[English version below]
In der Vergangenheit wurden aus historisch gewichtigen Gründen jeder Bestrebung, Genozide mit anderen staatlich organisierten Verbrechen zu vergleichen, Unbehagen oder gar Abstrafung entgegengebracht – man denke etwa an den Historikerstreit. Wie sich spätestens seit Michael Rothbergs Monographie Multidirectional Memory (2009) gezeigt hat, sind heute hingegen intellektuell fruchtbare und ethisch wünschenswerte Debatten zwischen Opfernachkommen möglich. Die gegenwärtigen geopolitischen Entwicklungen in Europa erfordern geradezu neue Formen der Erinnerung an Shoa und Kolonialismus – vielleicht gerade in Deutschland. Rothberg demonstriert, dass vergleichende Erinnerung nicht notwendigerweise der Logik eines von (Opfer-) Konkurrenz bestimmten Nullsummenspiels folgen muss, und räumt gleichzeitig ein, dass ein simplifizierender Vergleich verschiedener Fälle historischer Gewalt zu inadäquaten Relativierungen und Geschichtsrevisionismus führen kann.
Auch andere TheoretikerInnen kritisieren das Denken in Opferkonkurrenzen und Erinnerungshierarchien und suchen nach neuen Wegen dessen, was wir „Ko-Erinnern“ nennen. Hier sei auf Aleida Assmann (2013) hingewiesen, die neben multidirectional memory auch dialogische und inklusive Modelle skizziert. Solche neuen Wege der Ko-Erinnerung fordern unsere Denkgewohnheiten heraus, insofern sie die Vorstellung hinter sich lassen, dass jeglicher Vergleich anderer historischer Gewaltverbrechen mit der Shoa ihrer Trivialisierung gleichkommt. Gleichzeitig bringen sie neue Erinnerungsformen hervor und bergen die Chance, einen neuen Blick auf ältere Texte und Phänomene zu werfen. All diese Gesichtspunkte lassen sich kontrovers diskutieren.
Die Ziele unserer Konferenz sind dreierlei. Zum einen wollen wir deutschsprachige Beispiele für Äußerungen des Ko-Erinnerns zusammentragen und in den Fokus rücken. In diesem Zusammenhang lassen sich auch (historische) Diskurse des (scheinbaren) Ko-Erinnerns, die vielmehr eine Opferkonkurrenz reaktualisieren, kritisch hinterfragen. Zum Zweiten fragen wir nach vergleichbaren Beispielen aus anderen Sprachräumen. Unsere Tagung trägt französische, italienische, zentral- und osteuropäische Perspektiven zusammen. Der dritte Schwerpunkt vereint Beiträge, die fiktionstheoretische mit gedächtnistheoretischen Ansätzen verknüpfen. Vermag es die Gedächtnisforschung etwa, die gesellschaftliche Bedeutung von Fiktionalität zu analysieren, die Shoafiktionen in ganz anderem Maße als anderen zuzukommen scheint? Lassen sich andersherum fiktionstheoretische Probleme wie die Integration historischer Fakten in die Fiktion durch gedächtnistheoretische Ansätze neu in den Blick nehmen?
Die Tagung soll die Forschung zum Konzept der Ko-Erinnerung im deutschsprachigen Raum anstoßen. Auf der einen Seite hat Rothberg Möglichkeiten der Multidirectional Memory in französisch- und englischsprachigen Kontexten (Sklaverei, Kolonialismus, etc.) eruiert; auf der anderen Seite wurden in der Vergangenheit Vorstöße zur (vermeintlichen?) Ko-Erinnerung im deutschsprachigen Kontext ablehnend aufgenommen (Flucht und Vertreibung, der Historikerstreit, etc.) Wie oben angemerkt, gab es für diesen Skeptizismus gewichtige Gründe, gleichwohl wollen wir sowohl das Vorhandensein als auch den positiven Wert einer solchen Perspektive neu überdenken, oder zumindest ihre ethischen und akademischen Potentiale ausloten.
Wir bitten um Anmeldung unter folgendem Link: https://grk1767.wufoo.com/forms/m1a228ps05vk6en/
[Conference] Co-memoration: Limits, Challenges, and Possibilities in Contemporary Shoah Remembrance
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 19-21 April 2018
Organisers: Daniela Henke & Tom Vanassche
The current geopolitical realities in Europe have given cause to new forms of commemorating the Shoah and colonialism, perhaps especially in Germany. Whereas traditionally any endeavours at comparison between instances of genocide and other state-ordered atrocities has been met with suspicion (not, as the case of the Historikerstreit demonstrates, always unwantedly so) or even contempt. Yet at the latest since Michael Rothberg’s Multidirectional Memory (2009) the case for intellectually fruitful and ethically successful dialogues between victims’ descendants has been made. Rothberg demonstrates that commemoration need not be a competitive endeavour with a zero-sum game logic, while acknowledging that an oversimplified comparison of instances of violence may lead to unethical relativizing and ahistorical commemoration.
Other theoreticians have similarly challenged this logic of competition. One may think of Aleida Assmann’s (2013) outline of not merely the multidirectional paradigm, but also of alternative dialogical and inclusive models of commemoration. We argue that all these innovative ways of co-memoration challenge our habitual ways of thinking, since they refute the notion that to compare the Shoah to other instances of mass violence is to trivialise the Shoah. New discourses emerge, and older texts and phenomena may be analysed anew. These new points of view are, however, subject to controversy and debate.
The aim of our conference is threefold. Firstly, we want to consider more instances of com-emoration within German-speaking countries. In a similar vein, (historical) discourses of (purported) co- memoration, which may rather evoke a renewed competition between groups of victims, need to be critically assessed. Secondly, we are looking for similar examples from other languages, which will – based on the applications and the papers to be delivered, stem mainly from the French, Italian, and Central and Eastern European perspectives. Thirdly, we are very much looking forward to contributions which link theories of fiction to theories of commemoration. Does the field of Memory Studies reflect on the social status of fiction, which in the case of the Shoah seems to be defined and discussed differently from other topics? Conversely, may theorists of fiction approach questions such as the integration of historical facts in fictional narratives differently by taking insights from the field of Memory Studies into account?
The conference ought to be a starting point for the study of co-memoration in the German-speaking world. On the one hand, Rothberg has demonstrated the possibilities of multidirectional memory for the French and English-speaking contexts (slavery, colonialism, Marxist as well as more traditionally bourgeois-liberal theory); on the other hand, instances of (purported) co-memoration have been discredited in the German context (war refugees, the air war, the Historikerstreit, etc.) As noted above, there were very often profound reasons for such scepticism, but we wish to re-assess both the presence and the desirability (or at least the ethical and academic potentialities) of such practices.
We ask you to register under the following link:
https://grk1767.wufoo.com/forms/m1a228ps05vk6en/