Navigation. Praktiken – Medien – Theorien – Epistemologien (Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturiwssenschaften Ausgabe 1/2022)

Navigation. Praktiken – Medien – Theorien – Epistemologien (Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften Ausgabe 1/2022)

Veranstalter
Max Kanderske und Christoph Borbach sowie Universität Siegen, SFB „Medien der Kooperation“
Gefördert durch
Sonderforschungsbereich 1187 „Medien der Kooperation“, Universität Siegen
PLZ
57072
Ort
Siegen
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.02.2021 -
Von
Christoph Borbach, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg & Universität Wien

Ausgabe 1/22 der „Navigationen“ nimmt den Titel der Zeitschrift beim Wort und adressiert die aktuelle Forschung zum Themenfeld der Navigation aus historischer und medienkulturwissenschaftlicher Perspektive. Dabei soll ein Überblick über das Feld, seine Forscher/Innen und deren Ansätze, Methoden und Theorien gegeben werden.

Navigation. Praktiken – Medien – Theorien – Epistemologien (Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften Ausgabe 1/2022)

Nach der ‚Entdeckung‘ des Raums in der Geschichtswissenschaft allgemein (programmatisch Schlögl 2003), eroberte diese ebenfalls die deutschsprachige Medien- und Kulturwissenschaft (u.a. Günzel 2007, Döring/Thielmann 2008, Günzel 2009). Nach dieser Reaktion auf die (vermeintliche) Raumvergessenheit der klassischen Medientheorie – wie prominent durch Marshall McLuhan („global village“) oder Paul Virilio („Überwindung des geophysikalischen Raums“) vertreten – und der darauf folgenden Hinwendung zu s.g. Geomedien (Lapenta 2011, McQuire 2016, Abend 2017, Fast et al. 2019), scheint in einem dritten Schritt die Fokussierung der Navigation konsequent und folgerichtig. Denn Navigation als Praxis, Kultur- und Medientechnik sowie Metapher im Digitalen eint beides: 1.) Ein dezidierter Raumbezug, eine Orientierung und Zielfindung im geographischen wie virtuellen Raum qua Routen, Infrastrukturen, (Hyper-)Links o.Ä., 2.) als auch eine Realisierung mit und durch Geomedien.

Navigation als Medienpraktik blieb bis in das 20. Jahrhundert hinein auf einen engen Nutzungskontext beschränkt, namentlich auf die professionalisierte Seefahrt (navigare als das Führen eines Schiffes) und entfaltete erst im 20. Jahrhundert Alltagsrelevanz für zivile Akteure zur freizeitlichen und beruflichen Ziel- und Wegfindung. Historisch war die zeitgeographische Erweiterung individueller „day“ oder „week paths“ (Hägerstrand 1970 & 1975) je ein Effekt differenter (Transport-)Technikentwicklung, die Personen, Artefakte und Zeichen beschleunigter zu übertragen erlaubten und damit Fragen der individuellen Navigation über Mediengrenzen hinweg dringlich werden ließen – sei es beim Fahrrad als „Medium der Landerschließung“ in den USA zum Ende des 19. Jahrhunderts (Lommel/Thielmann/Schulz 2018) oder dem Automobil (Thielmann 2008).

Aber Technikentwicklung ist nicht nur die Bedingung für größere Mobilität, sondern umgekehrt ist es neben der ‚Entdeckung der Freizeit‘ in der Moderne eben jene gesteigerte und beschleunigte Mobilität, die für zielsichere Wegfindung und Selbstverortung kultur- und medientechnische Fragen und Antworten virulent werden ließ: Von der kulturtechnischen Praktik des kooperativen Produzierens und individuellen Lesens analoger Karten als „Raummedien“ (Dünne 2008) bis zur medientechnischen Selbstverortung des Subjekts durch seine digitalen „Nahkörpertechnologien“ (Kaerlein 2018), sei es durch miniaturisierte, in Smartphones integrierte Module für globale Navigationssatellitensysteme (Borbach 2019) in Verbundschaltung mit algorithmisierter Wegfindung im „Geobrowsing“ (Abend 2013), oder durch automatisiert Ablaufende Prozesse der simultanen Lokalisierung und Kartierung (Kanderske/Thielmann 2019).

