Produktion von Gesundheit und Krankheit im Stall, 1930-1980 / Producing health and disease in the stable, 1930-1980

Produktion von Gesundheit und Krankheit im Stall, 1930-1980 / Producing health and disease in the stable, 1930-1980

Veranstalter
Beat Bächi (Institut für biomedizinische Ethik und Medizingeschichte, Universität Zürich); Maria Böhmer (Institut für biomedizinische Ethik und Medizingeschichte, Universität Zürich); Frédéric Vagneron (Centre Alexandre-Koyré, EHESS, Paris)
Veranstaltungsort
Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
27.04.2020 -
Deadline
31.12.2019
Website
Von
Böhmer, Maria

Zwischen den 1930er und 1980er Jahren vollzog sich ein markanter Wandel in den landwirtschaftlichen Produktionsweisen. Die «Industrialisierung von Organismen» veränderte die Arbeit und den Umgang der Menschen mit den Nutztieren stark (Schrepfer und Cranton 2003). Zumindest in Europa ging das wirtschaftspolitische Ziel der Leistungs-und Produktionssteigerung einher mit einer zunehmenden Spezialisierung der Landwirtschaft sowie einer zunehmenden Professionalisierung der beteiligten Akteure. Ein wichtiger Bereich, in dem sich diese Spezialisierung niederschlug, ist das Krankheitsgeschehen im Stall.
Während jüngere Forschungsbeiträge vor allem untersucht haben, welche Folgen die Intensivierung der Landwirtschaft und die Massentierhaltung für die Lebensmittelsicherheit, die Konsumgewohnheiten und das Risikoverständnis von Gesellschaften zeitigten, möchten wir den Blick auf die konkreten Praktiken und Materialitäten lenken, die rund um die «Tiergesundheit» entstanden. Im Zentrum unseres Workshops steht deshalb die Frage, wie Gesundheit und Krankheit im Stall in den Jahrzehnten zwischen 1930 und 1980 «produziert» wurden. Wir gehen davon aus, dass daran nicht nur Veterinärmediziner und Bauern sowie die Tiere selbst beteiligt waren, sondern auch eine Vielzahl weiterer Akteure: Futtermittelproduzenten und -berater, Agronomen und Zootechniker, genossenschaftliche Organisationen, staatliche Forschungsanstalten und Labore, die Pharma-Industrie sowie supra-nationale Akteure – sie alle waren auf unterschiedliche Weise in die «Ko-Produktion» der Tiergesundheit im Stall involviert (Woods 2019). Anders als die historischen Tierseuchen erforderten die neuartigen sogenannten «Produktionskrankheiten» (Payne 1971) die engmaschige Zusammenarbeit vieler Expertengruppen.
Wer sind die Akteure bei der Verschreibung neuer Substanzen und "Lösungen", die auf das Ziel der Ertragssteigerung ausgerichtet sind? Wie haben diese verschiedenen Akteure versucht, Krankheiten mit unterschiedlichen Erscheinungsformen in der Tierpopulation zu verhindern oder zu heilen? Wo gab es Kooperationen und Konflikte zwischen verschiedenen beruflichen, wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Interessen? Von was für einem Verständnis von «natürlichen» und «gesunden» Tieren war das Handeln der Akteure geleitet?
Besonderes Augenmerk möchten wir auf die Frage lenken, welchen Stellenwert den Medizinalstoffen im Stall zukam. Es ist zu vermuten, dass der rapid steigende Arzneimitteleinsatz nach 1950 nicht nur therapeutischen Zwecken diente, sondern auch eine Antwort auf verschiedene Probleme in der Tierhaltung bot, die erst durch die Intensivierung und Spezialisierung der Landwirtschaft hervorgebracht wurden (zum Beispiel die Konzentration der Populationen in künstlichen Umgebungen). Ebenso interessieren uns aber jene Praktiken und Strategien im Umgang mit gesunden und kranken Tieren, die von dem zunehmenden Einfluss von Pharmazeutika weitgehend unbeeinflusst blieben, aber dennoch dem Strukturwandel der Landwirtschaft angepasst wurden. Nicht zuletzt fragen wir danach, ob und in welchen Kontexten Widerstände gegen das übergeordnete Ziel der Leistungssteigerung - und der Rolle von Medizinalstoffen darin - artikuliert und an welchen Stellen alternative Konzepte entwickelt wurden.

