Im Verlauf der letzten zwei Jahre hat es in Deutschland in vielen Kommunen und auch darüber hinaus einige Aufmerksamkeit für öffentliche Einrichtungen und Orte gegeben, deren Benennungen aufgrund von historischen Befunden in Frage gestellt werden. Während sich die aktuelle Debatte hauptsächlich auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands bezieht, werden auch Diskussionen erneut belebt, in denen es um die Aufarbeitung nationalsozialistischer Geschichte geht. Schließlich werden Phänomene der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik in den Blick genommen und hier teilweise ältere Debatten neu verhandelt. Verschiedene Wahrnehmungen erregten die mediale Aufmerksamkeit: Umbenennung von Straßen, Plätzen oder ganzen Städten während des Kommunismus, ihre (vermeintlich) in aller Stille vollzogene oder voreilige Rück-Benennung in der Zeit unmittelbar nach der friedlichen Revolution von 1989/90 – oder der Verzicht darauf. Der Umgang mit Denkmälern aus kommunistischer Zeit ist erneut zu einer breit wahrgenommenen Frage geworden: Die Art der gesellschaftlichen Diskussionsprozesse bzw. ihr Fehlen werden thematisiert, nicht stattgefundene Denkmalstürze genauso wie stattgefundene.
In Polen existiert eine sehr lebhafte öffentliche Debatte über die eigene Geschichte und den Umgang damit, die auch – aber bei weitem nicht ausschließlich – durch die Bedeutung gespeist wird, die die aktuelle Regierung der Geschichtspolitik zumisst. Hauptsächlicher historischer Referenzrahmen ist hierbei der Zweite Weltkrieg. Allerdings wird zuletzt immer deutlicher, wie sehr öffentliche historische Deutungen des Kriegs und der deutschen wie der sowjetischen Besatzung mit der folgenden Zeit des Kommunismus und der Abhängigkeit von der Sowjetunion zusammen formuliert werden. In den vergangenen 30 Jahren hat es in Polen unterschiedliche Phasen von Denkmalstürzen und Umbenennungen gegeben, die viel radikaler als in Ostdeutschland waren. Nicht nur werden diese Phasen jetzt von den verschiedenen politischen Standpunkten aus konträr gedeutet. Seit April 2016 wird auf Initiative der Zentralregierung auf regionalen und lokalen Ebenen die weitere Umkodierung des öffentlichen Raums intensiviert. Symbole und Namen, die vom Gesetzgeber als totalitär beschrieben werden, werden untersagt und die Regelung mit verwaltungsrechtlichen Mitteln durchgesetzt. Das Schlagwort für diesen kontroversen Vorgang, das einen noch viel umfassenderen gesellschaftlichen Prozess beschreibt, lautet „Dekommunisierung“.
Hierzu veranstaltet das Deutsche Polen-Institut, gefördert durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, einen Workshop. Ziel der Veranstaltung ist es, den Umgang mit dem symbolischen und materiellen Erbe des Kommunismus in Deutschland und Polen an den Schnittstellen zwischen Aufarbeitung, Erinnerung und Geschichtspolitik zu vergleichen und zu analysieren. Hierfür sollen ganz konkret sowohl polnische als auch deutsche Fallbeispiele der Auseinandersetzungen mit Straßennamen, Denkmälern und anderen Formen des öffentlichen Gedenkens aus der Zeit des Kommunismus gesammelt, dokumentiert und mit folgenden erkenntnisleitenden Fragen vergleichend diskutiert werden:
• Wie wurde mit dem Erinnerungszeichen (Straßenname, Gedenktafel, Denkmal, Erinnerungsort, Gedenkstätte) nach 1989/1990 umgegangen?
• Warum sind Umdeutungen erfolgt oder unterblieben? Wer waren die maßgeblichen Akteure? Welche Konsequenzen haben sich aus der Form der Aufarbeitung ergeben?
• In welchen Konjunkturen sind die Aufarbeitungsprozesse verlaufen? Welche Phasen lassen sich ableiten?
• Mittels welcher Kategorien und Begrifflichkeiten lassen sich diese Entwicklungen begreifen?
• Wie unterscheiden sich die einzelnen Phänomene in Deutschland und Polen voneinander, was eint sie?
• Gibt es gemeinsame Konjunkturen und vergleichbare Phasen und wie unterscheiden sich die Entwicklungen über die letzten 30 Jahre, welche Zäsuren und Trends lassen sich ermitteln?
Der Workshop ist in zwei Teilen mit anschließender Publikation geplant – eine Dokumentation der wissenschaftlichen Ergebnisse mit Fallbeispielen. Der erste Teil des Workshops findet in einem digitalen Format statt, am 28.–29. Juni 2021. Er dient der Vorstellung der individuellen Projekte und der Verständigung über Forschungsstände und methodische Ansätze in Bezug auf Polen, Deutschland und darüber hinaus. Der zweite Teil des Workshops wird am 2.– 3.12.2021 nach Berücksichtigung der Pandemielage möglichst „live“ in Person in Darmstadt, am Sitz des Deutschen Polen-Instituts, organisiert. Die einzelnen Fallbeispiele und die dann weit fortgeschrittenen Texte werden diskutiert, die gemeinsamen Erkenntnisse zusammengetragen. Anschließender Termin für die Abgabe der Druckmanuskripte ist der 3.01.2022.
Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.
Bitte bewerben Sie sich mit einem Abstract (300 Wörter) und einer biographischen Notiz bis zum 17.05.2021 an roettjer@dpi-da.de. Eine Bestätigung über die Annahme Ihrer Präsentation erhalten Sie im Anschluss schnellstmöglich.
Julia Röttjer (Darmstadt), Jakub Szumski (Jena)