Einsperren, beschränken, ausweisen. Der Raum als Mittel der Separierung und sozialen Kontrolle vom späten 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert

Einsperren, beschränken, ausweisen. Der Raum als Mittel der Separierung und sozialen Kontrolle vom späten 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert

Veranstalter
Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte, Freie Universität Bozen; Institut für Juristische Grundlagen – lucernaiuris, Universität Luzern, Archivio del Moderno, Università della Svizzera Italiana
Veranstaltungsort
Bildungswissenschaftliche Fakultät der Freien Universität Bozen
PLZ
39042
Ort
Brixen/Bressanone
Land
Italy
Vom - Bis
15.10.2021 -
Deadline
30.04.2021
Von
Francesca Brunet, Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte, Freie Universität Bozen

Einsperren, beschränken, ausweisen. Der Raum als Mittel der Separierung und sozialen Kontrolle vom späten 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert

Der internationale Workshop möchte eine Plattform bieten, um neue und laufende Forschungen zu einzelnen Fällen, die die verschiedenen Bedeutungsebenen und Nutzungen des Raumes als Mittel zur Bestrafung, Kontrolle, Disziplinierung zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges thematisieren, zu vernetzen und vergleichend zu diskutieren.

Locking up, forcing, removing. Space as an instrument of separation and social control between the second half of the 19th century and the early 20th century

The international workshop will act as a platform for connecting and comparing new research or research in progress on case studies that question various dimensions and uses of space as a means of punishment, control, and discipline from the second half of the 19th century to the outbreak of the First World War.

Einsperren, beschränken, ausweisen. Der Raum als Mittel der Separierung und sozialen Kontrolle vom späten 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert

Die Geschichte der Gefängnisse, und allgemein der Häuser, die den Zweck hatten, bestimmte Menschen sozial abzugrenzen, hat in den letzten Jahren Hochkonjunktur, wobei neue Paradigmen und Deutungsmuster diskutiert werden. Forschungen zu den organisatorischen, institutionellen und ökonomischen Aspekten von Gefängnissen und ähnlichen Strukturen, zum Alltagsleben und den herrschenden Machtverhältnissen sowie zu den Kontakten mit der Außenwelt, unterstreichen die Rolle des Raumes, des physischen, sozialen, imaginierten, auferlegten, geschaffenen Raumes als grundlegende Analysekategorie.

Der geplante, internationale Workshop möchte ausgehend von diesen Überlegungen eine Plattform bieten, um neue und laufende Forschungen zu einzelnen Fällen, die die verschiedenen Bedeutungsebenen und Nutzungen des Raumes als Mittel zur Bestrafung, Kontrolle, Disziplinierung thematisieren, zu vernetzen und vergleichend zu diskutieren.

Der Workshop möchte sich nicht nur auf materielle Räume der Separierung konzentrieren – Gefängnisse, Arbeitshäuser, Jugendstrafanstalten… – sondern auch auf andere gerichtliche Institutionen, polizeiliche Praktiken und administrative Maßnahmen, die Begrenzung/Beschränkung/Negierung von Raum zum Ziel und zur Folge haben. In diese Kategorie fallen z.B. Ausweisung, Zwangsdomizilierung, Abschiebung und generell alle Maßnahmen, die die Bewegungsfreiheit und den Handlungsspielraum der Betroffenen im räumlichen, sozialen und relationalen Sinn einschränken.

Zeitlich nimmt der Workshop die Jahrzehnte zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in den Blick: In dieser Zeit wurden in vielen Regionen Europas neue Gefängnisstrukturen und Arbeitshäuser eingerichtet, die in der Theorie als moderner und funktionaler galten, auch in Hinblick auf die Raumorganisation; andererseits kam es in dieser Zeit zu einer zunehmend systematischen Umsetzung jener administrativen und polizeilichen Maßnahmen, die darauf abzielten, die öffentliche Sicherheit durch die Einschließung oder die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Menschen aufrechtzuerhalten, die als sozial gefährlich und „deviant“ galten.

In geografischer Hinsicht ist der Workshop für jeden Vorschlag offen. Um einen fruchtbaren Austausch zu gewährleisten, regen wir an, die Beziehung zwischen den Räumen der Bestrafung / der Kontrolle, die Gegenstand der Analyse sind – Gebäude oder andere Formen von „auferlegten“ oder „verweigerten“ Räumen – und dem städtischen/regionalen/überregionalen Umfeld bewusst zu thematisieren.

