Objekte als Quellen der Medizingeschichte / Objects as Sources of Medical History / 2019 Annual Conference of the Association for the Social History of Medicine – (Hi)stories of Health and Disease

Objekte als Quellen der Medizingeschichte / Objects as Sources of Medical History / 2019 Annual Conference of the Association for the Social History of Medicine – (Hi)stories of Health and Disease

Veranstalter
Verein für Sozialgeschichte der Medizin; Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt; Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Institut für Geschichte der Universität Klagenfurt
Veranstaltungsort
Deutsches Medizinhistorisches Museum, Ingolstadt (DMMI)
Ort
Ingolstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.11.2019 - 16.11.2019
Deadline
26.05.2019
Website
Von
Elisabeth Lobenwein, Institut für Geschichte / Abteilung für Österreichische und Neuere Geschichte, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

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Seit geraumer Zeit ist ein gesteigertes Interesse an der Materialität von Kultur und an den Institutionen, die Kulturgüter verwahren und verwalten, zu bemerken. Die Dinge sind in Bewegung geraten, und zwar unabhängig davon, ob man von einem Artefakt, Exponat, Sammlungsgegenstand oder Objekt spricht. Fernsehsendungen, in denen fachkundige Experten vormals unbeachtet gebliebene Dinge als kostbare Raritäten entlarven, erreichen hohe Einschaltquoten. Auktionshäuser berichten von Rekorderlösen nicht nur bei hochklassiger Kunst, sondern auch bei Spielzeugfiguren oder Filmrequisiten, die sich zu einer attraktiven Wertanlage entwickelt haben. Und die meisten wissenschaftlichen Disziplinen entdecken die materielle Überlieferung ihres eigenen Faches neu, nachdem das weite Feld der „Sachkulturforschung“ jahrzehntelang eine Domäne der Volkskunde, der Ethnologie oder der archäologischen Einzelfächer1 gewesen ist. Folgerichtig wird nach der linguistischen, ikonischen oder räumlichen Wende2 mittlerweile fächerübergreifend ein „material turn“3 ausgerufen.

Objekte haben Konjunktur. Das hat sich – mit einer gewissen Phasenverschiebung – auch in der Forschungsförderung niedergeschlagen. Die VW-Stiftung hat vor 10 Jahren damit begonnen, die sammlungsbasierte Forschung in Museen und Universitäten zu fördern.4 Das Bundesministerium für Bildung und Forschung zog 2012 mit dem Förderschwerpunkt „Die Sprache der Objekte. Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen“ nach.

Diese objekt- und sammlungsbezogenen Förderschwerpunkte wurden seitens der Museen und Universitätssammlungen mit regem Interesse wahrgenommen. Die große Zahl der eingereichten Projekte mit ihrer sehr breiten thematischen Streuung verdeutlichte einmal mehr das Potential objektbasierter Forschung. Der vergleichsweise geringe Anteil von Anträgen aus den medizinhistorischen Sammlungen zeigte aber zugleich, dass unserem Fach das methodische, an die Materialität der Objekte gekoppelte Rüstzeug noch weitgehend abgeht, das in anderen Disziplinen schon lange dazu gehört. Der 2007 von Robert Jütte und Wolfgang Eckart formulierte Befund, dass eine kritische medizinhistorische Forschung mit und am Objekt abseits einer simplifizierenden Entwicklungsgeschichte von diagnostischen und therapeutischen Geräten ein Desiderat der Forschung darstelle, ist leider immer noch gültig.5

Die diesjährige Jahrestagung des Vereins für Sozialgeschichte der Medizin möchte daher den Blick auf die materiellen Zeugnisse der medikalen Kultur lenken. Sie lädt Forschende ein, Objekte als relevante Quellen zur Medizingeschichte wahrzunehmen und auf der Grundlage vorhandener Bestände in Museen und Sammlungen objektbasierte Fragestellungen zu entwickeln. Beiträge zu übergeordneten museologischen Fragestellungen und zur konkreten Ausstellungspraxis, Vermittlung oder Sammlungsstrategie werden nicht angestrebt. Das Organisationsteam hat dazu vier Themenfelder definiert, für die eine dinganalytische Perspektive ergiebig sein kann:

