»Hoch die internationale…«? Praktiken und Ideen der Solidarität. Autorentagung des Archivs für Sozialgeschichte

»Hoch die internationale…«? Praktiken und Ideen der Solidarität. Autorentagung des Archivs für Sozialgeschichte

Veranstalter
Archiv für Sozialgeschichte, Friedrich-Ebert-Stiftung
Veranstaltungsort
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.10.2019 - 18.10.2019
Deadline
11.10.2019
Von
Philipp Kufferath

An Versuchen, den Solidaritätsbegriff theoretisch zu fassen, herrscht kein Mangel. Im ihm spiegeln sich zentrale säkulare und religiöse Deutungen moderner Gesellschaften. Vorstellungen von Solidarität verweisen auf die »moralische Ökonomie« kapitalistischer Gesellschaften, auf die Erfahrungen lebensweltlicher Nähe und politischer und sozialer Konflikte. Doch was genau der Begriff beschreibt, ob er zugleich analytische Qualität bei der Beschreibung sozialer Handlungsformen besitzt, ist umstritten. Merkwürdigerweise spielte der Begriff innerhalb der Geschichtswissenschaften bislang kaum eine größere Rolle. Solidarität ist Teil der Geschichte von Streiks, von Arbeitsbeziehungen, von Mikropolitiken im Betrieb, der Rolle der Gewerkschaften. In alltagsgeschichtlicher Perspektive verweist der Begriff auf Praktiken der Arbeit, auf Formen von Nähe und Distanz im Produktionsprozess und die Selbstdeutung der Beschäftigten. Er kann sowohl den Versuch zur kollektiven Organisation von Interessen beschreiben als auch ein primäres Gefühl des Zusammenhalts. Formen der Solidarität können zugleich einen exkludierenden Charakter haben, wenn beispielsweise Gewerkschaften gegen die Verlagerung von Betrieben oder gegen die Einfuhr spezieller Waren und Güter aus außereuropäischen Ländern stritten.
Die transnationale Dimension von Solidarität führt in das weite Feld organisierter Unterstützungsformen für Hungernde, Kriegswaisen, Geflüchtete oder politisch Verfolgte, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und sich in der Zwischenkriegszeit intensivierten. Diese transnationalen humanitären Netzwerke als Ausdruck solidarischer Praktiken zu analysieren, erschließt ihre genuin politische Dimension. Zu fragen wäre sowohl nach Formen der Selbstermächtigung als auch des widerständigen und transformatorischen Anspruchs unterschiedlicher Akteure und Organisationen. Der Solidaritätsbegriff verweist zudem in das weite Feld der Auseinandersetzung um »solidarische« Produktionsformen, betriebliche Kooperationen, Sharing Economy und Commons, die sich bewusst spezifischen Marktlogiken zu entziehen versuchen. Auch viele weitere Formen der Vergemeinschaftung wie zum Beispiel Sozialversicherungen, Konsumgenossenschaften, selbstorganisierte Wohnprojekte, Nachbarschaftshilfe und Urban Gardening werden mit Solidarität begründet.
Auf der Tagung möchten wir ein Konzept für das hier skizzierte Rahmenthema des Archivs für Sozialgeschichte 60 (2020) entwickeln und mit den eingeladenen Autorinnen und Autoren diskutieren.

Programm

Donnerstag, 17. Oktober 2019

12.30 Uhr
Anreise und Anmeldung

12.45 Uhr
Begrüßung und Einführung:
Praktiken und Ideen der Solidarität
Philipp Kufferath, Bonn, und Dietmar Süß, Augsburg

13.00 Uhr
Ein fait social moderner Gesellschaften – oder: Warum Solidarität kein ›Grundwert‹ ist
Hermann Josef Große Kracht, Darmstadt

