DDR Postkolonial

DDR Postkolonial

Veranstalter
PERIPHERIE-Redaktion
PLZ
48155
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.04.2021 - 29.04.2021
Deadline
29.04.2021
Von
Michael Korbmacher, Zeitschrift Peripherie

30 Jahre nach dem Mauerfall scheinen die Unterschiede zwischen Ost und Westdeutschland immer noch eklatant. Probleme der sozio-ökonomischen Marginalisierung ebenso wie Rassismus, Migrationsfeindlichkeit und rechtsextreme Gewalt sind in Ostdeutschland weiterhin verstärkt anzutreffen. Rassistische Praktiken verweisen auf die Persistenz und Reaktualisierung kolonialer Machtverhältnisse.

DDR Postkolonial

Auch wenn sich die Lebensverhältnisse langsam angleichen, so sind Probleme der sozio-ökonomischen Marginalisierung in Ostdeutschland weiterhin verstärkt anzutreffen. Ebenso in Fragen von Rassismus, Migrationsfeindlichkeit und rechtsextremer Gewalt scheinen die post-realsozialistischen Bundesländer der BRD ein massives Problem zu haben. Tatsächlich sind rechtsextreme und rassistische Gewalttaten, aber auch die Unterstützung völkisch-autoritärer Gruppen und Parteien in Ostdeutschland virulenter. Unvergessen, wenn auch immer noch nicht hinreichend aufgearbeitet, sind die Pogrome an Orten wie Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda oder Cottbus Anfang der 1990er Jahre (ebenso wie in den westdeutschen Städten Mannheim, Mölln und Solingen). Und nicht zuletzt die Aufdeckung des NSU-Netzwerkes hat für eine Debatte über das Aufwachsen und den Umgang mit Rassismus in der DDR sowie in der Wendezeit gesorgt.

Wie post und dekoloniale Arbeiten zeigen, verweisen rassistische Praktiken auf die Persistenz und Reaktualisierung kolonialer Machtverhältnisse. Solche Studien illustrieren, dass sich kolonialrassistische Bilder und Ideen nicht nur in westliche, sondern auch in (real )sozialistische Ordnungen eingeschrieben haben. Die Kolonialität dieser Ordnungen hat für die Herausbildung verschiedener Prozesse der Klassifizierung (wie race oder Geschlecht) gesorgt, die Menschen in soziale Gruppen einteilen, sie hierarchisch in Beziehung zueinander setzen, mit ungleichen Rechten ausstatten und den Zugang zu materiellen Ressourcen regeln. Sie haben verschiedene Prozesse des Fremdmachens in Gang gebracht, die jeweils unterschiedliche Positionalitäten und Konstellationen hervorbrachten und die Verhältnisse der postkolonialen, postfaschistischen und postsozialistischen Gesellschaft nachhaltig beeinflussen.

Zwar einte die beiden Länder des geteilten Deutschlands, dass sie postkoloniale und postfaschistische Gesellschaften waren und dementsprechend - wenn auch auf unterschiedliche Weise - in ein System der Kolonialität/Modernität verstrickt waren. Gleichzeitig haben sie sich entlang einer sozialistischen bzw. kapitalistischen Logik sehr unterschiedlich zu ihrer kolonialen und faschistischen Vergangenheit positioniert. Auch wenn Rassismus in der DDR offiziell nicht existierte, so prägten koloniale und rassistische Denkmuster und Bilder die Politiken des Antiimperialismus und Antifaschismus. Die DDR imaginierte sich als homogene und weiße Nation. Sie sah sich im Vergleich zu den sozialistischen Staaten des Globalen Südens als entwickelter an. Sie profitierte von Arbeitsmigrationsabkommen (mit postkolonialen Staaten wie Vietnam, Mosambik oder Angola) und die Doktrin der Völkerfreundschaft ging von einer Idee der zivilisatorischen Überlegenheit der DDR aus. Diese Grundhaltung bezog sich auch auf die Politik gegenüber den Befreiungsbewegungen.