Der Call nimmt den Titel der Zeitschrift beim Wort und adressiert die aktuelle Forschung zum Themenfeld der Navigation aus medienkulturwissenschaftlicher Perspektive. Dabei soll ein Überblick über das Feld, seine Forscher/innen und deren Ansätze, Methoden und Theorien gegeben werden. Die Ubiquität so genannter smart devices im Postdigitalen zum Ausgangspunkt nehmend, will die Ausgabe der Navigationen nach aktuellen Medienpraktiken und -techniken ziviler und militärischer Navigation sowie ihrer methodischen Untersuchung und (Re-)Modellierung fragen. Dabei dürfen epistemologische Perspektiven nicht fehlen, die aktuelle navigatorische Praktiken und Techniken in ihrem historischen Wandel untersuchen und damit die variablen, mitunter divergenten Bedingungen und historisch-randständigen Ausgestaltungen des Navigationellen – also erfolgreiche wie gescheiterte Medien, Infrastrukturen, Praktiken und Standards – mitberücksichtigen.

Daher hat sich eine Geschichte der Navigation ebenso auf die „Spuren des Wals“ im 19. Jahrhundert zu begeben (Lüttge 2020) wie auf die der konkurrierenden bürokratisch-formalen Kultur- und meist im Zeitkritischen (bspw. Ernst 2013) operierenden Medientechniken des Standardisierens von Raum und Zeit (Siegert 2012 & 2014). Denn – so eine erste Grundannahme des Bandes – Diskurs und Praxis der Navigation evozierten eine Verzeitlichung des Raums bei gleichzeitiger Verräumlichung der Zeit, wobei beide Kategorien nicht Metapher oder gar Apriori sind, sondern spatial und temporal qua Medien adressiert, anschließend formatiert und schließlich standardisiert wurden (Otto 2013). Die Fokussierung auf Navigation macht offensichtlich, dass Fragen des Raums immer untrennbar mit Fragen nach der Zeit – und umgekehrt – verwoben sind. Dies gilt für klassisch-analoge Positionsbestimmungen auf den Weltmeeren mit Sextanten, Oktanten und Chronographen ebenso wie für die technologisch-digitale Selbstverortung qua NAVSTAR GPS, wo räumliche Differenzen das Ergebnis von Zeitunterschieden gemäß GPS-Zeit sind (die Laufzeit von Signalen von Satelliten).

Das mögliche Themenspektrum für Autor/innen inkludiert (ist aber nicht beschränkt auf):

- Medien- & Datenpraktiken der Navigation in ihrer Aktualität und Historizität
- Geschichte(n) und Epistemologie(n) der Navigation
- Navigatorische Metaphoriken im digitalen Raum (einloggen, navigieren, social navigation ...)
- Skalierungen der Navigation: Navigation im akustischen Raum („acoustic games“) / Mikronavigation in Gebäuden (Raumpläne) / ...
- Gescheiterte bzw. genuin historische Navigationssysteme und -infrastrukturen
- Navigation und Adressierung: Welchen Status hat die „Adresse“?
- Standardisierungen als Grundlage navigatorischer Praktiken: # Kartendatum, exakte Zeitmessung, Längen- & Breitengrade, ...
- Navigation und Logistik
- Navigation und Meteorologie
- Remedialitäten: Navigation und Karten in Digital Games
- Routenwissen und seine Inskriptionen: Von Distanzinformationen auf Steinen (Antike) hin zu Netzfahrplänen im ÖPNV und Wegführung im Digitalen Spiel
- Tourismusexpansion und Navigation (Autokarten/Fahrradkarten/…)
- how to: Divergente Methoden der Untersuchung des Navigationellen

Um Einreichung aussagekräftiger Abstracts (max. 7.000 Zeichen) inkl. einer kurzen biographischen Info wird bis zum 28.02.21 an max.kanderske@uni-siegen.de sowie christoph.borbach@medienkomm.uni-halle.de gebeten. Vorbehaltlich der Finanzierung werden im Juli 2021 die beteiligten Autor/innen ihre Texte in einem vom SFB 1187 „Medien der Kooperation“ veranstalteten Autor/innen-Workshop an der Universität Siegen zur Diskussion stellen. Link zum Pdf des Calls unter https://www.mediacoop.uni-siegen.de/wp-content/uploads/CfP-Navigationen.pdf Weitere Informationen zur Zeitschrift Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften unter https://www.universi.uni-siegen.de/katalog/zeitschriften/navigationen/

