Eternal Wound – Die „Ewige Wunde“ in der Frühen Neuzeit. Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung

Eternal Wound – Die „Ewige Wunde“ in der Frühen Neuzeit. Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung

Veranstalter
Wolfenbütteler Arbeitskreis für Renaissanceforschung; Konzept und Leitung: Mariacarla Gadebusch Bondio (Bonn) und Marc Föcking (Hamburg)
Veranstaltungsort
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.10.2019 - 09.10.2019
Deadline
01.03.2019
Website
Von
Bauer, Volker

Es gibt Wunden die nicht heilen. Heute noch stellen sie trotz Tissue Engeneering, Gen- und Stammzelltherapie eine medizinische Herausforderung dar. Doch lassen sie sich zumindest ursächlich typologisieren und genau umschreiben. Zu den Ursachen chronischer Wunden gehören schwierig zu behandelnde Venenklappen-Insuffizienzen, Diabetes Mellitus, Stoffwechselerkrankungen sowie seltene mono- bis poly-genetische Erkrankungen. Wunden können aber auch induziert und durch Manipulation erhalten werden. Die Gründe dafür sind religiös-rituell, psychosomatisch oder bleiben ungeklärt. Als medizinisches Enigma werden zum Beispiel bis heute „religiöse Stigmata“ bezeichnet – Wunden, von denen ihre Träger nicht geheilt werden wollen und die mit Lust als himmlische Auszeichnung irdischer wie göttlicher Liebe erlitten werden.

Die Frühe Neuzeit präsentiert sich mit ihrer sich vielfach überkreuzenden Kopräsenz renovierter antiker Mythologie und christlicher Theologie des leidenden und auferstandenen Christus als ein Zeitalter, in dem „Unheilbarkeit“ zu einem besonderen Bildfeld am Knotenpunkt zwischen Mythologie, Medizin, Liebestheorie und Religion wird.
Mythologische (zumeist männliche) Figuren, die unheilbar in ihrer Verwundung entweder um das Überleben oder um das Sterben kämpfen, sind in der griechischen Mythologie etwa Philoktet, der zehn Jahre an einem unheilbaren Schlangenbiss leidet, oder der Zentaur Chiron. Als „die widerspruchsvollste Schöpfung der griechischen Mythologie“ (Kerényi 1958) vereinigt Chiron das Tierische und das Apollinische. Trotz seines Pferdeleibes, als Sinnbild für ein zerstörerisches Naturwesen, ist er der Lehrer von Helden der Medizin, der Jagd und Musik. Er ist der Gerechteste unter den Zentauren und der Gütige, der Milde und Weise, der dem kleinen Asklepios die ärztliche Kunst beibringt. Versehentlich durch einen der vergifteten Pfeile des Herkules verletzt, leidet er unsägliche Qualen, bis er in seiner Verzweiflung Zeus bittet, von der Unsterblichkeit befreit zu werden. Ein seltsamer Tausch findet statt: Die Unsterblichkeit wird an Prometheus „abgegeben“. Chiron darf an seiner Stelle sterben. Für die frühneuzeitliche Literatur und Philosophie bleibt nicht nur diese menschlich-tierische Doppelnatur des Centauren Chiron als Lehrer des Fürsten von Relevanz (etwa in Machiavellis Principe, XVIII), sondern auch seine Wunde, deren Verursachung Erasmus von Rotterdam in Adagia 2, 8, 21 (Chironium vulnus), diskutiert und die die Mediziner Sennert, Culpeper und Cole (1661) zum Anlass nehmen, unheilbare Wunden „chironian ulcers“ zu nennen und Chiron selbst mit Plinius‘ und Ovids Fasti (in denen Chiron die Wunde des Herkules heilt), als „first inventor of the ancient chirurgery“ (Chap. 14) zu bezeichnen. Über die moralischen Dimensionen von Philoktets Wunde reflektieren – abgesehen von Gide und Heiner Müller – in medizinethischer Hinsicht die frühneuzeitlichen Mediziner Roderigo de Castro (1546-1627) und Johann Heinrich Meibom (1590-1655) in seinem Kommentar des Hippokratischen Eides.

