Private Blicke in Diktatur und Demokratie: Schmalfilme und Fotos im 20. Jahrhundert

Konferenz (Online): Private Blicke in Diktatur und Demokratie: Schmalfilme und Fotos im 20. Jahrhundert

Veranstalter
Frank Bösch/Sebastian Thalheim (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF))
Ausrichter
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)
Veranstaltungsort
Online
PLZ
14467
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.12.2020 - 11.12.2020
Deadline
06.12.2020
Von
Frank Bösch, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF)

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist durch immense politische und gesellschaftliche Umwälzungen gekennzeichnet, die Historiker/innen meist mit Textquellen oder öffentlich zirkulierenden Bildern erschließen. Kaum berücksichtigt wird, dass die meisten Menschen ihren Blick auf ihre Gegenwart und Vergangenheit durch private visuelle Quellen konstruieren.

Konferenz (Online): Private Blicke in Diktatur und Demokratie: Schmalfilme und Fotos im 20. Jahrhundert

Während Tagebücher und Briefe eher seltene Zeugnisse bilden, die vor allem im Bürgertum überliefert sind, sind private Fotos und Filme aus dem 20. Jahrhundert ubiquitär verfügbar. Doch obgleich die meisten Familien über Zäsuren hinweg ihre Sicht auf die Welt durch private Fotos und Filme dokumentierten und erinnerten, sind sie bisher wissenschaftlich kaum erschlossen. Dabei versprechen sie eine andere Sichtweise auf das 20. Jahrhundert. Indem die privaten Kameras unterschiedliche unbekannte Akteur/innen, Handlungen, Ereignisse und Orte sicht- und unsichtbar machten, waren sie aktiv involviert in die Konstruktion dessen, was als „Realität“, als „Familie“ oder als „Privatsphäre“ wahrgenommen wurde und erinnert wird. Neutrale Dokumentationsinstrumente sind Fotografie und Schmalfilm nicht. Die privaten Bildpraktiken konnten sich zwar selbst in den Diktaturen weitgehend politischer Kontrolle entziehen, sind aber deutlich durch soziale Konventionen gekennzeichnet. Gerade dies macht sie zu einer wichtigen Quelle für eine Alltagsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Die Tagung untersucht mit einer vergleichenden Perspektive diese (Bewegt-)Bildmedien im Alltag. Denn gerade private Bildquellen mit ihren gängigen Motiven von Häuslichkeit, Familie, Reisen und Vergnügen bieten Historiker/innen Werkzeuge, um Bild- und Blickkulturen in unterschiedlichen Gesellschaften und politischen Systemen zu analysieren. Zentrale Fragen sind: Inwiefern wirkten die Bildmedien an der Konstruktion eines spezifischen Blicks auf Alltag in Diktatur und Demokratie mit? Gab es einen individuellen, privaten Blick in unterschiedlichen Gesellschaften und sozialen Gruppen? Lassen sich Darstellungs- und Wahrnehmungsmuster dokumentieren? Was sagen visuelle Überschneidungen und Ähnlichkeiten über Fotografie und Schmalfilm als transnationale Bildmedien aus? Inwiefern partizipierten diese modernen, technischen Kommunikationsmittel an sozio-kulturellen Veränderungsprozessen, brachten bestimmte Verhaltensweisen im Alltag erst hervor?

Die Filme und Fotografien werden dabei als Techniken der Subjektivierung und des eigen-sinnigen Erfassens von Wirklichkeit untersucht. Entsprechend ist zu diskutieren, inwiefern Kameras konformes oder gerade non-konformes Verhalten legitimierten und stimulierten. Gab es Brechungen, Spiegelungen oder „Gegenbilder“ einer öffentlichen Bilderwelt (Werbung, Propaganda, oppositionelles Bildprogramm)? Welche Anlässe und Ereignisse forderten zum Ablichten und Aufbewahren der Bildzeugnisse auf? Welche öffentlichen und staatlichen Impulse und Vergemeinschaftungsangebote strahlten auf individuelle Filmer/innen und Fotograf/innen aus und wie eigneten sich die Akteur/innen Bildwissen für ihre Praxis an? Auch besondere Lebenswege, wie Migrations- und Fluchterfahrungen, finden Beachtung.
Neben den Bildern und Aufnahmen selbst soll der Umgang mit ihnen thematisiert werden. Was passierte mit den Bildern nach der Herstellung und wie wurden sie aufbewahrt und gezeigt? Damit rückt die Konstruktion von familiären Gedächtnissen in den Vordergrund, die entlang der überlieferten Zeugnisse Narrative ausbildeten. Einzubeziehen ist, wie sich diese Praktiken mit dem technischen Wandel veränderten, etwa der Einführung von Video, Sofortbildkameras und schließlich der Digitalisierung. Abschließend wird diskutiert, wie Historiker/innen und Archivar/innen mit diesen Zeugnissen künftig umgehen sollen: Die Überlieferung und auch rechtliche Fragen sind bisher ungeklärt. Hierfür möchten wir aktuelle Forschungsarbeiten ins Gespräch bringen.
Die Tagung findet in Verbindung mit dem Forschungsverbund "Das Mediale Erbe der DDR" statt (https://medienerbe-ddr.de/).
Eine Online-Teilnahme ist nach vorheriger Anmeldung möglich bei Judith Koettnitz <koettnitz@zzf-potsdam.de>.

