Unscheinbarkeiten: Mikroarchitektur und Oberfläche im Straßenraum von Städten der römischen Kaiserzeit

Unscheinbarkeiten: Mikroarchitektur und Oberfläche im Straßenraum von Städten der römischen Kaiserzeit

Veranstalter
Prof. Dr. Andreas Grüner, Dr. Julian Schreyer Institut für Klassische Archäologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg
Veranstaltungsort
Ort
Erlangen
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.10.2020 - 24.10.2020
Deadline
15.03.2020
Website
Von
Julian Schreyer, Institut für Klassische Archäologie, FAU Erlangen-Nürnberg

Mit der Gegenüberstellung von Fotografien, die einen modernen Straßenabschnitt während unterschiedlicher Jahrzehnte oder Jahrhunderte zeigen, verbindet sich ein bemerkenswerter Effekt: Sie übt auf einen Betrachter eine starke Kontrastwirkung aus.

Auch wenn Straßenbreite und Randbebauung gleichgeblieben sind, meint der Betrachter, in eine andere Stadt zu sehen: eine Veränderung des Stadtbildes, das sich in seiner Substanz paradoxerweise bisweilen gar nicht verändert hat. In den Fokus geraten urbane Paraphernalien: Oberflächen, Mikroarchitekturen und Stadtmobiliar wie Straßenbelag, Gebäudefassaden, Einzäunungen, Schriftreklamen, Laternen, Oberleitungen, Mülleimer, Briefkästen. Scheinbar nur sekundäre urbanistische Akzidentien, bestimmen solche Elemente (wie das Selbstexperiment an der historischen Fotografie zeigt) den Charakter des individuellen Stadtraums in weitaus stärkerem Maße, als es Größe, Funktion und Bedeutung vermuten lassen.

Mikroarchitekturen und Stadtoberflächen kennzeichnet ein ephemerer Charakter, freier Zugriff und ein unmittelbares, bisweilen gar banal praktisches Funktionsspektrum. Dies setzt sie starken Modifikationen aus: Hier greift der menschliche (und tierische) Akteur permanent in das Gesicht des urbanen Tableaus ein, revidiert, ergänzt, manipuliert, schminkt und ruiniert es. In wesentlich höherem Maße als monumentale Strukturen und infrastrukturelle Großprojekte wirken Oberflächen als fluide Membrane und mediale Projektionsschirme; Mikroarchitekturen setzen flexible Scharniere zwischen urbane Räume und Akteure, sind elementare Konjunktionen innerhalb der Syntax der gestalteten Stadt. Während Theorie und Praxis des Städtebaus längst nicht mehr an den Grenzen übergeordneter Planungszusammenhänge und monumentaler Einzelbauten Halt machen (zuletzt in der 2019 vorgelegten Studie „Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum“ des Zürcher Architekturtheoretikers Vittorio Magnago Lampugnani, die schon unmittelbar nach ihrem Erscheinen massiv rezipiert wurde), steht eine vergleichbare Konzeptualisierung der mikroarchitektonischen und oberflächigen Strukturen antiker Städte unter einer dezidiert ästhetischen Akzentuierung bis heute aus.

Die Tagung analysiert 1. die ästhetische Bedeutung, die Oberflächen und Mikroarchitekturen für die Erscheinung von Städten der römischen Kaiserzeit haben, und 2. die fundamentalen Wirkungsmechanismen, durch die sie zur diachronen und räumlichen Differenz urbaner Tableaus in der Antike beitragen. Im Mittelpunkt steht dabei die urbane Teilerscheinung des Straßenraums als fluider Prospekt, als konstruiertes, oft punktuell und pragmatisch fabriziertes, nur in geringem Maße systematisch orchestriertes Bühnenbild. In Bezug auf die Perspektive des Passanten und dessen sich ständig verändernde Blick- und Handlungsfelder ist nach der Rolle zu fragen, die Oberflächen und Mikroarchitekturen im Kaleidoskop der Genese urbaner Charakterbilder spielen. Die komplexe, insbesondere visuelle Prägung und Gestaltung des Straßenrauminventars kaiserzeitlicher Städte werden so erstmals auf umfassender Basis in den Mittelpunkt gerückt.

Die Leitfragen lauten: Wie sind Mikroarchitekturen und Oberflächen durch Material, Bearbeitung, Größe und Position im Verhältnis zum übrigen Straßenraum gestaltet? Wie machen sie sich den Straßenbenutzern bemerkbar? Wie gliedern und qualifizieren sie den urbanen Raum? Wie beeinflussen, transformieren oder rekonfigurieren ‚Verkleidungen‘ oder ‚Häutungen‘ den Charakter einer persistenten architektonischen Großstruktur? Wie lassen sich Formen von habituierten, zufälligen oder geplanten Eingriffen in die visuelle Membran des Stadtraums entfalten und systematisieren? Wie überlagern oder verhindern sich ästhetische, ökonomische und semantische Aspekte? Und zuletzt: Wie lässt sich über Oberfläche und Mikroarchitektur der ‚feine Unterschied‘, d.h. die spezifische soziale Eigenart eines Quartiers, einer Stadt oder einer regionalen Gruppe von Städten manipulieren – und welche Ideen, Konzepte und Konsequenzen lassen sich damit aus den antiken Situationen möglicherweise für die Gegenwart extrahieren?

Die drei ausgeschriebenen Vorträge sollen mikroarchitektonische und/oder oberflächenbezogene Typen resp. Phänomene kaiserzeitlicher Straßenräume herausgreifen, durch aussagekräftige Beispiele aus dem römischen Mittelmeerraum kontrastiv präsentieren und unter den oben formulierten Leitfragen diskutieren. Die Vorträge sollen eine Dauer von 20 Minuten nicht überschreiten. Reisekosten und Unterbringung werden übernommen. Eine Publikation der überarbeiteten Beiträge ist geplant; die druckfertigen Manuskripte sollen bis Ende April 2021 eingereicht sein.
Vortragsvorschläge mit Titel und Abstract werden bis 15.03.2020 an julian.schreyer@fau.de erbeten.

Programm

Kontakt

Julian Schreyer (julian.schreyer@fau.de)


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Deutsch
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