Die Notwendigkeit und Fähigkeit, gemeinsam nachhaltige Entscheidungen zu treffen, wird heute viel diskutiert. Gern vergessen wird, dass es sich hierbei nicht um eine neue Herausforderung globaler Gesellschaftssysteme handelt, sondern um ein zeitloses Problem des Ausverhandelns von Kompromissen im Spannungsverhältnis zwischen gemeinsamen und divergierenden Interessen.
In der Zeit des 14. bis 16. Jahrhunderts war wohl die zentrale Institution der Kooperation gesellschaftstragender ,Player' die ,Tagfahrt‘ oder auch einfach nur der ‚Tag‘ als Versammlungsformat mit verschiedenen Funktionen, die den Prozess konsensualer Entscheidungsfindung und des Konfliktausgleichs gemein haben. Lübeck fungierte bekanntlich nicht als alleiniger, aber sicher als wichtigster Versammlungsort der Hansetage.
Im Jahr 2018 haben sich Forschung und Kultureinrichtungen mit dem Thema auseinandergesetzt: Im Europäischen Hansemuseum Lübeck fand dazu die Sonderausstellung „Der Konsens“ statt, die den überzeitlichen Vergleich von Hansetag und Europäischem Rat bei der Herausforderung der Entscheidungsfindung zum Thema hatte. Jüngst hat weiterhin der Historiker Duncan Hardy in seinem Artikel „Tage (Courts, Councils and Diets): Political and Judicial Nodal Points in the Holy Roman Empire, c.1300–1550“ (German History 36/3, 381-400) herausgestellt, dass ‚Tage‘ ein allgegenwärtiges Phänomen der Zeit sind. Reichstage, Ständetage und Städtetage in der Region und darüber hinaus sind dabei keine getrennten Sphären, sondern stellen ein System dar.
Die internationale Sommerschule für Studierende und Doktorand/innen greift das integrierte Verständnis von ,Tagen‘ und die damit verbundene Entscheidungskultur auf. Die Fortsetzung der Auseinandersetzung mit Entscheidungsfindung und konkret mit dem Interessenausgleich auf Tagfahrten im Jahr 2019 steht im Zeichen des 350. Jahrestags des letzten Hansetages im Jahre 1669 – bzw. dem Ende einer über 300jährigen Tradition, die dieser Hansetag abschließt. Während sich die hansische Geschichtsforschung mit diesem Ereignis befasst, möchten wir Kolleg/innen und Studierende und Promovierende dazu ermuntern, die Tagfahrt in einem breiteren Zusammenhang zu diskutieren. Wir möchten möchte den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem Zusammenhang auch dazu anregen, sich nachhaltig und verstärkt mit dem Thema in Reflexion auch mit gegenwärtigen Verhältnissen in Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen.
Wir bitten interessierte Studierende und Doktorand/innen, sich mit einem ein- bis zweiseitigen Motivationsschreiben für eine Teilnahme zu bewerben, in dem Sie Ihr Interesse für das Thema bzw. an einer Teilnahme begründen.
Die Teilnehmer/innen der Sommerschule werden im Rahmen des Workshops zudem aufgefordert, ein eigenes Arbeitsthema in einer ca. 15-minütigen Präsentation zur Diskussion zu stellen, wobei ein direkter Bezug zum Thema der Sommerschule nicht unbedingt gegeben sein muss. Gefordert ist allerdings das Interesse, sich intensiv mit dem gebotenen Quellenmaterial auseinanderzusetzen und an einer vergleichenden Diskussion teilzunehmen. Das im Vorfeld ausgegebene Quellenmaterial sowie Literaturhinweise dienen der Vorbereitung der gemeinsamen Diskussion.
Die Frist für die Einreichung der Motivationsschreiben ist der 30. April 2019. Eine Antwort ergeht innerhalb von zwei bis vier Wochen. Bei Zusage werden die Übernachtung in einer Jugendherberge im Mehrbettzimmer für den gesamten Zeitraum und weiterhin Reisekosten in Höhe von 100 EUR pro Person übernommen. Eine Führung durch das Europäische Hansemuseum wird ebenfalls für Teilnehmer/innen kostenfrei angeboten. Die Forschungsstelle lädt alle Teilnehmer/innen auch zu einem gemeinsamen Abendessen ein.