Familie und Krieg. Erfahrung, Fürsorge und Leitbilder von der Antike bis in die Gegenwart (Family and War. Experience, Welfare and Ideas from Antiquity to Present Time)

Familie und Krieg. Erfahrung, Fürsorge und Leitbilder von der Antike bis in die Gegenwart (Family and War. Experience, Welfare and Ideas from Antiquity to Present Time)

Veranstalter
Michael Mayer, Akademie für Politische Bildung; Markus Raasch, Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Alexander Denzler, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt; Andreas Hartmann, Universität Augsburg; Kathrin Kiefer, Universität Heidelberg
Veranstaltungsort
Akademie für Politische Bildung
Ort
Tutzing
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.05.2020 - 17.05.2020
Deadline
31.03.2020
Website
Von
Raasch, Markus

Was macht der Krieg mit den Menschen? Wie verändert und prägt er Gesellschaften? Unsere Konferenz möchte ausloten, was aus historischer Perspektive zur Beantwortung solch hochaktueller Fragen beigetragen werden kann. Seit Anbeginn der Menschheit bildet die Familie – verstanden als (Lebens-)Gemeinschaft aus einem Elternpaar bzw. einem Elternteil und mindestens einem Kind – die kleinste und elementarste Einheit eines Sozialsystems. Sie umfasst den intimsten Raum menschlichen Miteinanders und vermag wesentliche Aufgaben für ihre Mitglieder zu leisten. Zugleich ist sie fundamental für das Funktionieren einer Gemeinschaft und daher von enormer politischer Bedeutung. Sie beschreibt prägenden Lebensalltag, ist eminenter Adressat obrigkeitlichen Handelns und fortwährender Gegenstand gesellschaftlicher Diskurse. Die Auswirkungen von Kriegen auf Gesellschaften lassen sich entsprechend im Spiegel der Familie in besonderer Dichte und Anschaulichkeit untersuchen. Die historische Forschung hat diesem Umstand allerdings bisher unzureichend Rechnung getragen. Über „Kriegskinder“ ist beispielsweise mittlerweile viel, über Familien im Krieg deutlich weniger geschrieben worden. Grundsätzlich stehen sich zwei Deutungsangebote gegenüber: Auf der einen Seite werden Krisenerscheinungen, d. h. „the disruptive effects of the war“ (Catherine Rollet) herausgestellt, auf der anderen Seite stehen lebensweltlich interessierte Arbeiten, die für Kriegszeiten „the strength and resilience of family life“ (Susan Goodman) akzentuieren. Eine Ausdifferenzierung dieser Großdeutungen durch transnationale oder gar epochenübergreifende Perspektiven ist bisher allenfalls im Ansatz versucht worden. Eine systematische Untersuchung des Verhältnisses Familie und Krieg von der Antike bis in die Gegenwart existiert nicht.
Hier wollen wir einen Aufschlag machen. Mit den Mitteln einer kulturwissenschaftlich sensiblen Sozialgeschichte sollen drei Fragenkomplexe bearbeitet werden. Zum ersten interessiert das Feld von Fürsorge und Kontrolle: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Rekrutierungspraxis und Familienverhältnissen? Welche Vorgaben macht ein politisches Gemeinwesen seinen Soldaten in Bezug auf Ehe und Familie, welche Angebote hält es bereit? Inwiefern lässt es Soldaten und ihren Familien im Krieg Unterstützung zuteilwerden? Aus welchen Gründen, in welchen Formen, mit welchen Absichten und mit welchem Erfolg geschieht dies? Inwiefern ist zwischen obrigkeitlicher und nicht-obrigkeitlicher Hilfe zu unterscheiden? Was kennzeichnet insbesondere den Bereich der Witwen- und Waisenversorgung? Zum zweiten steht der Bereich Leitbilder und Propaganda im Fokus: Was kennzeichnet das normative Reden und Schweigen in Sachen Familie und Krieg? Welche Interessen spielen dabei eine Rolle? Welche Imaginationen werden von wem zu welchem Zweck kolportiert, inwiefern bestehen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Friedenszeiten? Welche Rolle nimmt der Krieg in Geschlechterkonstruktionen ein? Welche Bedeutung haben Familien für die geistige Kriegsführung und welche propagandistische Rolle wird ihnen aus welchen Gründen zugewiesen? Zum dritten geht es um das Thema Alltag und Erfahrung: Wie erleben Familien den Krieg? Welche sozialen, religiösen, generationellen und geschlechtsbezogenen Differenzierungen kommen dabei zum Tragen? Welchem Wandel unterliegen Eltern-Kind- und Geschwisterbeziehungen? Inwieweit partizipieren Familien am Kriegsgeschehen? Wie gehen sie mit Trennung und Verlust um? Was bergen die „langen Schatten des Krieges“ (Elisabeth Domansky/Jutta de Jong)? Welche wirtschaftlichen und demografischen Auswirkungen, welche psychohistorischen Erbschaften und transgenerationalen Folgen bringt der Krieg mit sich?
Die Konferenz nimmt alle Arten von Krieg, der sich allgemein als „Extremform militärischer Gewalt zwischen mindestens zwei politischen Gruppen“ (Sven Chojnacki) fassen lässt, in den Blick (zwischenstaatliche Auseinandersetzung, Bürgerkrieg, asymmetrischer Krieg, frozen conflict etc.). Sie ist ausdrücklich zeitübergreifend angelegt, wobei Kontinuitätslinien ebenso wie Ungleichzeitigkeiten und Brüche betrachtet werden sollen. Sie sieht sich grenzübergreifenden Sichtweisen verpflichtet, beleuchtet internationale Zusammenhänge und sucht den Austausch mit anderen Wissenschaftsdisziplinen. Die Aktualität des Themas Familie und Krieg soll auf diese Weise verfremdet, kontextualisiert und aus historischem Blickwinkel nuanciert diskutiert werden.

