Gewaltgedächtnisse. Analysen zur Präsenz vergangener Gewalt sowie zur Gewaltsamkeit gesellschaftlicher Vergangenheitsbezüge

Gewaltgedächtnisse. Analysen zur Präsenz vergangener Gewalt sowie zur Gewaltsamkeit gesellschaftlicher Vergangenheitsbezüge

Veranstalter
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Kooperation mit der Sektion Wissenssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Veranstaltungsort
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Zeppelinstr. 127/128, Haus 12: Seminarraum, 14471 Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.03.2019 - 15.03.2019
Deadline
12.03.2019
Website
Von
Nina Leonhard

Die Einebnung antiker Stätten des Nahen und Mittleren Ostens durch Kämpfer des sogenannten ‚Islamischen Staates‘ ist nicht einfach nur Vandalismus; es handelt sich vielmehr um eine gezielte Vernichtung von Erinnerungsstimuli und damit von bestimmten, an der Aura des Originals sich entzündenden Chancen der individuellen und kollektiven Herstellung kulturspezifischer Vergangenheitsbezüge. Nicht dass durch einen solchen Angriff historisches Wissen per se verlorenginge – zerstört werden jedoch die materialen Grundlagen kultureller Identität: Der Vergewisserung über Anfänge und Herkunft der Kultur fehlen wesentliche Anhaltspunkte. Doch nicht nur das gewaltsame Vorgehen gegen bedeutsame Dinge verweist auf Momente, wenn nicht sogar Politiken des Vergessenmachens; auch kollektives Tabuisieren oder Beschweigen, Redeverbote und Geheimhaltung dienen, wenn sie mit starker Sanktionsmacht versehen sind, der gewaltsamen Unterdrückung jedweder das gegenwärtige Verhalten und Handeln orientierenden Vergangenheitsbezüge. Wir haben es hier folglich mit sozialem Erinnern zu tun, das auf unterschiedlichen Spielarten gewaltsam durchgeführter Gedächtnismanipulation beruht, die immer auf die Vorbereitung von Prozessen eines (sozialen) Vergessens gerichtet ist.
Der Erforschung derartig gewaltsam bedingter Wechselspiele von Erinnern und Vergessen ist eine Tagung des Arbeitskreises Soziales Gedächtnis, Erinnern und Vergessen gewidmet, die im Frühjahr 2019 in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam stattfindet. Ausgangspunkt hierfür ist eine wissenssoziologisch grundierte Forschungsperspektive, die sich in den letzten Jahren unter dem Begriff des sozialen Gedächtnisses entwickelt hat und die Muster, Modi und Funktionen sozialen Gewordenseins in den Blick nimmt. So verstanden treten soziale Gedächtnisse in der empirisch beobachtbaren Realität stets im Plural auf: sowohl explizit in Form bestimmter vergangenheitsbezogener Wissensbestände, als auch implizit als Routinen und Gewohnheiten, die eine materielle wie immaterielle Basis haben (können) – und zwar auf allen Ebenen des Sozialen, von der Familie über Organisationen zu Großkollektiven wie der Nation.
Diese Perspektive folgend rückt die geplante Tagung die theoretische wie empirische Analyse von „Gewaltgedächtnissen“ in den Mittelpunkt und damit die Frage nach der gedächtnisbildenden beziehungsweise -zerstörenden Rolle von Gewalt als prinzipiell jedem Menschen (und daher auch jedem Kollektiv) zur Verfügung stehenden Aktionsmacht (Popitz), die auf absichtliche Schädigung eines anderen abzielt oder diese zumindest androht. Von Interesse sind daher Beiträge, die:

- entweder den Blick auf konkrete Aktionsformen richten, die auf eine gewaltsame Beeinflussung des Erinnerns und seiner sachlichen, sozialen und zeitlichen Bedingungen abheben, um so ‚neue‘ und/oder ‚andere‘ Gedächtnisformationen hervorzubringen – zu denken ist hierbei beispielsweise an die Vernichtung materialer Wissensreservoirs in Geschichte und Gegenwart (Bücherverbrennung, damnatio memoriae, ethnische ‚Säuberung‘, Kontrolle und Zensur des Internet etc.)
- oder die gedächtniskonstituierenden oder -modifizierenden Folgen gewaltsamer Phänomene metaphorisch, theoretisch oder rekonstruktiv auf abstrahierende Weise beleuchten – zu denken wäre hier beispielsweise an Diskussionen zur Übertragbarkeit des ‚Phantomschmerzes‘, der ‚Narbe‘ oder des ‚Gespenstes‘ auf soziale Kontexte.

