Literarische Textualität und ästhetische Medialität in Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Spannungsfelder – Potenziale – Perspektiven

Literarische Textualität und ästhetische Medialität in Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Spannungsfelder – Potenziale – Perspektiven

Veranstalter
Dr. Michael Dobstadt, Institut für Germanistik; Dr. Noa K. Ha / Dr. Karoline Oehme-Jüngling, Zentrum für Integrationsstudien, TU Dresden
Veranstaltungsort
Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Zellescher Weg 18, 01069 Dresden Klemperer-Saal (1. OG)
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.11.2019 -
Von
Karoline Oehme-Jüngling

Die Tagung geht aus von dem Befund, dass es zwar eine Reihe von erprobten Ansätzen, Konzepten sowie didaktischen Vorschlägen gibt, das Literarisch-Ästhetische in den Kontexten von DaZ fruchtbar zu machen (siehe z.B. Belke/Belke 2006; Belke 2011; Schweiger 2014; Zierau/Kofer 2015; Gaul/Nagel 2016; Eder/Dirim 2017; Rösch 2017; DaZ-Sekundarstufe 3/2017; Steinbrenner 2018; Wieler 2018; Wildemann 2018; Moraitis 2018), diese aufs Ganze gesehen in der Praxis aber einen nur verhältnismäßig geringen Einfluss gewonnen haben. Dies liegt – so die These – ganz wesentlich an den sprach-, gesellschafts- und integrationspolitischen Rahmenbedingungen des Deutsch-als-Zweitsprache-Unterrichts, die sich an einem instrumentellen, auf Eindeutigkeit und Testbarkeit ausgerichteten Sprach- und Kulturverständnis orientieren (siehe z.B. das Rahmencurriculum für einen bundesweiten Integrationskurs, Goethe-Institut 2016). Literarischer Textualität und ästhetischer Medialität, die, anstatt Bedeutungen zu fixieren, Reflexionsräume zu öffnen suchen (Hofmann 2006), und nur „schwer messbare Kompetenzen“ (Frederking 2008) vermitteln, kann im Kontext eines solchen Sprach- und Kulturverständnisses kein systematischer Stellenwert im Prozess des Erwerbs sprachlich-kultureller Handlungsfähigkeit zukommen.

Wenn allerdings zutrifft, dass gelingende Integration Fähigkeiten zum „Umgang mit Pluralität, mit Ambiguität, mit Vielfältigkeit und Vieldeutigkeiten“ (Foroutan 2018) erfordert, stellt sich die Frage nach der Funktionalität literarischer Textualität und ästhetischer Medialität im Kontext DaZ neu. Denn literarische Texte und ästhetische Medien vermögen, entsprechende methodisch-didaktische Konzepte vorausgesetzt, sprachliche und kulturelle Komplexität und Mehrdeutigkeit zugänglich zu machen (Kramsch 2006), und zwar schon auf Grundstufenniveau. Außerdem können Lernende mit ihrer Hilfe das „full meaning making potential of language“ (ebd.) entdecken und sich auf diese Weise eine wichtige Ressource für den Prozess ihrer sprachlichen Ermächtigung erschließen.

Zu diskutieren ist allerdings, inwieweit eine solche Funktionalisierung literarischer Textualität und ästhetischer Medialität mit dem den DaZ-Unterricht weithin bestimmenden Sprach- und Kulturverständnis vereinbar ist beziehungsweise – weitergehend – ob sie nicht sogar ein anderes Verständnis von Integration impliziert als das derzeit stillschweigend zugrundegelegte einer Assimilation an eine als normativ gedachte (National-)Sprache und (Leit-)Kultur (vgl. Dirim 2010; Czollek 2018): Eines, das diese vielmehr als kreativ-poetische Mitgestaltung einer „vielheitlichen Gesellschaft“ (Terkessidis 2017) interpretiert.

Der Ansatz der Tagung besteht mithin darin, die Funktionen, die Potenziale und den Stellenwert literarischer Textualität und ästhetischer Medialität in DaZ-Kontexten vor dem Hintergrund der und mit Blick auf die sprach-, gesellschafts- und integrationspolitischen Rahmenbedingungen, Vorgaben und Zielsetzungen der (Zweit-)Sprach(en)vermittlung zu diskutieren; und damit den Umgang mit Literatur und ästhetischen Medien in DaZ in einem Spannungsfeld zu verorten, in dem es um die Grundfragen der Orientierung und Gestaltung der (Zweit-)Sprach(en)vermittlung in den deutschsprachigen Einwanderungsgesellschaften geht.

