Der Babel-Bibel-Streit und die Wissenschaft des Judentums

Der Babel-Bibel-Streit und die Wissenschaft des Judentums

Veranstalter
Moses Mendelssohn Zentrum, Potsdam,; Institut für Altorientalistik an der Freien Universität Berlin; Einstein-Center Chronoi; Berliner Antike-Kolleg
Veranstaltungsort
Heilig-Geist-Kapelle in der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin; Spandauer Straße 1; 10178 Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.11.2019 - 06.11.2019
Von
Thomas L. Gertzen

Thema:
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte Berlin eine mit ziemlicher Heftigkeit geführte Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der noch jungen Wissenschaft vom Alten Orient (Assyriologie) und der protestantischen Theologie bzw. kirchlicher Kreise. Auslöser waren populäre Vorträge des Assyriologen Friedrich Delitzsch, in welchen dieser ein Primat keilschriftlicher Überlieferungen vor den Schilderungen der Bibel behauptete, bzw. letztere auf babylonische Vorlagen zurückführte. Da ihm hierin zunächst auch der archäologiebegeisterte Kaiser Wilhelm II. beigepflichtet hatte, entwickelte sich die Auseinandersetzung zu einem Politikum. Dieser Konflikt ist auch vor dem Hintergrund eines Emanzipationsbemühens der deutschen Assyriologie zu sehen, sich aus der Rolle einer Hilfswissenschaft der Theologie zu befreien.
Der Babel-Bibel-Streit wurde ausführlich und durchaus kontrovers in der Forschung behandelt, und doch bestehen noch Desiderata. Dazu zählen die Reaktionen der Vertreter des deutschen Judentums, insbesondere mit Blick auf die Entwicklung einer „Wissenschaft des Judentums“ und die Problematik konfessioneller Setzungen innerhalb des Wissenschaftsbetriebes. In diesem Zusammenhang sind auch Delitzsch’ antisemitische Veröffentlichungen aus den frühen 20er Jahren anzuführen, die stark mit der teilweise relativ großen Gleichgültigkeit anderer Altorientalisten (auch jüdischer Herkunft) zu der gesamten Frage kontrastieren.

Konzept:
Die Themenfelder deutsch-jüdischer Bibelwissenschaft und Geschichte der Wissenschaft des Judentums sind in jüngster Zeit intensiv in der Berliner Forschungslandschaft diskutiert worden und bilden einen Forschungsschwerpunkt am Moses Mendelssohn Zentrum. Die Berliner Altorientalistik hat sich ihrerseits intensiv mit dem „Mythos“ Babylon sowohl in Ausstellungen als auch in Publikationen auseinandergesetzt. Die Wechselwirkungen und Konflikte zwischen den sich zum Ende des 19. Jahrhunderts weiter etablierenden historisch-archäologischen Orientwissenschaften einerseits und der ausschließlich außeruniversitären Wissenschaft des Judentums andererseits rücken dabei in den Fokus. Die Tagung bringt Vertreterinnen und Vertreter von Fächern wie Altorientalistik, Jüdische Studien, Theologie und (Wissenschafts-)Geschichte zusammen, um den Babel-Bibel-Streit im Sinne des „Typological Event“ (Yaacov Shavit / Mordechai Eran) zu analysieren. Damit soll nicht zuletzt ein wissenschaftshistorischer Beitrag zur Geschichte der Wissenschaft des Judentums und der Altorientalistik, sowie zur Rolle der Konfessionen in der Erforschung des Alten Orients im Deutschen Reich zu Beginn des 20. Jahrhunderts geleistet werden.

Förderung:
Die Tagung wird ermöglicht durch die großzügige Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung, Köln sowie die folgenden kooperierenden Einrichtungen: DFG-Kollegforschungsgruppe: 2615 Rethinking Oriental Despotism; Einstein-Center CHRONOI, Berlin; Moses Mendelsohn-Stiftung, Potsdam.

Programm

Montag, 4. November

13:30 Eintreffen von Referenten und Referentinnen, sowie Gästen

Begrüßung und Einführung

14:00 E. Cancik-Kirschbaum und Th. Gertzen, Berlin & Potsdam
Babel und Bibel...

14:15 J. H. Schoeps, Potsdam
...und die Wissenschaft des Judentums?

