Religion spielt in den immer individualisierteren modernen und oft allzu pauschal als säkularisierten Gesellschaften nach wie vor eine große Rolle. Auch wenn die Bedeutung der großen christlichen Kirchen in Europa seit dem 18. Jahrhundert abnahm und die Kirchen sich heute einem Mitgliederschwund auf Rekordniveau gegenübersehen, sind viele Menschen religiös geblieben und haben lediglich der Institution Kirche zunehmend ihr Vertrauen entzogen. Dies gilt auch und gerade für Italien als ursprünglicher Raum der katholischen Weltkirche mit Rom als Hauptstadt und dem Papst als Oberhaupt. Trotz der Tatsache, dass heute noch rund 80% der italienischen Bevölkerung der römisch-katholischen Kirche angehören, ist Italien natürlich nie ein rein katholisches Land gewesen. Neben protestantischen und jüdischen Minderheiten prägten und prägen stets auch andere Glaubensgemeinschaften wie Muslime, Buddhisten, Hinduisten, Freikirchen und viele weitere mehr Geschichte und Gesellschaft der Apenninen-Halbinsel. Wegen seiner geographischen Lage und Geschichte trafen in Italien protestantisch-reformierte Einflüsse aus Mittel- und Nordeuropa und solche aus dem muslimischen Mittelmeerraum kontinuierlich auf die römisch-katholische Mehrheit. Wer selbst Gottesdienste und religiöse Veranstaltungen in Rom miterlebt hat, weiß, wieviel interreligiöser Dialog dort möglich ist – wohingegen die römisch-katholische Weltkirche in der Vergangenheit bestrebt war, sich möglichst von anderen Konfessionen abzugrenzen.
Diese Überlegungen will die geplante Tagung aufgreifen und dabei folgende Fragen für den Zeitraum vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein in den Mittelpunkt stellen: Wie ging die italienische Gesellschaft mit Religion um? Welche Rolle spielten Religion und Religiosität in Politik und Kommunikation? Welche Verflechtungen und Beziehungen der Apenninenhalbinsel mit dem deutschsprachigen Raum lassen sich aufzeigen? Welche Veränderungen und Kontinuitäten lassen sich im Aufeinandertreffen unterschiedlicher Konfessionen und Glaubensgemeinschaften beobachten? Welche Rückwirkungen hatten sie auf das eigene religiöse Selbstverständnis? Wie wurde religiöse Diversität wahrgenommen? Wie ging die italienische Gesellschaft mit antireligiösen Stereotypen und ihrer politischen, sozialen sowie kulturellen Dimension um? Welche Akteure waren an solchen Aushandlungsprozessen beteiligt und wer setzte dabei Impulse? Welche Phasen und Umgangsweisen mit Religion lassen sich in der italienischen Geschichte der neueren und neuesten Zeit unterscheiden? Welche Mechanismen fanden die beteiligten Personen, um Bilder und Mythen in Glaubensfragen zu überwinden?
Beiträge für die Tagung zum deutsch- und italienischsprachigen Raum von der Aufklärung bis in die Gegenwart – gerne auch mit transnationaler und komparativer Erweiterung auf andere geographische Gebiete – können sich an die skizzierten Fragen und Überlegungen anlehnen. Folgende Themenfelder bieten sich dazu an:
- Religion und Aufklärung
- Religion und Politik, insbesondere Religion und Nation
- Religionen und ihre Akteure: Zusammenschlüsse (Orden und Kongregationen) und Netzwerke
- Religion in Helden- und Opferdiskursen
- Religion und Soziales
- Religion und Kunst
- Religion und Wertewandel
- Religion und Geschlecht
- Religion und Gewalt, Glaubens- und Kulturkämpfe, religiöse Konflikte
- Religion und Wissenschaft
- Religion und Globalisierung
- Interreligiöser Dialog
- Volksfrömmigkeit
Tagungssprachen sind Deutsch und Italienisch. Vortragsvorschläge mit einem Abstract (max. eine Seite) und knappen bio-bibliographischen Angaben (max. zehn Zeilen) schicken Sie bitte bis 15.03.2021 an jens.spaeth@uni-saarland.de. Die ausgewählten Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden bis 31.03.2021 benachrichtigt. Reise- und Übernachtungskosten werden übernommen (Reisekosten max. 150€ Inland, max. 250€ Europa). Es wird angestrebt, die Tagung unter Einhaltung der Corona-Regeln in Präsenz durchzuführen.