Regionalgeschichte der Macht im langen 19. Jahrhundert

Regionalgeschichte der Macht im langen 19. Jahrhundert

Veranstalter
Niederösterreichisches Institut für Landeskunde in Kooperation mit dem Forschungsschwerpunkt Österreich in seinem Umfeld, Universität Wien
Veranstaltungsort
Ort
Wiener Neustadt
Land
Austria
Vom - Bis
01.07.2019 - 03.07.2019
Deadline
30.11.2018
Von
Oliver Kühschelm

Anlass der Tagung ist ein groß angelegtes Buchprojekt über Niederösterreich im langen 19. Jahrhundert (www.noe.gv.at/projekt19jh), das sich der Gesellschaft dieses zentralen Kronlands der Habsburgermonarchie im Modus einer Regionalgeschichte der Macht annähern wird. Die Tagung soll durch Fallstudien zu anderen Regionen Europas vergleichende Perspektiven eröffnen.

Während des langen 19. Jahrhunderts formierte sich moderne Staatlichkeit im Zusammenspiel von militärischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Netzwerken sozialer Macht (Mann 1993). Ein Geflecht aus Verwaltung, Markt und Zivilgesellschaft schuf schließlich einen „Leviathan 2.0“ (Maier 2012). Wie aber lassen sich diese Prozesse analysieren, wenn man sie nicht von der Warte des Zentral- oder Gesamtstaats aus untersucht, sondern den Fokus auf lokale und regionale Konstellationen verschiebt? Blockmans/Holenstein/Mathieu (2009) schlugen die Perspektive eines „statebuilding from below" vor, denn der Staat rückte nicht nur in die Fläche vor (Ganzenmüller/Tönsmeyer 2016), sondern ebenso rückten Menschen dem Staat näher. Moderne Staatlichkeit begann in den Lebenswelten zu wirken.

Ein wesentliches Untersuchungsfeld ist infrastrukturelle Macht (Mann 1993; Joyce 2013; van Laak 2018). Sie reicht vom Straßennetz über das Postwesen zu Medienverbünden bis hin zu den Infrastrukturen des Wissens, zuvorderst den Schulen. Jedoch ist abgesehen von den großen Netzen als abstrakter Vorstellung genauso an die Pflasterung des Marktplatzes, das lokale E-Werk, die kleinstädtische Sparkasse, die landwirtschaftliche Genossenschaft, den Leseverein oder die regionale Wochenzeitung zu denken. Infrastrukturen territorialisieren Macht. Vernetzungen ermöglichen es, nicht nur an wenigen zentralen Punkten, sondern ebenso am ‚flachen Land’ intensive lokale Wirkungen zu erzielen. Infrastrukturmacht erzielt somit große Hebelwirkungen.

Wir sind interessiert an Beiträgen zu europäischen Regionen, die z. B. folgende Themen und Fragen aufgreifen:
-) Wie lassen sich in lokalen und regionalen Beziehungsgefügen Richtungen und Konjunkturen des Aufbaus von sozialer Macht erfassen und mit überregionalen – bis hin zu globalen – Dynamiken zusammenlesen?
-) Welche Akteur_innen trieben abseits zentralstaatlicher Agenturen, in Konkurrenz und Kooperation mit diesen die Verdichtung sozialer Macht voran? Welche Rolle spielten in diesen Prozessen Gemeinden, Unternehmen, Vereine, Genossenschaften? Inwiefern fungierte ein vielgestaltiges Assoziationenwesen als Träger „regulierter Selbstregulierung“ (vgl. Collin 2011, 2014)? Wie stellte lokales wirtschaftliches Handeln Anschlüsse an den – staatlich gefassten – Markt her, von dem die Nationalökonomie sprach?
-) Wie grenzten sich lokale und regionale Akteur_innen in Praktiken und Diskursen gegenüber Staat, Politik und (zentraler) Bürokratie ab? Produzierten sie dadurch die Opposition von Staat und (Zivil)Gesellschaft, die in liberalbürgerlichen Diskursen als gegeben vorausgesetzt wurde?
-) Wie interagierte die in sozialen und materiellen Infrastrukturen angelegte Macht mit Formen der Subjektivierung? Schulen erwarteten bestimmte Typen von Schüler_innen, Straßen sahen achtsame Nutzer_innen vor, die Sparkassen benötigten vertrauensvolle Sparer_innen; Akteur_innen wollten sich wiederum auf diese Weise verstehen und verhalten – oder auch nicht.
-) Welche Akteur_innen und Akteursgruppen zeigten einen „Drang zum Staat“ (Tangerding 2011)? Und welche pflegten die „art of not being governed“ (Scott 2009)? Entzogen sie sich auch der Einhegung durch Netzwerke sozialer Macht, die von lokalen bzw. regionalen Verwaltungen und Eliten aufgebaut wurden?

Wir laden Forscher_innen ein, bis 30.11.2018 einen Vortragsvorschlag mit einem Abstract von ca. einer Seite einzusenden – per Mail an: oliver.kuehschelm@univie.ac.at
Reise- und Unterbringungskosten können den Vortragenden durch die Tagungsorganisation ersetzt werden.

Konzept und Organisation:
Elisabeth Loinig, NÖ Institut für Landeskunde/NÖ Landesarchiv
Oliver Kühschelm, Universität Wien
Peter Becker, Universität Wien

Programm

Kontakt

Oliver Kühschelm
Universität Wien, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
oliver.kuehschelm@univie.ac.at

http://www.noe.gv.at/projekt19jh