1) Materialien: Welche Roh- und Werkstoffe oder sonstige Materialien werden verwendet? Woher kommen diese? Gibt es „Modematerialien“ zu bestimmten Zeiten? Was kann über deren Eigenschaften und Verfügbarkeit ausgesagt werden? Gibt es spezifisch „medizinische“ Materialien („Medizin-“ bzw. „Chirurgenstahl“) und was macht sie dazu? Ist ein Ohrstecker aus „Medizinstahl“ damit schon ein „medizinisches“ Ding und für welche spezifisch medizinhistorischen Fragenkomplexe und Recherchewege wäre er eine geeignete Quelle?

2) Produktion und Handel: Welche Personen und Gruppen sind an der Herstellung medizinischer Instrumente, Gerätschaften und Apparate beteiligt (Eigenbau, Handwerker, Spezialisten, Manufakturen, Fabriken)? Wie funktioniert der Vertrieb, welche Zentren, Monopolisten und Handelswege haben sich gebildet? Wann und wie bilden sich eigene Medizinproduktehersteller, etwa aus der Werkzeugmacherei?

3) Ordnung(en) der Praxis: Bis die Objekte in unsere Sammlungen gefunden haben und nun als „Quellen“ eine historisch-wissenschaftliche Praxis anleiten (sollen), hatten sie eine recht konkrete Bestimmung ihrer Benutzung in einem medikalen Kontext. In welchem praktischen Kontext stand das „Ding“; wie, von wem und in welchen Konstellationen wurde der Gegenstand benutzt – inwiefern geben die „Dinge“ bestimmte Handlungen vor und schließen andere aus? Lassen sich „Medizindinge“ nach ihren medizinischen Einsatzbereichen (Ausbildung und Lehre, Diagnostik, Therapie und Prävention, ggf. Palliation) klassifizieren oder bieten sich anders gelagerte, ggf. „quer stehende“ klassifizierende Kriterien an? Wie verhält es sich mit „Pflegedingen“, darüber hinaus mit solchen, die auf medikale Kulturen und Gesundheitspraktiken schließen lassen, die außerhalb des (schulmedizinischen) Medizinbetriebs stattfinden? Wie steht die technische / ästhetische Erscheinung in Beziehung zum jeweiligen „Einsatzgebiet“?

4) Ordnungen des Wissens: Medizinische und Gesundheitspraktiken berufen sich auf eine medizinische Wissenschaft, die seit eh und je im Wandel ist. Inwiefern geben konstruktionstechnische Details Auskunft über dahinterstehendes Körperwissen? Wie wirkt das zur Herstellung notwendige Wissen und Können auf dasjenige, das für den Einsatz Voraussetzung ist? Welches Wissen und welche Erfahrung wird durch Anwendung der Gerätschaft neu gewonnen (Blutdruckmessung, Fieberthermometer). Darüber hinaus spielen Wissen, Wissenschaft und Erfahrung in konkreten sozialen Ordnungen – sie prägen diese und werden von ihnen geprägt. Erlaubt das Objekt Rückschlüsse auf geschlechtsspezifische Zuordnungen; sind dem Objekt symbolische Zeichen zu Prestige / Identität / Professionspolitik diverser Player am medikalen Markt eingeschrieben? Inwiefern und auf welchen Wegen wird die Kommunikation zwischen den Beteiligten mit verschiedenen Erfahrungs- und Wissensständen (wie etwa Behandelnden und Behandelten) durch die Dinge ermöglicht, verändert oder verhindert?

