Von der Künstlerkritik zur Kritik der Kreativität: Subjektivierungen in Forschung und Praxis

Von der Künstlerkritik zur Kritik der Kreativität: Subjektivierungen in Forschung und Praxis

Veranstalter
Universität Duisburg Essen. Promotionskolleg "Die Arbeit und ihre Subjekte: Mediale Diskursivierungen seit 1960"
Veranstaltungsort
Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI)
Ort
Essen
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.10.2017 - 14.10.2017
Deadline
31.05.2017
Von
Franziska Schaaf

Ende der 1990er Jahre beschrieben Luc Boltanski und Ève Chiapello anhand der Künstlerkritik der 1960er Jahre, wie ursprünglich als Infragestellung des Kapitalismus artikulierte Argumente in dominante Strategien im „Neuen Geist des Kapitalismus“ verkehrt wurden (2003 [frz. Orig.: 1999]). Auch ‚Kreativität‘ als einer der zentralen Begriffe der Künstlerkritik hat diese Entwicklung durchlaufen. Seine Karriere wurde in den beiden vergangenen Jahrzehnten aus verschiedenen Blickwinkeln intensiv erforscht und mittlerweile steht er selbst in der Kritik. Bereits seit den späten 1990er Jahren fasst Angela McRobbie etwa im Hinblick auf Gender oder Populärkultur Kreativität als Regulierungsform im Neoliberalismus auf und thematisiert dies in ihrer aktuellen Arbeit (2015) als ‚Kreativitätsdispositiv‘. Dieser Begriff ist in der deutschsprachigen Debatte vor allem von Andreas Reckwitz geprägt, der in einer kultur-soziologischen Studie (2012) den subjektiven Wunsch und gesellschaftlichen Imperativ kreativ zu sein als kennzeichnend für die Gegenwart herausstellt. stärker fokussiert auf Subjektivierung beschreibt Ulrich Bröcklings Konzept des „Unternehmerischen Selbst“ (2007) eine diskursive Formation, die Subjekte dazu anhält, sich u.a. in den Bereichen Kreativität, Flexibilität und Projektisierung ständig selbst zu optimieren. Seit einiger Zeit interessiert sich auch die empirische Sozialforschung, wie etwa Alexandra Manske (u.a. 2016) aus Perspektive der Ungleichheitssoziologie, vermehrt für die Arbeitsweisen in der Kreativwirtschaft. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Arbeitsweisen und -bedingungen von ‚Kreativen‘ im Neoliberalismus findet sowohl auf theoretischer als auch praktischer Ebene statt: So analysiert Bojana Kunst (2015) am Beispiel von Künstler/innen die spezielle Zeitlichkeit sowie Subjektivitäten, die mit projekthaftem Arbeiten einhergehen; in vielseitigen Projekten wie „kleines postfordistisches Drama“ (kpD) erforscht Marion von Osten an der Schnittstelle von künstlerischer und wissenschaftlicher Praxis die Bedingungen der Produktion von Kultur, ihre Politik und Techniken des Selbst.
Während also manche der Studien die tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt aus einer genealogischen oder narratologischen Perspektive beschreiben, fokussieren andere Projekte die Arbeits- und Lebensrealitäten im Rahmen praxeologischer empirischer Studien.

Diese und andere Ansätze der Kreativitätsforschung mit ihren jeweiligen Schwerpunkten möchte die Konferenz in Austausch bringen, um neue Perspektiven auf das Forschungsfeld zu eröffnen und darüber hinaus den Dialog mit in der Kreativwirtschaft Tätigen selbst zu suchen. Dabei sollen Subjektivierungen im Bereich kreativer Arbeit den Ausgangspunkt bilden, um Kreativität als Paradigma vieler Arbeits- und Lebensformen im ‚neuen Kapitalismus‘ zu diskutieren. So werden die Bedingungen gegenwärtigen kreativen Arbeitens vielfach als Modell für die Erosion von Normalarbeitsverhältnissen betrachtet bzw. kreative Subjekte als ‚Vorreiter‘ für die gesamte neoliberale Gesellschaft angesehen. Ob dies zutrifft und inwiefern das Konzept der Kreativität dadurch sein kritisches Potenzial verliert oder dieses neu interpretiert wird, sind zentrale Fragen der Konferenz.

Willkommen sind Perspektiven verschiedener Disziplinen und unterschiedliche methodische Ausrichtungen
ebenso wie Ansätze praxisorientierter Kritik (z.B. von Verbänden, Initiativen oder in Form aktivistischer sowie
künstlerischer Positionen).