Der Workshop wird sich in zwei Panels strukturieren:

1. Einsperren

Im ersten Panel werden Beiträge diskutieren, die sich mit Häusern der Segregation unter folgenden Aspekten befassen:
- Architektonische und organisatorische Aspekte: Wie waren Räume und Zeiten innerhalb solcher Gebäude organisiert? Wie sah das Verhältnis zwischen diesen beiden Dimensionen des Alltagslebens aus? Wie war die Beziehung zwischen diesen Orten mit der Umgebung? Welche architektonischen Modelle wurden umgesetzt? Gab es lokale/regionale Besonderheiten?
- Städtebauliche und geografische Aspekte: Wo war der Standort dieser Gebäude in einer Stadt oder einer Region, wie hat er sich im Laufe der Zeit verändert und welchen Zwecken diente er (z. B. Rationalisierung und Modernisierung städtischer Räume, Verlagerung von Gefängnisgebäuden weg von dichter besiedelten Gebieten, Bedarf an landwirtschaftlichen Flächen, Nähe zu Bergbauaktivitäten usw.)?
- Wirtschaftliche und materielle Aspekte: Wie fügten sich diese Strukturen in das regionale/staatliche Wirtschafts- und Produktionssystem ein? Wie haben sie sich finanziert, wie sehr haben sie die Staats- oder regionalen Finanzen belastet?

2. Beschränken, ausweisen

Im zweiten Panel sollen einige Fallstudien zu anderen räumlichen Formen von Bestrafung und sozialer Kontrolle diskutieren und verglichen werden. Folgende Aspekte sollen dabei berücksichtigt werden:
- Rechtliche und normative Aspekte: Wie verändern und verfeinern sich – insbesondere ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – bestimmte Formen der sozialen Kontrolle, die mit der Ausweisung von Menschen oder der Auflage, sich nicht von einem bestimmten Ort zu entfernen, verbunden sind, und eng mit den komplexen Konzepten „Staatsbürgerschaft“, „Heimatrecht“ und „Wohnsitz“ zusammenhängen? Wie werden diese Maßnahmen aus rechtlicher Sicht diskutiert und wie werden sie in der Praxis umgesetzt? Gibt es Gegensätzlichkeiten zwischen Norm und Praxis, zwischen Gesetz und Umsetzung in Bezug auf diese Maßnahmen? Bestanden Besonderheiten, spezifische regionale Ausprägungen oder autonome Regelungen (z.B. in Grenzregionen) bei der Entwicklung oder Umsetzung solcher Maßnahmen?
- Institutionelle und diplomatische Aspekte: Gab es bei der Umsetzung dieser Maßnahmen Konflikte zwischen den (lokalen, regionalen, staatlichen) Regierungs- und Verwaltungsbehörden? Wie wurden Maßnahmen wie Verbannung und Ausweisung diplomatisch gehandhabt? Welche Rolle spielten in diesem Zusammenhang die Verwaltungen der Grenzregionen?
- Sozial- und mikrohistorische Aspekte: Was bedeuteten die Maßnahmen der Ausweisung bzw. der räumlichen Beschränkung in der Praxis für die davon besonders betroffenen Menschen – Landstreicher, Bettler, Obdachlose… –, die gerade aufgrund ihrer „undisziplinierten“ Mobilität als gefährlich galten? Welche Strategien verfolgten sie und welche Möglichkeiten der Umgehung solcher Maßnahmen hatten sie?

Der Workshop findet am 15. Oktober 2021 an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Bozen in Brixen statt und wird vom Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte der Freien Universität Bozen in Kooperation mit der Universität Luzern, Institut für Juristische Grundlagen – lucernaiuris, und der Università della Svizzera Italiana, Archivio del Moderno organisiert.

Die Organisatoren kommen für Hotelkosten (2 Übernachtungen) und die Reisespesen (im Ausmaß eines Maximalbetrags von 250 € pro Referenten) auf. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.

Themenvorschläge (von ca. 500 Wörtern mit Angabe der verwendeten Quellen sowie, in derselben Datei, eine kurze bio-bibliographische Skizze) werden bis zum 30. April 2021 an folgende E-Mail-Adresse erbeten: francesca.brunet@unibz.it. Die Abstracts können in italienischer, deutscher oder englischer Sprache verfasst sein. Tagungssprachen sind Italienisch, Deutsch und Englisch, mit Simultanübersetzung ins Englische.

Die Ergebnisse des Auswahlverfahrens und das endgültige Programm des Workshops werden bis Ende Mai 2021 bekannt gegeben.