Bitte senden Sie Vorschläge für Einzelvorträge mit Abstracts von maximal einer Textseite bis zum 26. Mai 2019 per E-Mail an Elisabeth Lobenwein: elisabeth.lobenwein@aau.at

Ausgewählte Tagungsbeiträge werden nach einem Peer-Review-Verfahren in der Zeitschrift Virus: Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin veröffentlicht.

Die Auswahl der Vorschläge für die Tagungsbeiträge wird von der Tagungsleitung gemeinsam mit dem Vereinsvorstand und den Kooperationspartnern diskutiert, eine Zu- oder Absage erfolgt bis 9. Juni 2019, die Aussendung des vorläufigen Tagungsprogramms bis Ende Juni 2019.

Die Tagungsgebühr beträgt 80 Euro und deckt anfallende Kosten für Führungen, Getränke, Imbisse und Kaffeepausen ab. Selbstverständlich sind auch alle historisch Interessierten, die keinen eigenen Vortrag halten, bereits jetzt herzlich zur Teilnahme eingeladen.

Der öffentliche Abendvortrag erfolgt durch Prof. Dr. Karen Nolte (Heidelberg), die Leitung der Abschlussdiskussion durch Prof. Dr. Thomas Schnalke (Berlin).

Für die Tagungsleitung und Organisation: Fritz Dross (Erlangen), Elisabeth Lobenwein (Klagenfurt), Marion Ruisinger (Ingolstadt), Alois Unterkircher (Ingolstadt)

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The past few years have seen growing interest in the materiality of culture and in the institutions that store and administer cultural assets. Things have been set in motion, regardless of whether we are talking about artefacts, exhibits, collection items or objects. Television programmes featuring experts who reveal previously unnoticed objects as precious rarities reach high audience ratings. Auction houses report record revenues not only for high-class art, but also for toys or film props, which have turned into an attractive investment. Also in the academic field most scientific disciplines are currently rediscovering the material tradition of their own subjects, after decades of leaving the field of “material cultural research” to folklore, ethnology or specialised archaeological subjects.1 Consequently, after the linguistic, iconic or spatial turn2, a “material turn”3 is now being proclaimed across disciplines.

Objects are booming. This has – with a certain delay – also been visible in research funding. 10 years ago, the VW Foundation began to promote collection-based research in museums and universities.4 In 2012, the German Federal Ministry of Education and Research (BMBF) introduced the new funding scheme “The Language of Objects. Material Culture in the Context of Social Developments”.

These object- and collection-related funding priorities were received with great interest by museums and university collections. The large number of submitted projects with their very broad thematic distribution once again underlined the potential of object-based research. At the same time, the comparatively small proportion of applications from medical historical collections proves that our subject still largely lacks the methodological approaches linked to the materiality of objects, which have long been exercised in other fields. Apart from simplistic development history of diagnostic and therapeutic devices, critical medical historical research with and on objects still forms a desideratum, as Robert Jütte and Wolfgang Eckart already criticised in 2007. Unfortunately, not much has changed.5

Therefore, this year’s annual conference of the Association for the Social History of Medicine draws attention to the material evidence of medical culture. It invites researchers to perceive objects as relevant sources of medical history and to develop object-based questions on the basis of existing holdings in museums and collections. However, contributions to overriding museological questions and to concrete exhibition practice, mediation or collection strategy are not our focus. The organisation team has defined four thematic fields for which an object-analytical perspective could be productive:

1) Materials: Which materials are used? Where do they come from? Are there “fashion materials” at certain times? What can be said about their properties and availability? Are there specific “medical” materials (“medical” or “surgical steel”) and what is characteristic about them? Is an ear stud made of “medical steel” therefore already a “medical” object and for which specific medical-historical question complexes and research paths would it be a suitable source?

2) Production and trade: Which persons and groups are involved in the production of medical instruments, equipment and devices (self-made, craftsmen, specialists, manufactories, factories)? How does the distribution work, which centres, monopolists and trade routes have been formed? When and how were specialised medical device manufactories established, for example developing out of tool making?

