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Es herrscht aktuell gewiss kein Mangel an Konferenzen, Sammelbänden und Überblicksdarstellungen zum Thema Europäisierung. Vielmehr scheint es, als ob die Intensität der Forschung analog mit der Krise der EU anwächst. Auf der Suche nach Erklärungen für Brexit und Neo-Nationalismus, für Strukturschwäche und Demokratiedefizit supranationalen Regierens in Europa hat auch die Geschichtswissenschaft Europäisierung als einen Kernprozess der jüngeren europäischen Zeitgeschichte erkannt. Nichtsdestotrotz herrscht weiter ein frappierender Mangel nicht nur an empirischen Fallstudien, sondern auch an konzeptioneller Klarheit bezüglich des Forschungsparadigmas „Europäisierung“.
Die vom Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen am Fachbereich Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung der Karl-Franzens-Universität Graz ausgerichtete 10. Jahreskonferenz des Research Network on the History of the Idea of Europe will sowohl empirische Bausteine einer Geschichte der Europäisierung sammeln als auch zur definitorischen Schärfung beitragen. Konkret fragt sie nach der Verbindung von Europaideen und Prozessen der europäischen Verflechtung im Sinne einer Europäisierung vom 18. Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit – im Bewusstsein, dass solche Prozesse immer auch von Gegenprozessen der Entflechtung und Desintegration begleitet, gebremst oder abgelöst werden können. Durch den Fokus auf Praktiken und Akteure der Europäisierung strebt die Konferenz an, den ideengeschichtlichen und den praxeologischen bzw. integrationsgeschichtlichen Teil der Europaforschung stärker zusammenzuführen, die bislang zu häufig getrennt voneinander standen.
Von Relevanz sind Beiträge unter anderem, aber nicht ausschließlich, zu folgenden Themenbereichen:
1.) Theorie(n) der Europäisierung: Wir interessieren uns für programmatische Beiträge, die versuchen, das Phänomen der Europäisierung als historiographischen Forschungsgegenstand zu konturieren. Dabei gilt es insbesondere auch, das Verhältnis von geschichtswissenschaftlicher Europaforschung zu anderen geistes-, sozial- und rechtswissenschaftlichen Disziplinen zu hinterfragen.
2.) Auf empirischer Ebene gilt es, Akteure, Orte und Arenen der Europäisierung auszuleuchten: Neben Aspekten der supranationalen, politischen Vereinigung Europas wären in diesem Zusammenhang insbesondere auch Beiträge zu anderen Feldern wünschenswert: Wie lässt sich eine Geschichte der Europäisierung von Wirtschaft, Recht, Zivilgesellschaft, Sport, Infrastruktur, Medien oder auch der Geschlechterbeziehungen seit dem 18. Jahrhundert schreiben? Wie reagierten Akteure in diesen Feldern auf entsprechende Prozesse des Wandels? Welche alternativen Europaräume jenseits der Europäischen Gemeinschaften/EU wurden durch Momente der Europäisierung geschaffen? Welche Binnengrenzen in Europa wurde durch Europäisierung gezogen, etwa mit Blick auf die durch den Kalten Krieg bestimmte ungleiche Entwicklung von West- und Osteuropa nach 1945?
3.) Besonders einschlägig für die Konferenz sind Beiträge, die nach dem Zusammenwirken und den Wechselbeziehungen zwischen Ideen und Praktiken der Europäisierung fragen. So ist bislang von der europäischen Kultur- und Ideengeschichte nur unzureichend erforscht worden, wie die wachsende strukturelle Verdichtung in Europa und europabezogene Deutungen zusammenhingen. Trieben EuropadenkerInnen aktiv die Integration Europas voran und wenn ja, wie, wann und warum? Sorgte die wachsende strukturelle Verflechtung Europas umgekehrt für gesamteuropäische Denkstrukturen sowie ein größeres Europabewusstsein oder konnte sie mitunter sogar Gegenteiliges bewirken? In welchem Verhältnis steht Europäisierung zu anderen Raumkonzepten wie „Region“ oder „Nation“ sowie zu anderen gesellschaftlichen Transformationsprozessen wie Internationalisierung oder Globalisierung?
4.) Ein vierter Themenblock soll die Erfahrungswelten der Europäisierung behandeln. Wie beeinflussten Aspekte einer Europäisierung Lebenswelten und Alltag von EuropäerInnen seit dem 18. Jahrhundert? Kam es zur Ausprägung eines gemeinsamen Erfahrungsraumes innerhalb der europäischen Regionen und Nationen und wie sah dieser ggf. aus? Entstand durch Facetten der Europäisierung eine kollektive Identität Europas und wo liegen deren Bezugspunkte und Grenzen?