Locking up, forcing, removing. Space as an instrument of separation and social control between the second half of the 19th century and the early 20th century

The history of prisons, and in general of buildings that had the purpose of separating certain people from the rest of society, has met with renewed historiographic interest in recent years, which has proposed new paradigms and new keys to interpretation. Investigations into the organizational, institutional, and economic aspects of prisons and similar structures, into daily life and the relations of powers within them, as well as into contacts with the outside world, have highlighted the role of space (physical, social, imagined, imposed, created) as an interpretative category to approach the subject.

Starting from these suggestions, the international workshop will act as a platform for connecting and comparing new research or research in progress on case studies that question various dimensions and uses of space as a means of punishment, control, and discipline.
We want to consider not only material spaces of separation – prisons, jails, forced labor houses, reformatories... – but also, other legal institutions, police practices, administrative sanctions and measures based on the limitation/imposition/denial of space. This category includes, for example, extradition, forced domicile, forced transport, and in general all those measures that limited the movement and the range of action (spatial but also social and relational) of those affected.

The chronological frame of the workshop ranges from the second half of the 19th century to the outbreak of the First World War. This was a period in which – at least in many parts of Europe – on the one hand, new prison structures and workhouses were conceived, at least in theory, as more modern and rational structures, also considering the organization of space. On the other hand, there was an increasingly systematic use of administrative and police instruments aimed at maintaining public order by removing people considered socially dangerous and ‘deviant’ or, on the contrary, by inhibiting their movement.

From a geographical point of view, the workshop is open to all proposals. However, to allow for a fruitful exchange among participants, proposals are particularly welcome that consider the relationship and mutual connections between punishment/control spaces– be they buildings or other forms of ‘imposed spaces’ or ‘denied spaces’ – and the urban/regional/sub-regional context in which these spaces are located.

The workshop will be divided into two panels:

I. Locking up

The first panel will deal with prison buildings, of which the following aspects can be highlighted:
- Architectural and organizational aspects: how were space and time organized – and what was the relationship between these two dimensions of daily life? What was the relationship between inside and outside space? What were the prevailing architectural models and what were the local/regional peculiarities?
- Urban and geographical aspects: where were these buildings located in the urban or regional context, how did they change over time and what were their aims (e.g. rationalization and modernization of urban spaces, moving prison buildings away from more densely populated areas, the need for agricultural space, the proximity to mining facilities, etc.)?
- Economic and material aspects: how did these structures fit into the regional/state economy and production system? How did they sustain themselves; how much did they burden the finances of the state/region?

II. Forcing, removing

The second panel will discuss and compare case studies on other spatial forms of punishment and social control, with particular regard to the following aspects:
- Legal and regulatory aspects: how do certain forms of social control related to the removal of people or the imposition of not leaving a certain place – which are in turn closely related to the complex concepts of “citizenship”, “residence” and “domicile” – change and refine, since the second half of the 19th century? How are these measures discussed from a legal point of view, how are they applied in practice? Are there discrepancies between norm and practice, between law and application? Are there particularities, specific regional needs or areas of autonomy (e.g. with regard to border regions) in the application or development of such measures?
- Institutional and diplomatic aspects: are there any conflicts between the various levels of government and administration (local, regional, state) in the application of these measures? How are measures such as exile and extradition handled diplomatically? What role do the administrations of the border areas play in this context?
- Social and micro-historical aspects: What did the removal or spatial constraint measures mean for those particularly affected – vagrants, beggars, homeless people –whose perceived danger stemmed from their “undisciplined” mobility? What were their strategies and margins of evasion of such measures?

The workshop will be held on 15 October 2021 at the Faculty of Education of the Free University of Bozen/Bolzano, Brixen/Bressanone campus, and will be organized by the Competence Centre for Regional History of the Free University of Bozen/Bolzano with the cooperation of the University of Lucerne, Institut für Juristische Grundlagen - lucernaiuris, and the Università della Svizzera Italiana, Archivio del Moderno.

The organizers will cover the costs of accommodation (2 nights) as well as travel expenses (up to a maximum of €250). Publication of the workshop contributions is planned.

Please send your proposals (an abstract of about 500 words, indicating the sources used, as well as, in the same file, a short bio-bibliographical note) by 30 April 2021 to Francesca Brunet: francesca.brunet@unibz.it. Requests for clarification or questions of an organizational nature can be addressed to the same address. Abstracts may be written in Italian, German or English. The conference languages will be Italian, German, and English, with simultaneous translation into English.

The results of the selection process and the final workshop program will be announced by the end of May 2021.

Kontakt

Francesca Brunet
Freie Universität Bozen
Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte
Dantestraße 4
39042 Brixen/Bressanone (Bz)
francesca.brunet@unibz.it

https://www.unibz.it/de/events/137278-call-for-papers-rinchiudere-costringere-allontanare