Literatur:
Belke, Eva; Belke, Gerlind (2006): Das Sprachspiel als Grundlage institutioneller Sprachvermitt-lung: Ein psycholinguistisch fundiertes Konzept für den Zweitspracherwerb. In: Peschel C.; Becker, T. (Hrsg.): Gesteuerter und ungesteuerter Grammatikerwerb. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 174-200.

Belke, Gerlind (2011): Literarische Sprachspiele als Mittel des Spracherwerbs. In: Fremdsprache Deutsch 44, 15-21.

Czollek, Max (2018): Desintegriert Euch! München: Hanser.

DaZ-Sekundarstufe 3/2017: Literatur und Sprache.

Dirim, İnci (2010): „Wenn man mit Akzent spricht, denken die Leute, dass man auch mit Akzent denkt oder so.“ Zur Frage des (Neo-)Linguizismus in den Diskursen über die Sprache(n) der Migrationsgesellschaft. In: Mecheril, Paul u.a. (Hrsg.): Spannungsverhältnisse. Assimiliations-diskurse und interkulturell-pädagogische Forschung. Münster: Waxmann, 91- 114

Eder, Ulrike; Dirim, İnci (Hrsg.) (2017): Lesen und Deutsch lernen. Wege der Förderung früher Literalität durch Kinderliteratur. Wien: Praesens.

Foroutan, Naika (2018): Neue Achse der politischen Unterschiede. Marcus Pindur im Gespräch mit Naika Foroutan. In: Tacheles, 19. 05. 2018. https://www.deutschlandfunkkultur.de/integrationsdebatte-neue-achse-der-politischen-unterschiede.990.de.html?dram:article_id=418329.

Frederking, Volker (2008): Schwer messbare Kompetenzen. Herausforderungen für die empirische Fachdidaktik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Gaul, Magnus; Nagel, Eva (2016): Sprache lernen durch Singen, Bewegung und Tanz. Kassel: Bosse.

Goethe-Institut (2016): Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. München.

Hofmann, Michael (2006): Interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine Einführung. München: Fink.

Kramsch, Claire (2006): From Communicative Competence Competence to Symbolic Competence. In: The Modern Language Journal 90/2, 249-252.

Moraitis, Anastasia u.a. (Hrsg.) (2018): Sprachförderung durch kulturelles und ästhetisches Lernen. Sprachbildende Konzepte für die Lehrerausbildung. Münster: Waxmann (= Sprach-Vermittlungen Band 20).

Rösch, Heidi (2017): Literaturunterricht und sprachliche Bildung. In: Beate Lütke u.a. (Hrsg.): Fachintegrierte Sprachbildung: Forschung, Theoriebildung und Konzepte für die Unterrichtspraxis. Boston, 151-168.

Schweiger, Hannes (2014): Begegnung mit Vielfalt. Sprachliches und kulturelles Lernen mit Literatur im Fremd- und Zweitsprachenunterricht. In: Deutsch als Fremdsprache 51/2, 76-85.

Steinbrenner, Marcus (2018): Sprachliche Bildung, Bildungssprache und die Sprachlichkeit der Literatur. In: Leseräume 4, 7–21.

Terkessidis, Mark (2017): Nach der Flucht. Neue Ideen für die Einwanderungsgesellschaft. Stuttgart: Reclam.

Wieler, Petra (2018): Sprachlich-ästhetische Literaturerfahrung als Beitrag zur Identitäts- und Sprachentwicklung jüngerer Kinder. In: Leseräume 4, 35-48.

Wildemann, Anja (2018): Alltagssprache – Lyrische Sprache – Bildungssprache: Zur Bedeutung des Lyrischen für die Entwicklung von (Bildungs-)Sprachlichkeit. Leseräume 4, 22–34.

