Nikolaus Gatter, Vorsitzender, Varnhagen Gesellschaft e.V.
Die außerordentlich umfangreiche schriftliche Hinterlassenschaft Rahel Varnhagens besteht fast ausschließlich aus literarisch und kulturhistorisch bedeutsamen Briefen. Die Tatsache, dass sich die als „geistreichste Frau des Universums“ von Heinrich Heine gepriesene Intellektuelle fast ausschließlich diesem zwischen Pragmatik und Kunst angesiedelten Schreibformat zuwandte, hat die Rezeption ihrer Schriften wesentlich geprägt. Diesem Werk soll eine besondere Aufmerksamkeit gelten. Dabei begrüßen wir Beiträge, die sich verschiedenen Subgattungen der Rahelschen Texte (Brief, Aphorismus, Literaturkritik), poetologischen Konzepten der Autorin, ihren literarischen Inspirationen (wie durch J. W. von Goethe) und last but not least der Problematik der Autorschaft zuwenden.
Von Interesse sind ebenfalls Beiträge, die sich mit der Geschichte des Nachlasses von Rahel beschäftigen. Von ihrem Ehemann Karl August Varnhagen von Ense aufbewahrt, bearbeitet und von Ludmilla Assing als Teil der Sammlung Varnhagen an die Königliche Bibliothek in Berlin vermacht, befindet sich dieser Nachlass seit der Nachkriegszeit in der Biblioteka Jagiellońska in Krakau. Im thematischen Zusammenhang des Nachlasses erscheinen die Fragestellungen des Sammelns und Überlieferns dieser Hinterlassenschaft sowie ihrer Materialität besonders relevant.
Daran knüpfen sich auch die Fragen der Rezeption. Hierbei soll die entscheidende Rolle Karl August Varnhagens thematisiert werden, dem die Pflege des Nachlasses seiner Ehefrau Rahel – und in diesem Rahmen auch die erste Ausgabe (1833) ihrer Briefe – zu verdanken ist.
Relevant erscheint auch die Berücksichtigung unterschiedlicher Formen und Medien der weiteren Rezeption: von der Literatur über Bildkunst bis hin zu Hörspiel, Oper und Film. Dies gilt ebenso für non-fiktionale Genres wie die Rahel-Biografien, in denen sie immer wieder zu einer Identifikationsfigur wird, so z.B. für Hannah Arendt.
Weitere mögliche Fragestellungen:
- der literarische Salon als Kommunikationsraum um und nach 1800 unter besonderer Berücksichtigung der beiden Berliner Salons Rahel Varnhagens und ihres Austauschs mit den prominenten Schriftstellern, Intellektuellen und Politikern ihrer Zeit;
- Rahel als Mittelpunkt der literarischen und epistolaren Netzwerke
- diskursive Formationen der Aufklärung und Romantik als Referenzgrößen der Texte Rahel Varnhagens
- ihre Auseinandersetzung mit religiösen, ethischen und psychologischen Fragen
- ihre politischen Ansichten, insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Krieg und der Idee der Nation
- Themenkomplex Judentum/Emanzipation/Assimilation
- Genderfrage in den Schriften Rahel Varnhagens – Auseinandersetzung der Autorin mit den kulturellen Konzeptualisierungen der Weiblichkeit und Männlichkeit
Die Tagung wird hybrid – online und nach Maßgabe der aktuellen pandemischen Lage stationär in Krakau – stattfinden und soll von einer thematischen Ausstellung der ausgewählten Handschriften und Artefakte aus der Sammlung Varnhagen begleitet werden. Im Handschriftenlesesaal der Biblioteka Jagiellońska wird darüber hinaus eine „Varnhagen-Ecke“ eingeweiht.
Es wird eine Tagungsgebühr in Höhe von 20 Euro erhoben. Die Organisatoren bemühen sich um externe Förderung, können aber keine Reise- und Übernachtungskosten übernehmen.