Programm

FREITAG, 15. MAI 2020
14:00 Anreise, Kaffee im Foyer
15:00 Eröffnung und Begrüßung
15:20 James Marten (Marquette University, Milwaukee): Tragedy and Opportunity. The Study of Children and Families in Wartime

Sektion I: Fürsorge und Kontrolle
16:00 Oliver Stoll (Universität Passau): ‚Gruppenbild mit Dame‘ oder: Familienleben trotz Eheverbot. Militärfamilien in den Militär- und Garnisonsgesellschaften der Limeszonen des Imperium Romanum während des 1.-3. Jh. n. Chr.
16:45 Kaffeepause
17:00 Joel F. Harrington (Vanderbilt University, Nashville): Early Modern Crisis Management. Der Nürnberger Rat und Waisenversorgung im Dreißigjährigen Krieg
Stefan Kroll (Universität Rostock): Zwischen Heimat und Tross. Soldatenfamilien in den Kriegen des 18. Jahrhunderts
Pierluigi Pironti (Freie Universität Berlin): „Dank des Vaterlandes“ oder soziale Rechte? Erster Weltkrieg und Kriegsopferversorgung in Deutschland und Italien
18:30 Abendessen
19:30 Jörg Echternkamp (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg): Fürsorge, Mobilisierung und Disziplinierung. Nicht-jüdische Familien in der deutschen Kriegsgesellschaft 1939-1945

Moderation: Julius Kalisch (Universität Mainz)

SAMSTAG, 16. MAI 2020
Sektion II: Leitbilder und Propaganda
9:00 Andreas Hartmann (Universität Augsburg): Familie in Kriegsparainesen und Leichenreden der griechischen Polis
9:45 Marion Meyer (Universität Wien): Kriegerabschied im antiken Athen
10:30 Kaffeepause
11:00 Marian Füssel (Universität Göttingen): Zusammenhalt und Spaltung. Familien im Siebenjährigen Krieg
11:45 Bérénice Zunino-Lecoq (Centre Marc Bloch, Berlin): Propaganda, Kinder und Familie im Ersten Weltkrieg
12:30 Mittagessen
14:00 Ross F. Collins (North Dakota State University, Fargo): The militarization of American children during the Second World War

Moderation: Wolfgang von Massow (Universität Mainz)

Sektion III: Alltag und Erfahrung
14:45 Christoph Schubert (Universität Erlangen-Nürnberg): Sagunt, Alesia, Jerusalem. Das Leiden der Zivilbevölkerung im antiken Belagerungskrieg"
15:30 Kaffeepause
16:00 Claudia Jarzebowski (Freie Universität Berlin): Familienbeziehungen und Familienpraktiken in frühneuzeitlichen Kriegen

Moderation: Simon Ferel (Universität Mainz)

16:45 Podiumsdiskussion: Familie und Krieg. Perspektiven des 21. Jahrhunderts

Mahmoud Ali, Journalist aus Syrien, seit 2015 in Deutschland
Patricia Söltl, Gründerin von „Refugees, welcome to Stuttgart“
Samer Tannous, freier Autor und Hochschullehrer aus Syrien, seit 2015 in Deutschland
N.N., Vertreterin des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales in Bayern
Andreas Wunn, Journalist und TV-Moderator

Moderation: Yellah Niehaves, Julius Kalisch (Universität Mainz)

18:30 Abendessen

SONNTAG, 17. MAI 2020
9:00 Maria Weber (München): Kriegsgefangenschaft und Familie in der Frühen Neuzeit. Eine Annäherung
Kathrin Kiefer/Markus Raasch (Universität Heidelberg/Universität Mainz): Familienbeziehungen in den beiden Weltkriegen
Anette Neder (Mainz): Kriegserfahrung und Familienleben. Emotionen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg
10:30 Kaffeepause
10:45 Michael Roper (University of Essex, Colchester): Fatherhood and the First World War Veteran in Britain
Abschlussgespräch
12:00 Mittagessen und Tagungsende

Moderation: Simon Ferel (Universität Mainz)

Kontakt

Markus Raasch

Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Arbeitsberich Zeitgeschichte

maraasch@uni-mainz.de


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