Ein anderer Bogen nicht weniger unheilbarer Wirkung wird zum Topos rinascimentaler Liebesdichtung und – theorie: der Bogen Amors (eg. Ovid, Metamorphosen I, 541ff.). Seine Pfeile, die ewige Wunden der Liebe wie des Hasses schlagen, treffen den Liebenden in Petrarcas Canzoniere, der Zeit seiner Liebesbiographie über den Tod Lauras hinaus in oxymoralem lustvollen Leiden die Heilung seiner Wunde weder erwünscht noch für möglich hält: „piagha per allentar d’arco non sana“ (Die Wunde heilt nicht, auch wenn der Bogen entspannt wird) (Canzoniere 90, v. 14) . Diese Liebeswunde wird sich in der europäischen Liebeslyrik des 16.Jahrhunderts nicht mehr schließen und bringt so prominente Texte wie Ronsards ‚Sonnet de la blessure‘ „Comme un Chevreuil, quand le printemps détruit“ aus den Amours de Cassandre (1552) hervor, geht aber auch in die ‚langue amoureuse‘ des Zeitalters ein, etwa in Matteo Bandellos Novelle („Odoardo terzo re d’inghilterra ama la figliuolo di un suo soggetto“, XXXVII) oder Girolamo Paraboscos Quattro libri di lettere amorose.

Diese weltlichen Liebeswunden haben angesichts der traditionellen Spiritualisierungen der Liebeslyrik seit dem Mittelalter die Tendenz, sich mit denen des Amor sacro der Imitatio Christi zu überschneiden. Insbesondere in der geistlichen Ré-écriture des Canzoniere kann man die weltliche „piaga“ mit der Wunde überschrieben finden, die sich der Beter von Christus erhofft. In Girolamo Malipieros Petrarca Spirituale (1536) wird die „piaga“ Christi zum „indisciolubil nodo“ (unlösbaren Knoten) der Liebe und damit zur Vorstufe der Stigmata als imitativer Wunde, deren Wunderbarkeit eine „Heilung“ ebenso ausschließt wie unerwünscht macht. Sie sind durch ihre Nachahmung der Wunden Christi ebenso Auszeichnung wie Kasteiung des Fleisches, geistlicher Lorbeer wie Stachel im Fleisch. Wiewohl sich diese Thematik und Ikonographie der Wunden Christi wie der Stigmata aus früheren Quellen – der Passionsmeditationen des Ps. Bonaventura, der Heiligenviten des Heiligen Franziskus oder Catharinas von Siena, der Graalslegende im Perceval bei Chrétien de Troyes oder Wolframs von Eschenbach etc. – speist, wäre zu untersuchen, ob und wie sie in der Frühen Neuzeit einen anderen Charakter annimmt: Sei es durch die neue Prominenz der Passionswunden in der Passionsmeditation der Reformationszeit, sei es durch die katholische Forcierung des Heiligenkults ab dem 16. Jahrhundert, in denen die Stigmata des Heiligen Franziskus oder der Heiligen Catharina von Siena den Rang einer direkten Beglaubigung der Heiligen durch Gott erhielten und entsprechende Repräsentationen in Literatur und Bildender Kunst hervortrieben.

Was passiert, wenn eine unheilbare Wunde Schmerzen hervorruft, sichtbar oder riechbar ist, wenn sie zum Stigma wird? Welche Diskurse, welche Künste welche Text- und Bildgattungen sind in der Frühen Neuzeit an Ergründung und Darstellung des Phänomens beteiligt? Welche Metaphern- und Bildbereiche prägt das Phänomen aus? Wie und mit welchen Verschiebungen werden Mythenangebote der Antike (Chiron, Philoktet) in der Frühen Neuzeit refunktionalisiert? Welche Funktionen nehmen die textuellen wie bildlichen Repräsentationen in den unterschiedlichen Kontexten (weltlicher Liebenstheorien, frühen medizinischen und naturphilosophischen Diskursen, der Theologien der unterschiedlichen Konfessionen wie eg. in katholischen Kanonisierungsprozesse etc.) ein? Wie schreiben sich die in der Frühen Neuzeit entwickelten Text-, Bild- und Diskursformate bis in die Moderne fort? Das internationale Symposion „Eternal Wound“ das in der Herzog August Bibliothek vom 7.-9. Oktober 2019 stattfinden soll, wird sich diesen Fragen interdisziplinär nähern und ist der Untersuchung eines kulturmedizinisch, literatur- sowie kunsthistorisch und religiös signifikanten Phänomens auch in seiner longue durée verpflichtet

Vortragsvorschläge mit kurzem Exposé erbitten wir bis zum 1. März 2019 an folgende Adressen:

Prof. Dr. phil. Dr. rer. med. habil. Mariacarla Gadebusch Bondio
Gadebusch Bondio
Institute for the History of Medicine
Universitätsklinikum Bonn
Sigmund-Freud-Str. 25
53127 Bonn
gadebusch.bondio@uni-bonn.de

Prof. Dr. Marc Föcking
Institut für Romanistik
Universität Hamburg
Überseering 35
29997 Hamburg
Marc.Foecking@uni-hamburg.de

Programm

Kontakt

Mariacarla Gadebusch Bondio

Institute for the History of Medicine; Universitätsklinikum Bonn; Sigmund-Freud-Str. 25; 53127 Bonn

gadebusch.bondio@uni-bonn.de