Bitte senden Sie Ihre Vortragsvorschläge (englischsprachiges Abstract mit max. 300 Wörter, Titel und Kurzbiographie) bis 31. Mai 2018 an rechtsgeschichte@uni-graz.at. Interessierte werden bis zum 31. Juli 2018 informiert, ob ihr Beitrag in das Programm aufgenommen wird. Bitte beachten Sie: Interdisziplinäre Beiträge sind zwar grundsätzlich willkommen, aber der Fokus der Tagung soll auf geschichtswissenschaftlichen Ansätzen und Perspektiven in all ihrer methodischen Breite (z.B. kultur- und sozialhistorisch, ideen-, rechts-, wirtschafts-, technik-, sportgeschichtlich) liegen. Eine (teilweise) Übernahme der Hotel- und Reisekosten von Vortragenden ohne eigene institutionelle Mittel wird angestrebt, kann zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht garantiert werden – Interessierte werden über den Stand der Finanzplanungen rechtzeitig informiert.
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At present there is certainly no dearth of conferences, anthologies and overviews dedicated to the topic of Europeanization. On the contrary, we see a level of research intensity that appears to be keeping pace with the present EU crisis. In the search to find explanations for the Brexit, for neo-nationalism, for the structural weaknesses and democratic deficiencies of supra-national governance in Europe historiography, too, did recognize Europeanization as a core process of recent European history. Nevertheless, there is still a striking paucity not only of case studies, but also of conceptual clarity in regard to the research paradigm of “Europeanization”.
The tenth annual conference of the Research Network on the History of the Idea of Europe, hosted by the Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen (Institute of the Foundations of Law) in the Fachbereich Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung (Department of Legal History and the Development of European Law) at University of Graz, plans to compile a list of empirical building blocks of the history of Europeanization and to work on improving definitional clarity as well. Specifically, the conference will explore how ideas of Europe and processes of integration in the sense of Europeanization from the 18th century until the recent past were intertwined – always keeping in mind that such processes can be accompanied, slowed down or displaced by counter-processes of disentanglement and disintegration. By focusing on the practices and agents of Europeanization, the conference will strive to join those aspects of European studies concerned respectively with the history of ideas and the history of praxeology/integration, fields that had previously stood apart from one another in too many cases.
The themes listed below are the most relevant, but not necessarily to the exclusion of others:
1.) Theory/ies of Europeanization: We are interested in receiving programmatic contributions that outline the phenomenon of Europeanization as a historiographical object of research. It would be particularly productive to question the relationship between historiographical European research and other disciplines within the humanities, legal and social sciences.
2.) On the empirical level, agents, places and arenas of Europeanization must be highlighted: In addition to papers dealing with aspects of the supranational, political unification of Europe, proposals touching other fields would be especially welcome, e.g.: How can one chronicle a history of Europeanization within economics, law, civil society, sports, infrastructure, the media as well as gender relations from the 18th century onward? How do actors in these fields react to respective processes of change? Which alternate European spaces beyond the EU were created by moments of Europeanization? Which internal borders have been drawn by Europeanization, for example with regard to the unequal development of Western and Eastern Europe after 1945 as a consequence of the Cold War?
3.) Especially relevant for the conference are analyses of the collaboration and interrelation between ideas and practices of Europeanization. Hitherto scholars concerned with the history of European ideas have often failed to research the connection between growing structural consolidation in Europe and Europe-related interpretations adequately. Have European thinkers actively advanced European integration, and if so, how, when and why? Conversely, has the increasing structural consolidation of Europe supported pan-European thought structures and greater European consciousness, or has it sometimes triggered the exact opposite? How does Europeanization relate to other spatial concepts like “region” and “nation” and to other transformational, society-impacting processes like internationalization and globalization?
4.) A fourth set of themes shall address the experiential sphere of Europeanization. How have aspects of Europeanization influenced the circumstances and daily life of Europeans since the 18th century? Did they help to form a common realm of experience within the regions and nations of Europe, and if so, what did it look like? Have facets of Europeanization facilitated the creation of a collective European identity, and what are its reference points and limits?
Please send your proposals (max. 300 words, with a title and a short biography) to rechtsgeschichte@uni-graz.at before 31st May 2018. Applicants will be notified if their contribution has been accepted by 31st July 2018. Please note that interdisciplinary contributions are welcome in principle, but the focus of the conference will be on historical approaches and perspectives across a broad methodological spectrum (e.g. cultural and social history; the histories of ideas, law, economics, technology and sports). Depending on conference funding, the organizers aim to (partly) cover costs for accommodation and travel for invited speakers without institutional resources. Those concerned will be informed as soon as possible.