Wir laden interessierte ForscherInnen dazu ein, folgende und weitere Aspekte in empirischen, quellennahen Fallstudien zu untersuchen:

- Der Einsatz von Arzneimitteln im Stall und die Rolle der Pharmaindustrie
- Nutztiere als Lieferanten von Stoffen für die Arzneimittelproduktion
- Die Beziehungen (konfliktreich oder nicht) zwischen Veterinärmedizinern, Agronomen und Zootechnikern im Feld der Tiergesundheit
- Die Perspektiven und Praktiken der Bauern und ihre Interessen am Einsatz pharmazeutischer Produkte
- Die Arbeit von veterinärmedizinischen und landwirtschaftlichen Forschungsanstalten (privat/öffentlich) im Bereich der Tiergesundheit
- „Produktionskrankheiten“ und «Tiergesundheit» als neue kritische Themen
- Die Tierfutterindustrie als Akteur und Vehikel für die Einführung von Medikamenten im Stall
- Wechselwirkungen zwischen Veterinär-und Humanmedizin und die Rolle des Marktes für pharmazeutische Stoffe (präventiv oder therapeutisch)
- Beiträge mit kritischen Reflexionen über Archivbestände, Quellen und verschiedene methodologische Herangehensweisen sind besonders willkommen.

Der Workshop wird in der letzten Aprilwoche 2020 in Zürich stattfinden.
Eine kurze Beitragsskizze von 400 Wörtern (in Deutsch, Französisch oder Englisch), die Fragestellung, Herangehensweise und Quellenbasis erläutert, erbitten wir bis Ende Dezember 2019 an: beat.bächi@uzh.ch

Englische Version:

Between the 1930s and 1980s agricultural production methods in Europe changed significantly. The "industrialisation of organisms" influenced the way people worked and dealt with livestock (Schrepfer and Cranton 2003). Economic policies aiming at boosting performance and production went hand in hand with an increasing specialisation in agriculture and the professionalization of the actors involved. An important area of this profound change were the diseases in the stable.
Most recent research has focused on the consequences of intensified agriculture and intensive animal husbandry on food safety, consumption behaviour, and risk assessment for societies. We propose, however, to draw the attention to the specific practices and materialities that have emerged around "animal health". Our workshop will focus on the question of how health and disease were "produced" in the stable between the 1930s and the 1980s. We assume that key actors included were veterinarians, farmers and animals themselves. But we also see a diverse set of other groups involved: feed producers and agricultural advisory services, agronomists and zootechnicians, cooperative organisations, public and private research institutes and laboratories, the pharmaceutical industry as well as supra-national actors. All these groups "co-produced" animal health in the stable in different ways (Woods 2019). In fact, we consider our case as a primary example for the new "production diseases” (Payne 1971), which requires the analysis of the close collaboration between many actors.
Who were the actors involved in prescribing new substances and "solutions" adapted to the goal of increasing yields? How have these different actors tried to prevent or cure diseases given their unclear (and uneven) manifestations in animal populations? How did collaboration and conflict manifest between the different professional and experts, and the often-divergent economic and sanitary interests? What kind of understanding of "natural" and "healthy" animals guided the relevant actors?
We endeavour to pay closer attention to the importance of the use of medical substances in the stable. We assume that the rapid increase in drug use after 1950 not only served therapeutic purposes, but also provided a response to various problems in husbandry and livestock. These problems appeared due to the intensification and specialisation of agriculture (e.g. the concentration of populations in artificial environments). However, we are also interested in practices and strategies outside of this growing influence of pharmaceutical substances, but which have nevertheless been transformed to adapt to structural changes in livestock farming. Additionally, we ask whether and in which contexts resistance to the overarching goal of improving performance was articulated and put in practice, the role of medical substances, and how alternative concepts were developed.
We invite researchers to propose presentations based on original research on the following aspects:
- The use of drugs in the stable and the role of the pharmaceutical industry
- Farm animals as suppliers of substances for pharmaceutical production
- The relations (conflictual or not) between veterinarians, agronomists and zootechnicians in the field of animal health
- The perspectives and practices of farmers and their interests in the use of pharmaceutical products
- The work of veterinary and agricultural research institutes (private/public) in the field of animal health
- “Production diseases" and "animal health" as new critical topics and categories
- The animal feed industry and animal feed as actor and vehicle for the introduction of drugs into the barn
- Interactions between veterinary and human medicine and the role of the market for pharmaceutical substances (preventive or therapeutic)
Contributions offering critical reflections on archival materials, sources and different methodological approaches are particularly welcome.
The workshop will take place in Zurich in the last week of April 2020.
An abstract of 400 words (in German, French or English) explaining the question, approach and source base is requested by end of December 2019 to: beat.bächi@uzh.ch

Programm

Kontakt

Maria Böhmer
Universität Zürich
Institut für biomedizinische Ethik und Medizingeschichte
Winterthurerstrasse 130
CH-8006 Zürich

mariadorothee.boehmer@uzh.ch


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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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