Zierau, Cornelia; Kofer, Martina (2015): Literatur in der Sprachförderung – Überlegungen zu einer Neuorientierung im Sprach- und Literaturunterricht am Beispiel von Wolfgang Herrendorfs Adoleszenzromen „Tschick“. In: Deutsch als Fremdsprache 52/1, 3-13.

Programm

Donnerstag 7.11.19

08:00–09:30 Begrüßungskaffee

09:30–9:45 BEGRÜßUNG
Michael Dobstadt, Noa K. Ha, Julia Meyer (Dresden)

09:45–10:30 ERÖFFNUNGSVORTRAG
Michael Dobstadt (Dresden): Literarische Textualität und ästhetische Medialität in Deutsch als Zweitsprache – Einführung in das Tagungsthema

10:30–12:30 PANEL: Sprach- und Kulturreflexion I

Renate Riedner (Stellenbosch, ZA):Migration erzählen? Überlegungen zum authentischen und literarischen Erzählen in Deutsch als Zweitsprache am Beispiel von Kursmaterial aus „100 Stunden Deutschland: Orientierungskurs Politik, Geschichte, Kultur”

Cornelia Zierau (Paderborn): Sprach- und Kulturreflexion in der DaF-/DaZ-Didaktik und in den Studiengängen Deutsch als Fremd- und Zweitsprache am Beispiel der Inszenierungen von Mehrsprachigkeit und Kulturkontakten in Erzählungen Yoko Tawadas

Denise Büttner (Duisburg-Essen): Literaturunterricht in der Migrationsgesellschaft. Eine Fallrekonstruktion aus dem Lyrikunterricht einer 6. Klasse

12:30–14:00 Mittagspause

14:00–16:00 PANEL: Sprachaufmerksamkeit/Bildungssprache

Martina Kofer (Paderborn): Reflexion von Sprache als Differenzkategorie in mehrsprachiger Literatur: Potenziale für die Ausbildung von Critical Language Awareness in LehrerInnenbildung und Unterricht

Anja Wildemann (Koblenz): Bildungssprachlichkeit und sprachlich-literarisches Lernen in und durch Lyrik?!

Gerlind Belke (Dortmund): Literarische Textualität und ästhetische Medialität als Grundlage eines integrativen Sprachunterrichts in der Landessprache Deutsch

16:00–16:30 Pause

16:30–17:10 PANEL: Sprach- und Kulturreflexion II

Hannes Schweiger (Wien): Literarische Wege zu sprachlicher Selbstermächtigung

İnci Dirim (Wien): Deutsch als Zweitsprache zwischen sprachlichem Essentialismus und Sprachwandel

18:30–19:30 Empfang

19:30–21:00 ÖFFENTLICHE LESUNG UND PUPLIKUMSGESPRÄCH
Sharon Dodua Otoo (Berlin): die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle

Freitag 8.11.19

09:00–10:00 Begrüßungskaffee

10:00–10:30 ÖFFENTLICHER VORTRAG

Renate Riedner (Stellenbosch, ZA): Rückblick auf den ersten Konferenztag

10:30–12:00 ÖFFENTLICHE PODIUMSDISKUSSION

Perspektiven und Potentiale ästhetisch-literarischen Lernens in der DaZ-Vermittlung
Michael Dobstadt (Dresden)
Konrad Ehlich (Berlin)
Wanja Saatkamp (Dresden)

12:00–13:30 Mittagspause

13:30–16:10 PANEL: Film/Graphic Novels/Musik

Tina Welke (Wien): Irgendwo im Nirgendwo. Erwachsenwerden im neueren österreichischen Film

Heidi Rösch (Karlsruhe): Graphic Novels und mehr sprachliche Bildung

Daniela Schwarz (Essen): Vom Klang der Sprache. Zur Förderung von sprachlichen Kompetenzen durch Musik

Eva Nagel (Regensburg): „Spring“ – Sprachförderung mit Musik als Schlüssel zur Integration

16:10–16:30 ABSCHLUSS
Michael Dobstadt (Dresden)

16:30–17:00 Abschlusskaffee

Kontakt

Karoline Oehme-Jüngling

Zellescher Weg 22, Seminargebäude 1, Zi. SE 1-13, 01062 Dresden

zfi.gsw@mailbox.zu-dresden.de

http://www.tu-dresden.de/zfi/literatur-in-daz
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Deutsch
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