Esther: Rezeption – Adaption – Interpretation. Post-Doc-Workshop

Esther: Rezeption – Adaption – Interpretation. Post-Doc-Workshop

Veranstalter
AG "Literarische Kulturen" im Post-Doc-Netzwerk der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts
Veranstaltungsort
Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.09.2019 - 17.09.2019
Deadline
05.04.2019
Website
Von
Kathrin Wittler

Dieser Aufruf richtet sich an promovierte oder kurz vor der Promotion stehende Forscher*innen, die sich mit jüdischen Literaturen im deutschsprachigen Raum und/oder ästhetischen Aspekten der jüdischen Kulturgeschichte beschäftigen.

Mit institutioneller Unterstützung der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo-Baeck-Instituts in der Bundesrepublik Deutschland (WAG) ist vor drei Jahren ein Post-Doc-Netzwerk für promovierte Forscherinnen initiiert worden, die sich mit der Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums befassen. Das Netzwerk dient dem Austausch von Wissenschaftlerinnen, die sich – vor Erlangung einer Professur oder einer anderen unbefristeten Stellung – in einer prekären Position befinden, und will insbesondere die Herausforderungen adressieren, die sich aus der Transdisziplinärität der Forschung zur jüdischen Geschichte und Kultur für den wissenschaftlichen Werdegang ergeben. Die Arbeitsgemeinschaft „Literarische Kulturen“, die derzeit aus gut zehn Mitgliedern besteht, versteht sich als ein Forum für die literaturwissenschaftlich arbeitenden Mitglieder des Netzwerks, deren Forschung sich im Überschneidungsbereich zwischen der Germanistik, der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und den Jüdischen Studien bewegt.

Im Rahmen des Workshops „Esther. Rezeption – Adaption – Interpretation“ möchten wir uns konzentriert darüber verständigen, welchen Anspruch wir mit unserer Forschung verbinden, und Visionen dafür entwerfen, wie eine wechselseitige Bereicherung von Literaturwissenschaft und Jüdischen Studien heute aussehen kann und soll. Die Rezeption, Adaption und Interpretation des biblischen Esther-Buchs und seiner titelgebenden Frauenfigur ist als Kreuzungspunkt von Bibel , Intertextualitäts-, Intermedialitäts- und Geschlechterforschung ein ideales Thema für dieses Vorhaben.
Das Buch Esther (Megillat Esther) gehört sowohl zum jüdischen als auch zum christlichen Kanon der Bibel und dient dem jüdischen Purim-Fest als Grundlage. Die Erzählung, die sich als Reflexion über die jüdischen Lebensbedingungen in der Diaspora lesen lässt, birgt Stoff für kontroverse Deutungen und Adaptionen: Zu nennen ist u.a. das die Handlung beschließende Massaker der Juden an ihren Feinden; die ambivalente Rolle Esthers als Königin, die sich zunächst nicht als Jüdin zu erkennen gibt; ihr Verhältnis zur verstoßenen ersten Frau und die spannungsreich verhandelten Fragen von Gewalt, Herrschaft und Einflussnahme. Aus diesen instrumentalisierbaren Aspekten, die im Laufe der Zeit durch weitere Legenden, Ausdeutungen und Ausschmückungen erweitert wurden, ergibt sich die außerordentlich schillernde, widersprüchliche und weit verzweigte Adaptionsgeschichte des Buchs Esther.
Der Stoff hat zahlreiche Adaptionen erfahren, darunter Racines Tragödie „Esther“ (1689), Händels Oratorium „Esther“ (1718), Grillparzers Dramenfragment „Esther“ (1837) und die indisch-amerikanische Spielfilmproduktion „One Night with the King“ (2006). Besondere Bedeutung aber scheint der Esther-Stoff für die deutsche jüdische Literatur- und Kulturgeschichte gehabt zu haben. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurde mit dem Esther-Stoff das gewaltlastige Verhältnis zwischen Juden und Christen verhandelt. In der Neuzeit dienten Anleihen beim Buch Esther dazu, das Drama der Emanzipation und Assimilation zur Darstellung zu bringen. Dazu gehörte auch eine intensive jüdisch-aufklärerischen Übersetzungsarbeit an der Megillat Esther und deren pädagogische Funktionalisierung. Genannt sei hier nur Aaron Halle-Wolfssohns als „Lustspiel zur Unterhaltung beim Purim-Feste“ vermarktete Komödie „Leichtsinn und Frömmelei“ (1796) und Josef Herzs Purimspiel „Esther oder die belohnte Tugend“, das 1828 in Fürth in hebräischen Lettern gedruckt wurde und mit seinem Titel auf Samuel Richardsons empfindsamen Erfolgsroman „Pamela, or Virtue Rewarded“ (1740) anspielt. Im 20. Jahrhundert haben sich zahlreiche deutsche jüdische Autor*innen dem Esther-Stoff zugewandt, darunter Lion Feuchtwanger, Peter Edel, Franz Werfel, Max Brod, Else Lasker-Schüler, Fritz Rosenthal (später Shalom Ben-Chorin) und Gertrud Kolmar. Die Signalfunktion des Eigennamens Esther ist noch in der Gegenwartsliteratur ersichtlich, etwa in Katja Petrowskajas Familienroman „Vielleicht Esther“ (2014).
Esther-Adaptionen bewegen sich in einem breiten Gattungsspektrum von der Posse bis zur Tragödie, vom großen Roman bis zum kleinen Gedicht. Die mit diesem breiten Spektrum verbundene große affektive Reichweite vom derben Gelächter über zarte Tränen bis zum wortlosen Schrecken soll auf dem Workshop ebenso ausdrücklich zum Thema gemacht werden wie die Extremphänomene, die in literarischen Adaptionen des Esther-Stoffs immer wieder zum Tragen gekommen sind: Gewalt, Rache und Vernichtung, Intrige, Verrat und Geheimnis sowie Erotik, Verführung und Orientalismus. So werden die Teilnehmenden anhand der Rezeption, Adaption und Interpretation des Esther-Buchs ins Gespräch darüber kommen, wie die ‚deutsch-jüdische Literatur‘ einerseits problembewusst als Untersuchungsgegenstand konturiert und andererseits in den relevanten germanistischen, judaistischen und komparatistischen Fachzusammenhängen verortet werden kann.

Der Workshop findet voraussichtlich am 16. und 17. September 2019 in Berlin statt. Eine Übernahme der Reise- und Unterbringungskosten ist in begrenztem Umfang möglich.

Wenn Sie Interesse an der Mitarbeit in der AG „Literarische Kulturen“ haben und/oder am Workshop teilnehmen möchten, melden Sie sich bitte bis zum 5. April 2019 mit einem Beitragsvorschlag im Umfang von maximal 300 Wörtern (oder alternativ gern auch einer Idee für eine gemeinsame Lektüre-Einheit) sowie einem kurzen biographischen Abriss inkl. Angabe Ihrer Arbeitsschwerpunkte bei der Ansprechperson der AG: Kathrin Wittler (kathrin.wittler@fu-berlin.de).

Programm

Kontakt

Kathrin Wittler

Freie Universität Berlin, Peter Szondi-Institut, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin

kathrin.wittler@fu-berlin.de


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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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