Ziel der Tagung ist es letztlich, das Verhältnis von Gedächtnis und Gewalt und damit insbesondere die Gewalthandeln eingeschriebenen Selektivitäten und Temporalitäten zu untersuchen, um so die ‚Gedächtnishaftigkeit‘ von Gewalt ebenso wie die ‚Gewalttätigkeit‘ sozialer Gedächtnisse theoretisch wie empirisch bestimmen zu können.

Programm

Donnerstag, 14. März 2019

09:00-09:15 Uhr

Begrüßung
Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann, Kommandeur ZMSBw

Einführung
PD Dr. Nina Leonhard, ZMSBw Potsdam

09:15-12:00 Uhr
Panel I: Zur Gegenwart vergangener Gewalt: theoretische und empirische Ansätze
Moderation: Prof. Dr. Oliver Dimbath, Universität Koblenz

Zur Wechselbeziehung von kollektiver Erinnerung und politischer Gewalt
Prof. Dr. Jan Weyand, FAU Erlangen

Narben - Gespenster - Detektive. Eine gedächtnissoziologische Spurensuche zur Präsenz vergangener Gewalt
Anja Kinzler, LMU München

10:45-11:15 Uhr Kaffeepause

Phantomschmerz. Eine quantitative Analyse vergangener Gewalt in der Gegenwart
Julius Heß, ZMSBw Potsdam

12:00-13:30 Uhr Mittagspause

13:30-15:00 Uhr
Panel II: Formen der Aufarbeitung gewaltsamer Vergangenheit
Moderation: Dr. Frank Reichherzer, ZMSBw Potsdam

Die vergessene Revolution von 1918
Dr. Christian Lübcke, Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum Rostock

Strafgerichtsbarkeit versus Wahrheitskommissionen: Die Bedeutung persönlicher Verantwortlichkeit in der Aufarbeitung gewaltsamer Ereignisse
Henning de Vries, Universität Bielefeld

15:00-15:30 Uhr Kaffeepause

15:30-17:45 Uhr
Panel III: Gewalt im Diskurs über Vergangenheit
Moderation: Prof. Dr. Gerd Sebald, FAU Erlangen

Morphologie und Funktion von Gewaltnarrativen in der Prähistorischen Archäologie
PD Dr. Matthias Jung, Goethe-Universität Frankfurt am Main

"Architects of our destruction". Gewaltnarrative und Widerstand gegen staatliche Entschuldigungen in Kanada
Prof. Dr. Tim Nieguth, Laurentian University Sudbury, Kanada

Trauma Holocaust
Dr. Felix Denschlag, Hamburg

ab 19:00 Uhr Gemeinsames Abendessen

Freitag, 15. März 2019

09:00-10:30 Uhr
Panel IV: Gewalterfahrungen im Familiengedächtnis
Moderation: PD Dr. Nina Leonhard, ZMSBw Potsdam

Wege der familialen Tradierung von Gewalt(erfahrungen)
Prof. Dr. Gerd Sebald & René Lehmann, FAU Erlangen

Leerstellen des Erinnerns. Auseinandersetzung Schwarzer Deutscher mit der NS-Vergangenheit der Großeltern
Dr. Anna Ransiek, TU Berlin

10:30-11:00 Uhr Kaffeepause

11:00-12:30 Uhr
Panel V: Militärische Gewaltgedächtnisse
Moderation: Dr. Heiko Biehl, ZMSBw Potsdam

Gewaltpotenziale verstehen - Militärische Sozialisation als Weitergabe organisational memorierter Gewaltkultur
Prof. Dr. Martin Elbe, ZMSBw Potsdam

Individuum versus Gesellschaft - das Erinnern von sexualisierter Gewalt im Kontext militärischer Gewalt
Dr. Gerhard Kümmel, ZMSBw Potsdam

12:30-13:15 Uhr
Gewalt und Gedächtnis: Bilanz und Abschlussdiskussion

Elemente einer Theorie sozialer Gewaltgedächtnisse
Prof. Dr. Oliver Dimbath, Universität Koblenz

13:15 Uhr Verabschiedung

ab 13:30 Uhr Abreise

Kontakt

Nina Leonhard
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, ZMS

Anmeldung unter: zmsbwtagungsmanagement@bundeswehr.org


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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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