Bibliographie

Abend, Pablo (2017): „From map reading to geobrowsing: Methodological reconsiderations for geomedia“. In Tilo Felgenhauer & Karsten Gäbler (Hg.): Geographies of Digital Culture. Abingdon: Routledge, S. 97–111.
Abend, Pablo (2013): Geobrowsing. Google Earth und Co. – Nutzungspraktiken einer digitalen Erde. Bielefeld: Transcript.
Borbach, Christoph (2019): „Reduced to the Max. Medienminiaturisierung als Erfolgsgeschichte am Beispiel der GPS-Empfänger“. In Oliver Ruf / Uta Schaffers (Hg.): Kleine Medien. Kulturtheoretische Lektüren. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 35–57.
Döring, Jörg / Tristan Thielmann (Hg.) (2008): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld: Transcript.
Dünne, Jörg (2008): „Die Karte als Operations- und Imaginationsmatrix. Zur Geschichte eines Raummediums“. In Tristan Thielmann / Jörg Döring (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld: Transcript, S. 49–70.
Ernst, Wolfgang (2013): Chronopoetik. Zeitweisen und Zeitgaben technischer Medien. Berlin: Kadmos.
Fast, Karin / Emilia Ljungberg / Lotta Braunerhielm (2019): „On the social construction of geomedia technologies“. Communication and the Public 4 (2), S. 89–99.
Günzel, Stephan (Hg.) (2009): Raumwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Günzel, Stephan (Hg.) (2007): Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaften, Bielefeld: Transcript.
Hägerstrand, Torsten (1975): „Survival and Arena. On the lifehistory of individuals in relation to their geographical environment“. The Monadnock (49), S. 9–29.
Hägerstrand, Torsten (1970): „What about people in regional science?“ Papers of the Regional Science Association (24), S. 7–21.
Kanderske, Max / Tristan Thielmann (2019): „Simultaneous localization and mapping and the situativeness of a new generation of geomedia technologies“. Communication and the Public, 4(2), 118–132.
Lapenta, Francesco (2011): „Geomedia. On location-based media, the changing status of collective image production and the emergence of social navigation systems“. Visual Studies 26 (1), S. 14–24.
Lommel, Michael / Tristan Thielmann / Carmen Schulz (2018): „Das Fahrrad: Ein Medium der Landerschließung“. In Gunter Mahlerwein / Aline Maldener / Clemens Zimmermann (Hg.): Landmedien. Kulturhistorische Perspektiven auf das Verhältnis von Medialität und Ruralität im 20. Jahrhundert. Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, S. 205–230.
Lüttge, Felix (2020): Auf den Spuren des Wals. Geographien des Lebens im 19. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein.
McQuire, Scott (2016): Geomedia. Networked Cities and the Future of Public Space. Cambridge: Polity.
Otto, Isabelle (2013): „Die Zeitmaschine – Vehikel in einer Mediengeschichte des Verkehrs“. In Christoph Neubert / Gabriele Schabacher (Hg.): Verkehrsgeschichte und Kulturwissenschaft. Analysen an der Schnittstelle von Technik, Kultur und Medien. Bielefeld: Transcript, S. 271–292.
Schlögel, Karl (2003): Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München: Carl Hanser.
Siegert, Bernhard (2014): „Längengradbestimmung und Simultanität in Philosophie, Physik und Imperien“. Zeitschrift für Medien und Kulturforschung 5 (2), S. 281–297.
Siegert, Bernhard (2012): „Schiffe versenken“. In Peter Berz et al. (Hg.): Spielregeln. 25 Aufstellungen. Eine Festschrift für Wolfgang Pircher. Zürich/Berlin: Diaphanes, S. 259–269.
Thielmann, Tristan (2008): „Der ETAK Navigator: Tour de Latour durch die Mediengeschichte der Autonavigationssysteme“. In Georg Kneer / Markus Schroer / Erhard Schüttpelz (Hg.): Bruno Latours Kollektive. Kontroversen zur Entgrenzung des Sozialen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 180–218.

Kontakt

christoph.borbach@medienkomm.uni-halle.de und max.kanderske@uni-siegen.de