Wir laden zu einem Austausch entlang folgender Themenfelder ein:
- 'Neuer Kapitalismus': Welche Subjektivierungsformen, auch außerhalb der Kreativ- und Wissensberufe, tragen zu einer weitergehenden Erosion des Normalarbeitsverhältnisses bei? Wie kann das Normalarbeitsverhältnis selbst als diskursive Konstruktion – gerade als Kontrapunkt zu Kreativität und Projektisierung – verstanden werden? Wie ist das Zusammenspiel von Deregulierung, Projektisierung, Flexibilisierung und Prekarisierung gerade auch außerhalb der genannten Branchen sowie außerhalb der Lohnarbeit mit Konzepten wie ‚Arbeit als Lebenssinn‘ und dem Kreativitätsdispositiv zu erklären?

- Reaktionen auf und Alternativen zum Kreativitätsimperativ: Welche Arbeits- und Lebensentwürfe sowie Subjektivierungspraktiken sind jenseits des ‚Ständig-kreativ-sein-Wollens‘ denkbar? Welche Bedeutungen können Nicht-Arbeit, Arbeitslosigkeit und Eskapismus in diesem Kontext erhalten? Welche Rolle spielen ältere Konzepte von Solidarität (z.B. gewerkschaftliche Interessenvertretung) gegenüber neueren Formen der (temporären) Organisation in Netzwerken und wie wirksam sind diese im Hinblick auf Veränderungen der Arbeitsmarktverhältnisse? Inwieweit und wodurch bleibt die ursprüngliche Absicht der Künstlerkritik erhalten, mittels kreativer Produkte politische Machtverhältnisse zu verändern oder zumindest auf Missstände hinzuweisen?

- Erzählungen / mediale Darstellungen: Inwiefern verhandeln, kritisieren oder konstruieren Narrationen Subjekte kreativer Arbeit und die Entwicklung der Strukturen, in denen sie tätig sind? Wie werden tiefgreifende Veränderungen wie Flexibilisierung, Projektisierung oder Entgrenzung von Arbeit in Literatur, Film, Fernsehen, Popkultur, etc. aufgegriffen? Inwiefern können Medien für subversive Strategien genutzt werden?

- Kreative Selbstautorschaft und ihre Folgen: Welche Rolle spielt Kreativität als gesellschaftliche Anerkennungsressource? Welche (Unterschiede in den) Spielarten der kreativen Identitätsarbeit bzw. welche Inszenierungspraktiken lassen sich in u.a. Lebenslaufgestaltung, Casting-Shows, Sozialen Medien oder Computerspielen ausmachen? Lassen sich Beziehungen zwischen der andauernden kreativen Selbstautorschaft, sozialer Eingebundenheit und gesundheitlichem Wohlbefinden herstellen?

- Kreativität als Privileg? Intersektionalistische Perspektiven: Welche Rolle spielt die Trias von race/class/gender bei der Untersuchung von Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse im kreativen Bereich? Für welche Personen traf oder trifft die Aufladung von Kreativität als Distinktionsmerkmal und Ausdrucksmittel wie zu? Sind Frauen, POC oder Arbeiter/innen in unterschiedlichem Ausmaß vom Kreativitätsdispositiv und seinen Subjektivierungpraktiken betroffen? Inwiefern wirkt sich die Zunahme von Projektisierung und Entgrenzung auf Reproduktionsarbeit oder die Arbeit politischer Aktvist/innen aus? Sind race, class und gender (etwa unter dem Label ‚Diversity‘) womöglich selbst zu produktiven Kategorien von Kreativität geworden?

Für die Vorträge stehen jeweils 20–30 Minuten zur Verfügung. Interessent/innen sind eingeladen, Abstracts
(max. 400 Wörter) sowie eine Kurzbiografie (max. 150 Wörter) bis zum 31. Mai 2017 an das Organisationsteam
kritik-und-kreativitaet@uni-due.de zu senden. Eine Rückmeldung erhalten Sie bis Ende Juli 2017. Die Konferenzsprache ist Deutsch; Vorträge können jedoch auch auf Englisch gehalten werden. Zudem ist geplant, einen Sammelband zur Konferenz zu publizieren. Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.uni-due.de/promotionskolleg_arbeit/konferenz_kreativitaet

Die Teilnahme an der Konferenz ist kostenlos. Falls Sie als Teilnehmer/in keine institutionellen Mittel geltend
machen können, wenden Sie sich bitte an uns. Nach Möglichkeit werden wir Reise- und/oder Übernachtungskosten bezuschussen, können dies aber nicht garantieren.

Programm

Kontakt

Franziska Schaaf

Promotionskolleg „Die Arbeit und ihre Subjekte“ Universität Duisburg-Essen

franziska.schaaf@stud.uni-due.de

https://www.uni-due.de/promotionskolleg_arbeit/konferenz_kreativitaet
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Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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