Babel und Bibel “revisited”

14:30 R. Lehmann, Mainz
Friedrich Delitzsch im Ausklang des langen 19. Jahrhunderts

15:00 B. T. Arnold, Wilmore
A Centennial Review of Die Große Täuschung: Friedrich Delitzsch’s Final Reflections on the Babel-Bibel Controversy

15:30 Kaffeepause

16:00 S. Mangold, Köln
Kaiser Wilhelm II. und der Babel-Bibel-Streit

“Furious Orientalists”? – Die Geschichte der Assyriologie in Deutschland

16:30 S. Marchand, Baton Rouge
The Old Testament and the Testimony of the Monuments: Archaeological Apologetics on the Eve of the Babel-Bibel Streit

17:00 H. Neumann, Münster
Die Berliner Keilschriftforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik

18:00 Eröffnung der Ausstellung Der Babel-Bibel-Streit im Vorderasiatischen Museum Berlin (SBB/SPK)
(nur für geladene Gäste, zugänglich für die Öffentlichkeit ab Dienstag 5. November 2019)

Dienstag, 5. November

„Textkritik“ und konfessionelle Konflikte

10:30 L. Hiepel, Münster
Der Jesuit, Astronom und Assyriologe Franz Xaver Kugler (1862–1929) – Sein Leben, Werk und Denken in der Zeit des Babel-Bibel-Streits und des Panbabylonismus

11:00 R. Smend, Göttingen
Der Vater: Franz Delitzsch (1813–1890), Bibelforscher und Judenmissionar

11:30 Kaffeepause

12:00 R. Kratz, Göttingen
Die Bene-Ha-Golah: Wiege des Judentums?

12:30 Y. Shavit, Tel Aviv
Is the Babel-Bible Streit still alive? From 'Babel' in Berlin to 'Babylon' in Zion

13:00 Mittagspause

Wissenschaft des Judentums und „akademischer“ Antisemitismus

15:00 G. Botsch, Potsdam
Von der Judenfeindschaft zum Antisemitismus. Ein historischer Überblick

15:30 W. Tress, Potsdam
Das Alte Testament in der Kontroverse zwischen akademischem Antijudaismus und Wissenschaft des Judentums

16:00 Kaffeepause

16:30 R. Liwak, Potsdam
Der sog. Sündenfallzylinder – ein Plädoyer gegen theologische und religionsgeschichtliche Naivität

17:00 H. Liss, Heidelberg
„...den Stern Israels umso heller strahlen lassen“: Die Ergebnisse der zeitgenössischen Altorientalistik als Herausforderung an die jüdische Bibelwissenschaft der Jahrhundertwende

Öffentlicher Abendvortrag, 18:00–19:00 h

18:00 Ch. Markschies, Berlin
Der Kaiser als Hobbywissenschaftler. Wilhelm II. - Frömmigkeit - Kommunikation – Wissenschaftspolitik

Mittwoch, 6. November

Sprache, Rasse und Philologie

10:30 U. Puschner, Berlin
Babel, Bibel und die Völkischen

11:00 F. Wiedemann, Berlin
Der Münchner Assyriologe Fritz Hommel und seine Auseinandersetzung mit Friedrich Delitzsch

11:30 K. Wittler, Berlin
By the Waters of Babylon-Berlin. Jewish Self-Fashioning with Psalm 137

12:00 Mittagspause

Wissenschaft und Öffentlichkeit – Mäzenatentum, Publikationen und Orientrezeption

14:00 K. von der Krone, Frankfurt a.M.
Von den Grenzen des gelehrten Gesprächs: Jüdische Wissenschaft, Jüdische Presse und der Babel-Bibel-Streit als öffentliches Ereignis

14:30 O. Matthes, Hamburg
Jüdisches Mäzenatentum in der Altorientalistik um 1900

15:00 B. U. Schipper, Berlin
Auf das literarkritische ist das vorderorientalische Zeitalter gefolgt.“ Hugo Gressmann, die „Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft“ (ZAW) und der Babel-Bibel-Streit

15:30 Abschlussdiskussion

Kontakt

Sandra Weißbach

DFG Kolleg-Forschungsgruppe 2615 "Rethinking Oriental Despotism"; Fabeckstr. 15; 14195 Berlin

+49 30 838 52772

sekretariat-kofo@geschkult.fu-berlin.de

https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/rod/aktivitaeten/Workshops/Babel-und-Bibel.html