3) Order(s) of practice: Until the objects found their way into our collections and are now turned into “sources” of historical-scientific research, they had a concrete work definition in a medical context. In what practical context did the “object” stand; how, by whom and in what constellations was the object used – to what extent do “objects” direct certain actions and exclude others? Can “medical things” be classified according to the fields of application (education and teaching, diagnostics, therapy and prevention, possibly palliation) or are there other, possibly “transverse” classifying criteria? How are “care objects” and objects belonging to medical cultures and health practices that take place outside the (mainstream) medical business evaluated? In what way does the technical / aesthetic appearance relate to the respective “field of application”?

4) Orders of knowledge: Medical and health practices refer to a medical science that has always been changing. To what extent do constructional details provide information about the prevalent body knowledge? In what way does the knowledge and skill required for production affect practical use? Which knowledge and experience is gained by using the equipment (blood pressure measurement, clinical thermometers)? In addition, knowledge, science and experience play a role in concrete social orders – they shape them and are shaped by them. Does the object allow conclusions about gender-specific classifications; are symbolic signs of prestige / identity / professional policy of the various players in the medical market inscribed in the objects? To what extent and in what ways is communication between the involved, with different levels of experience and knowledge (such as those treating and those treated), facilitated, changed or even prevented by objects?

Please send suggestions for individual papers (max. 1-page abstracts) by May 26, 2019 to Elisabeth Lobenwein: elisabeth.lobenwein@aau.at

Selected conference papers will be published in the journal Virus: Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin, following a peer review process.

The conference committee will decide upon a selection of contributions for the conference programme in collaboration with the board of the Society for the Social History of Medicine and the cooperation partners. Notification of approval or rejection will take place until June 9, 2019, the preliminary conference programme will be forwarded until the end of June 2019.

The conference fee amounts to 80 Euros and covers all expenses for guided tours, drinks, snacks and coffee breaks. Apart from the contributors, all historically interested are invited to join in the conference.

Keynote speaker: Prof Dr Karen Nolte (Heidelberg)
Discussant: Prof Dr Thomas Schnalke (Berlin)

On behalf of the Conference Committee: Fritz Dross (Erlangen), Elisabeth Lobenwein (Klagenfurt), Marion Ruisinger (Ingolstadt), Alois Unterkircher (Ingolstadt)

1 Cf. the individual papers in Samida, Stefanie/Eggert, Manfred K. H./Hahn, Hans Peter (Hrsg.): Handbuch der materiellen Kultur, Bedeutungen – Konzepte – Disziplinen, Stuttgart 2013.
2 Cf. Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns: Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 2006.
3 Cf. Reckwitz, Andreas: Die Materialisierung der Kultur, in: Johler, Reinhard/Marchetti, Christian/Tschofen, Bernhard/Weith, Carmen (Hrsg.), Kultur_Kultur. Denken. Forschen. Darstellen, Münster/New York 2013, 28–37.
4 On 18 March 2019 the VW-Stiftung holds a closing conference to its research scheme dedicated to „Welche Museen für welche Gesellschaft? 10 Jahre Forschung in Museen“ in Hamburg.
5 Eckart, Wolfgang/Jütte, Robert, Medizingeschichte: Eine Einführung, Köln/Weimar/Wien 2007, 40f.

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Organisationsteam:
Fritz Dross (Erlangen)
Elisabeth Lobenwein (Klagenfurt)
Marion Ruisinger (Ingolstadt)
Alois Unterkircher (Ingolstadt)

Kontakt:
Dr. Elisabeth Lobenwein
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Institut für Geschichte
Universitätsstraße 65–67
9020 Klagenfurt am Wörthersee
elisabeth.lobenwein@aau.at

Programm

Kontakt

Elisabeth Lobenwein
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Institut für Geschichte

elisabeth.lobenwein@aau.at


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