Jedoch boten sozialistische Ideen auch transformatorisches Potenzial für die Überwindung kolonialrassistischer und ausbeuterischer Ordnungen. So unterschieden sich sowohl die Aufarbeitung, als auch die Kontinuität und das Nachwirken kolonialer Strukturen in der DDR in erheblicher Weise von der BRD. Beispielsweise sind in Ostdeutschland weniger Straßennamen zu finden, die nach kolonialen Protagonisten benannt wurden. DDR-Historiker:innen leisteten buchstäblich Pionierarbeit in der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika, wobei sie insbesondere die Bedeutung antikolonialer Kämpfe beleuchteten. Die DDR-Regierung distanzierte sich semantisch von der als neoimperialistisch wahrgenommenen westlichen „Entwicklungshilfe“ und zog es vor, Begriffe wie „Antiimperialistische Solidarität“ zu verwenden. Diese eröffnete einigen Regierungen im Globalen Süden den Spielraum, Entwicklungsstrategien zu verfolgen, die auf anderen wirtschaftlichen, ideologischen und politischen Prämissen beruhte als das neoliberale Paradigma. Und auch die Bedingungen der Arbeitsmigrationsabkommen sind ambivalenter, als sie auf den ersten Blick scheinen. So waren die Vertragsbedingungen, die bilateral zwischen der DDR und anderen sozialistischen Ländern (wie Polen, Bulgarien und später auch Vietnam, Mozambik oder Kuba) geschlossen wurden, im Vergleich zu den Gastarbeitsabkommen der BRD formal egalitärer angelegt. Die Verträge enthielten wesentliche Rechte und Bestimmungen (wie Ausbildung), die Migrant:innen und DDR-Bürger:innen rechtlich gleichstellten. Allerdings wurden diese Bestimmungen in der Realität nicht eingehalten, etwa wenn Vertragsarbeiter:innen die körperlich schwersten und härtesten Arbeiten verrichten mussten, nach einem Prinzip der „staatlich verordneten Abgrenzung“ (Poutrus) untergebracht waren oder schwangere Vertragsarbeiterinnen vor die Wahl zwischen Abtreibung oder Abschiebung gestellt wurden.

Das besondere Verhältnis zu den Befreiungsbewegungen spiegelte sich in unterschiedlichen Kontexten wider: (1) bei Vertragsarbeiter:innen, (2) bei Studierenden, die eine Sonderrolle hatten und teilweise mehr Privilegien (wie das Recht auf Ausreise in westliche Länder) als DDR-Bürger besaßen, was teilweise Ressentiments ihnen gegenüber erzeugte, und (3) bei der politischen (z.T. indirekt auch militärische) Unterstützung der Befreiungsbewegungen, dies nicht zuletzt als Gegenposition zur westlichen Politik im Globalen Süden.

Diese Ambivalenzen, aber auch das transformatorische Potenzial der postkolonialen DDR sind bisher noch wenig beleuchtet worden. Stattdessen wird „der Osten“ häufig kategorial als „anders“ und unzivilisierter im Vergleich zu „dem Westen“ herausgestellt oder westdeutsche Geschichten und Bilder werden aufoktroyiert. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die multiplen Migrationsbewegungen aus und in die DDR (etwa von Vertragsarbeiter:innen oder Exilant:innen) im kollektiven Gedächtnis der BRD vergessen, aber auch in der Migrationsforschung außer Acht gelassen werden.

Die hier umrissene Thematik ist bisher sozialwissenschaftlich und zeithistorisch nur wenig behandelt, erst recht nicht im Rahmen von postkolonialen oder dekolonialen Diskussionszusammenhängen. Das geplante Heft/Doppelheft der PERIPHERIE soll hierzu ein Forum bieten. Als ersten Schritt möchten wir uns auf den zentralen Themenkomplex der Arbeitsmigration konzentrieren. Er ist untrennbar mit der Problematik des weithin verschwiegenen Rassismus, der spezifischen Ausbeutungsbeziehungen und der auswärtigen Beziehungen der DDR insbesondere zu Befreiungsbewegungen an der Macht verbunden.

Wir wünschen uns Beiträge mit folgenden Zugängen bzw. zu folgenden Themenbereichen, sind aber auch offen für darüber hinaus Gehendes:

- Welches Potenzial haben post- und dekoloniale Ansätze, um die Kolonialität/Modernität postsozialistischer Konfigurationen zu erklären? Inwiefern können post- und dekoloniale Ansätze auf den innerdeutschen Kontext übertragen werden? Was sind die Fallstricke?
- Welche (Dis-)Kontinuitäten des Rassismus prägten die Selbst und Außenwahrnehmung der DDR (beispielsweise Vorstellungen der zivilisatorischen Überlegenheit gegenüber sozialistische Bruderländern aus dem Globalen Süden innerhalb der Doktrin der Völkerfreundschaft)? Und wie prägten diese Vorstellungen das Verhältnis zwischen der DDR und den Bruderländern im Globalen Süden?
- Darstellungen und Situation von sog. „DDR-Kindern“ aus Mosambik und Namibia
- Darstellungen und Situation von Vertragsarbeiter:innen in der DDR
- Darstellungen und Situation von Studierenden der Befreiungsbewegungen aus dem Globalen Süden
- Prozesse des Fremdmachens in der DDR
- Wirtschaftsbeziehungen zwischen DDR und sozialistischen Ländern im Globalen Süden, hier mit Schwerpunkt auf die Bedeutung der Arbeitsmigration, Rücküberweisungen usw.

Redaktionsschluss für Artikel ist der
29. April 2021.

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