Programm

Donnerstag, 10.12.2020
13.00 Einführung Frank Bösch/Sebastian Thalheim
13.15-14.45 Uhr Techniken der Subjektivierung in Demokratie und Diktatur
Michaela Scharf (Wien), „Filmen als Selbstbehauptung: Ellen Illichs Familienfilme (1936-1943)“
Sandra Ladwig (Wien), "Fakt, Fiktion, Imagination: Geschichte(n) der Freizeit in Amateurfilmpraktiken"
Moderation: Laurence McFalls (Montreal)

15.15-17.15 Uhr Private Fotos im Nationalsozialismus
Maiken Umbach (Nottingham), „Sprechende Fotos? Methodische Reflektionen aus dem interdisziplinaeren Forschungsprojekt 'Photography as Political Practice in National Socialism' "
Gisela Parak (Bremerhaven), „Methodische Überlegungen über den Zugriff auf fotografische Reisealben der KdF-Schiffsreisen“
Robert Müller-Stahl (ZZF Potsdam), „Reflexionen der Krise. Sport in der deutsch-jüdischen Privatfotografie zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus“
Moderation: Rolf Sachsse (Bonn)

17.45-19.15 Uhr Visuelle Kulturen in Ost(mittel)europa
Monica Rüthers (Hamburg), „Das Land ohne Lächeln. Einblicke in sowjetische Fotokulturen zwischen Familie und Kollektiv.“
Margarete Wach (Warschau), „Polnische Amateurfilme im Sozialismus“
Moderation: Eva Pluharova-Grigiene (Flensburg)

Freitag, 11.12.2020
9.00-11.00 Uhr Die DDR im Bild und Schmalfilm
Sebastian Thalheim (Berlin), „‘Verkehrte Welten.‘ Familienfilm in der DDR – Ein eigensinniges Vergnügen“
Sandra Starke (ZZF Potsdam), „Bild der Arbeit. Beruf, Betrieb und Gender in DDR-Fotoalben.“
Tietjen, Friedrich/ Schulz, Sophie (Berlin), „Biografie und Geschichte. Private Fotografie in Ostdeutschland 1980-2000.“
Moderation: Ralf Forster (Filmmuseum Potsdam)

11.15-12.45 Uhr Bilder von Minderheiten ‒ Blicke auf Minderheiten
Isabel Enzenbach (Quito), „Private Bilder und visuelle Erinnerungen mosambikanischer VertragsarbeiterInnen“
Renée Winter (Wien), „Ver-Sammeln. Ein Video-Gedächtnis aus der Nachfolgegeneration von Überlebenden des Porajmos“
Moderation: Jürgen Danyel (Potsdam)

13.45-15.30 Uhr Familienbilder im westlichen Nachkriegseuropa
Michael Geuenich (Köln), „Das Leben der Anderen. Reisefilme von BRD-SchmalfilmerInnen zwischen Romantik und Wohlstandsvergleich“
Tim van der Heijden (Luxemburg), “Understanding through Experimentation: An Experimental Media Archaeological Approach to Early Twentieth- Century Home Movie Making”
Moderation: Annette Vowinckel (ZZF Potsdam)

15.45-17.00 Uhr Abschlussdiskussion mit Kurzimpulsen
Susan Aasman (University of Groningen)
Ralf Springer (LWL Bild-, Film-, Tonarchiv, Münster)
Elmar Mauch (Institut für künstlerische Bildforschung, Dortmund)

Kontakt

Judith Koettnitz <koettnitz@zzf-potsdam.de>

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