiligen“ der DFG Forschergruppe 1703 „Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst“ an der Freien Universität Berlin

- For English version see below -

Liminalität bezeichnet eine Schwellen- und Transformationsphase, die die alltägliche Ordnung, ihre Werte und Symbole temporär destabilisiert, außer Kraft setzt oder in ihr Gegenteil verkehrt. In gesellschaftlichen Übergangsriten, wie Hochzeiten, Beisetzungen, Investituren, etc., geht die Phase der Liminalität mit einer kurzzeitigen Aussetzung sozialer Hierarchien und Vorschriften einher, die einen Moment spontaner Vergemeinschaftung (communitas) hervorrufen kann und es Individuen oder Gruppen ermöglicht, nach der Wiedereinsetzung der Ordnung, d.h. in der post-liminalen Phase, einen anderen sozialen Status einzunehmen. Das Arbeitstreffen fragt nach der Funktion von Werken der bildenden Kunst in derartigen sozialen Schwellenzuständen. Zwei Aspekte stehen dabei besonders zur Diskussion: Einerseits möchten wir den konkreten Einsatz von Kunst- und Bildwerken in liminalen Räumen bzw. bei der Erzeugung und Abwicklung von Schwellensituationen untersuchen, andererseits danach fragen, inwieweit die Werke selbst als Medien der Liminalität bzw. als Objekte liminaler Erfahrung beschrieben werden können.
Ein zentrales Untersuchungsfeld bietet die Inszenierung multisensueller Erfahrungen während ritueller oder liturgischer Handlungen, die in architektonischen, die sinnliche Wahrnehmung strukturierenden Rahmen stattfinden. Das sind beispielsweise Orte wie Grabkapellen, Kreuzgänge oder Vorhallen, die Bestattung und Totenkult dienen. Inwiefern sind die für diese Räume bestimmten Kunstwerke – Grabmäler, Wandbilder oder Mobiliar – auf die dort verhandelten ‚Ausnahmezustände‘ und das rituelle Zusammenspiel von Sprache, Musik, Geräuschen, rhythmischer Bewegung, Lichteffekten und Gerüchen hin konzipiert? Welche Bedeutung erhalten die Werke (mit ihren immanenten ästhetisch-semantischen Strukturen) im Kontext der jeweiligen rituellen Handlungen und der durch sie gestifteten bzw. affirmierten gesellschaftlichen Ordnungen?
Seitens der Kunstwissenschaften ist das von der Ritualforschung entwickelte Konzept der Liminalität auf die Analyse künstlerischer Objekte übertragen und ästhetische Erfahrung selbst als Schwellenerfahrung beschrieben worden. Ist den Kunstwerken mithin ein liminales Potential inhärent, das im Vorgang ihrer rituellen Einbindung und Wahrnehmung freigelegt und akzentuiert wird? Spricht nicht gerade die Dauerhaftigkeit künstlerisch fixierter Zeichen vielmehr dafür, dass Kunstwerke primär einer Stabilisierung der herrschenden gesellschaftlichen Ordnung dienen? In einem zweiten Schritt möchten wir daher diskutieren, unter welchen Voraus- und Zielsetzungen Objekte der bildenden Kunst gesellschaftliche Kräfte entfalten und ob es Formen und Ausdrucksmodi gibt, die darauf angelegt sind, liminale Erfahrungen hervorzurufen oder zu befördern.

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Aesthetics of Liminality: The Transformative Power of Works of Art in the Late Middle Ages and Early Modern Era

Workshop for the project A1 “The Charisma of the Foreign. The Aesthetics of Religious Exchange in the Late Medieval and Early Modern World” by the DFG research group 1703 “Transcultural Negotiations in the Ambits of Art”

Liminality refers to a phase of transition and transformation that temporarily destabilizes, overrides, or negates the everyday order, its values and symbols. In social rites of passage such as weddings, burials, investitures, etc., the phase of liminality coincides with a temporary suspension of social hierarchies and rules that can bring about a moment of spontaneous communitization (communitas) and allows individuals or groups to take on another social status after the reinstatement of the order, in the postliminal phase. This workshop will examine the function of works of art in these kinds of social threshold situations. Two aspects in particular will be discussed: on the one hand, we would like to examine the concrete use of works of art and pictures in liminal spaces or in the creation and conducting of threshold situations, and on the other hand we will ask to what extent the works themselves can be described as media of liminality or as objects of liminal experience.
The staging of multisensory experiences during ritual or liturgical acts that take place in architectural contexts that structure sensory perception will be a central area of examination. These include places such as burial chapels, cloisters, or porticos that are used for burials and veneration of the dead. To what extent are the artworks intended for these spaces—gravestones, murals, or furnishings—conceived with the “exceptional circumstances” negotiated there and the ritual interplay of language, music, noises, rhythmic movement, lighting effects, and smells in mind? What significance do the works (with their inherent aesthetic and semantic structures) gain in the context of the respective ritual acts and the social orders created or affirmed by them?
Art theorists have applied the concept of liminality developed in ritual studies to the analysis of art objects and have described aesthetic experience itself as a threshold experience. Do artworks thus have an inherent liminal potential that is revealed and accentuated in the process of their ritual integration and perception? Moreover, does this enduring quality of artistically fixed symbols itself not attest to the fact that artworks primarily serve to stabilize the dominant social order? Thus, in a second step, we would like to discuss the prerequisites and goals under which art objects can unleash social powers and whether there are forms and modes of expression that are intended to bring about or promote liminal experiences.

Programm

Programm

09:30
Eröffnung des Arbeitstreffens und offizielle Begrüßung
Prof. Dr. Klaus Krüger (Berlin, Freie Universität)

09:40
Einführung in die Thematik
Dr. Alberto Saviello (Berlin, Freie Universität)

10:00
Ästhetische Erfahrung als Schwellenerfahrung – Kunstprozesse als Transformationsprozesse
Prof. Dr. Dr. h. c. Erika Fischer-Lichte (Berlin, Freie Universität)

10:50
Kaffeepause

11:10
Der Besessene und der Bootsmann. Schwellen in Vittore Carpaccios Historie für die Scuola Grande di San Giovanni Evangelista
Dr. Stefan Neuner (Basel, eikones NFS Bildkritik)

12:00
Investituren der Transfiguration. Das Retabel von San Salvador in Venedig
Prof. Dr. David Ganz (Zürich, Universität Zürich)

12:50
Mittagspause

13:45
Einführung in den Nachmittag
Dr. Christine Ungruh (Berlin, Freie Universität)

14:00
Sight, Sound and the Spaces of the Tomb in Late-Medieval England
Dr. Jessica Barker (Norwich, University of East Anglia)

14:50
De profundis: How the Early Christian Desert Fathers Affect the Olivetans and their Funerary Rites at Monte Oliveto Maggiore in the 14th and 15th Centuries
Dr. Christine Ungruh (Berlin, Freie Universität)

15:40
Kaffeepause

16:00
Spätmittelalterliche Prozessionen als anamnetische Figuren: Liturgiewissenschaftliche Beobachtungen zur Lichterprozession am Fest Purificatio Mariae (2. Februar)
Prof. Dr. Jürgen Bärsch (Eichstätt, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

16:50
Begnadete Kunst? Der Einsatz von Gnadenbildern in der katholischen Mission in Indien im 17. Jahrhundert
Dr. Alberto Saviello (Berlin, Freie Universität)

17:40
Abschlussdiskussion

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Um Anmeldung wird gebeten:
aberto.saviello@fu-berlin.de
christine.ungruh@fu-berlin.de

Kontakt

http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/transkulturell/