Genese und Gegenwart der Kontingenzformel »Solidarität«
Marc Drobot, Dresden

Moderation: Kirsten Heinsohn, Hamburg

14:15 Uhr
Kaffeepause

14.35 Uhr
Vorteile und Nachteile gelebter Solidarität. Russische Sekten 1861 – 1917
Agnieszka Zagańczyk-Neufeld, Bochum

»Künstlerhilfe« as an Example of the Alternative Way of the International Solidarity
Marija Podzorova, Paris

Solidarischer Stalinismus? Pierre Kaldor und die internationalen Solidaritätskampagnen der Kommunistischen Partei Frankreichs, 1933-1995
Dominik Rigoll, Potsdam

Moderation: Thomas Kroll, Jena

16.25 Uhr
Kaffeepause

16.45 Uhr
Welches Geschlecht hat Solidarität? Der »Oeuvre de Secours aux Enfants« und die Hilfe für Minderjährige auf der Flucht vor dem NS
Sophia Dafinger, Augsburg

Über die Verrechtlichung von Solidarität. Die NIEO und die Entstehung einer neuen Menschenrechtsgeneration
Christoph Plath, Berlin

»Ausgleich zuhause und draußen.« Die Solidaritätsrhetorik in der bundesdeutschen und schwedischen Außenpolitik der 1970er Jahre
Christopher Seiberlich, Tübingen

Moderation: Ute Planert, Köln

18:35 Uhr
Abendpause

19:15 Uhr
Abendvortrag:
Globale Solidarität? 100 Jahre Internationale Arbeitsorganisation (ILO)
Daniel Maul, Oslo, anschließend Gespräch mit Dietmar Süß, Augsburg

20.45 Uhr
Ende des 1. Tages

Freitag, 18. Oktober 2019

9.00 Uhr
Dynamische Solidarität. Praktiken der Solidarität in der Gesetzlichen Krankenversicherung und ihren Vorläuferorganisationen
Stefanie Börner, Magdeburg

Von Jesus zu Marx und zurück. Solidarität im Denken und gesellschaftlichen Wirken von Helmut Gollwitzer und Walter Dirks
Benedikt Brunner, Mainz, und Gabriel Rolfes, Chemnitz

Unsolidarische Solidarität – Sprachpolitik im DGB
Stefan Wannenwetsch, Tübingen

Moderation: Meik Woyke, Hamburg

10.50 Uhr
Kaffeepause

11.10 Uhr
Solidarity across the Bamboo Curtain: The Networks of »Friendship with China« during the Cold War
Cyril Cordoba, Fribourg

The Afterlives of Solidarity: The »Solidaritätsdienst International« and its Re-Interpretation of the German Democratic Republic’s Programs of Global Development in Re-Unified Germany
Paul Sprute, Berlin

Internationale Solidarität und dekolonialer Widerstand im 21. Jahrhundert
Sebastian Garbe, Gießen

Moderation: Friedrich Lenger, Gießen

13.00 Uhr
Mittagspause

13.50 Uhr
Wandel der Solidarität. Semantiken von Solidarität beim politischen Konsum seit den späten 1980er-Jahren
Stefan Weispfennig, Trier

›Externe‹ Solidarität als kritische Praxis
Andreas Busen, Hamburg

Pitfalls of Solidarity: A Critical Perspective on the Refugee Support Movement
Joachim C. Häberlen, Warwick

Moderation: Anja Kruke, Bonn

15:40
Abschlussdiskussion

16:00
Ende des Workshops und Abreise

Bei Fragen zur barrierefreien Durchführung der Veranstaltung wenden Sie sich bitte vor dem Workshop an uns.

Weitere geplante Beiträge für den Band:

Solidarität und die nächste Generation
Wim van Meurs, Nijmegen

Das Internationale Arbeiterhilfswerk und die Solidaritätspolitik europäischer Wohlfahrtsorganisationen
Philipp Kufferath, Bonn

Kontakt

Friedrich-Ebert-Stiftung
Archiv für Sozialgeschichte
Dr. Philipp Kufferath
Godesberger Allee 149
53175 Bonn

https://www.fes.de/afs/termine