Totes Kapital

Veranstalter
Matthias Bähr (Dresden), Sarah-Maria Schober (Zürich)
PLZ
01099
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.11.2020 - 15.12.2020
Deadline
15.12.2020
Von
Matthias Bähr, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Geplantes Themenheft der Zeitschrift Historische Anthropologie

Totes Kapital

Von den Reliquien des Mittelalters über Mumien und Schädel bis hin zum Handel mit medizinischen Präparaten und Organen: Leichen und Leichenteile wurden im Lauf der Geschichte in den unterschiedlichsten Szenarien gesammelt, verkauft, ausgestellt und als begehrte Spekulationsobjekte fieberhaft gejagt. Zugleich war der Umgang mit ihnen jedoch meist ethisch hochsensibel und mit Ängsten, Tabus und Gefühlen wie Abscheu oder Ekel behaftet. Wer, so ließe sich daher fragen, profitierte unter welchen Umständen vom Geschäft mit den Toten – und wer leistete Widerstand? Inwiefern unterschieden sich historische Gesellschaften in der wirtschaftlichen Indienststellung, Verwertung und Vermarktung ihrer Toten?

Historische Gesellschaften, so die These des geplanten Themenheftes in der Historischen Anthropologie, brachten unterschiedliche ‚Nekroökonomien‘ hervor. In Anlehnung an den Kulturhistoriker Thomas Laqueur und sein Konzept der ‚necro-geographies‘ verstehen wir darunter historisch veränderliche Praktiken der kommerziellen Verwertung von Leichen, alte und neue Institutionen des Leichenhandels sowie die Ausbildung gesellschaftlicher Diskurskonstellationen im Spannungsfeld von Wirtschaft, Moral, Religion und Wissenschaft.

Der griffige Titel des Themenheftes „Totes Kapital“ nutzt den semantisch außerordentlich weiten Kapitalbegriff für die Konzeptionalisierung einer – zunächst unerwarteten und wenig erforschten – Form der Wertschöpfung auf der moralisch brisanten Basis menschlicher Überreste. Wir schließen mit dieser unorthodoxen Begriffsbildung an die allgemeine Ausweitung des „Ökonomien“-begriffs in der Geschichtswissenschaft der letzten Jahre etwa auf Wissensökonomien und Sammlungsökonomien an.

Dabei argumentieren wir gegen eine Verengung des Kapitalbegriffs auf offensichtliche monetäre und maschinelle Ressourcen sowie auf Arbeit. Denn eine Erweiterung der Perspektive betrachten wir auch als eine bisher weitgehend verpasste Chance in den aktuellen Kapitalismusdebatten –rund um die Frage nach der historischen Tiefendimension von materiellen Inwertsetzungen einerseits und um die nach den Verbindungen zwischen Kapitalismus und Ungleichheit andererseits. Damit möchten wir auch die Frage aufwerfen, wie sich im Kontext des „toten Kapitals“ ökonomische, soziale und mimetische Kapitalformen zueinander verhielten.

Wir freuen uns insbesondere über Beiträge zur Geschichte des 20./21. Jahrhunderts sowie aus der Kulturanthropologie, Archäologie und der Medizingeschichte bzw. Medizinethik.

Vorschläge für Beiträge (max. 500 Wörter), vorzugsweise in deutscher Sprache, schicken Sie bitte bis zum 15.12.2020 an Matthias Bähr (matthias.baehr@tu-dresden.de) und Sarah-Maria Schober (sarah.schober@uzh.ch).

Die Deadline für akzeptierte Beiträge ist der 15. August 2021.