Fabian Kunow, Helle Panke e. V. - Rosa Luxemburg Stiftung Berlin
10:00 Begrüßung durch Matthias Koch, Geschäftsführer des Aufbau Haus
Christoph Links, Zur Bedeutung von Georg Lukacs für den Aufbau Verlag
10.15–12.00 Uhr
1. Panel. Politik. Theorie, Praxis und Revolution.
Moderation: Patrick Eiden-Offe
Georg Lukács – ein "organischer Intellektueller"?
Bei aller Begeisterung für die Tiefen der Lukács‘schen Interpretation und Weiterentwicklung des Marxismus und seine ästhetischen Theorien der späten Jahre bleibt das Spannende seines Wirkens seine Verbindung von Theorie und Politik, und dies auch im praktischen politischen Geschäft: Als stellvertretender Volkskommissar der Ungarischen Räterepublik und Politkommissar, als Funktionsträger in der kommunistischen Bewegung, als Stichwortgeber im ideologischen Kampf gegen den Faschismus und dessen geistigen bürgerlichen Wegbereitern. Nicht selten findet Lukács sich jenseits seiner politischen Funktionen und seiner erzwungenen oder überzeugten Selbstkritiken nicht nur von der Konterrevolution, sondern auch den vermeintlich eigenen Genossen bedrängt und bedroht. Und doch blieb er immer der Gleiche: Der Verräter seiner Klasse, der sich als Intellektueller einer neuen Klasse, der Arbeiterklasse und ihrer politischen Organisation, verschrieben hat für eine sozialistische, demokratische, aber auch wehrhafte Gesellschaft. Ein Stichwortgeber und Anreger, der im Unterschied zu manchen Adepten aber immer wusste, wo er im Systemkonflikt, im Klassenkampf stehen musste – auch wenn es schwerfiel.
Dr. Stefan Bollinger, Politikwissenschaftler und Historiker, Stellvertretender Vorsitzender Helle Panke.
Das Klassische bei Marx und Lukács: die Schnittstelle von Ökonomie und Politik
Lukács wurde zum Klassiker durch Geschichte und Klassenbewußtsein – aber diese Aufsatzsammlung ist bereits eine Aktualisierung derjenigen Aufgabe der Kapitalismuskritik, die das eigentliche "Klassische" ist. Diese Aufgabe beherrscht bereits Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie und ist ihr durchgehendes und bis heute ungelöstes Problem geblieben: Die Arbeit und ihr Subjekt werden ökonomisch durch das Kapital vergesellschaftet, aber das muss in der Klasse politisch angemessen zu Bewusstsein kommen und, ineins, zu einer Art Selbstnegation und revolutionären Selbstüberwindung werden. Lukács' Konzeption beschließt die Reihe Lenin und Luxemburg, und sie eröffnet zugleich eine neue Sequenz, die von Bloch und Benjamin bis zum Operaismus Mario Trontis führt.
Dr. Frank Engster, Helle Panke Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, Autor von Das Geld als Maß, Mittel und Methode. Das Rechnen mit der Identität der Zeit.
Georg Lukács – ein "organischer Intellektueller"?
Bei aller Begeisterung für die Tiefen der Lukács‘schen Interpretation und Weiterentwicklung des Marxismus und seine ästhetischen Theorien der späten Jahre bleibt das Spannende seines Wirkens seine Verbindung von Theorie und Politik, und dies auch im praktischen politischen Geschäft: Als stellvertretender Volkskommissar der Ungarischen Räterepublik und Politkommissar, als Funktionsträger in der kommunistischen Bewegung, als Stichwortgeber im ideologischen Kampf gegen den Faschismus und dessen geistigen bürgerlichen Wegbereitern. Nicht selten findet Lukács sich jenseits seiner politischen Funktionen und seiner erzwungenen oder überzeugten Selbstkritiken nicht nur von der Konterrevolution, sondern auch den vermeintlich eigenen Genossen bedrängt und bedroht. Und doch blieb er immer der Gleiche: Der Verräter seiner Klasse, der sich als Intellektueller einer neuen Klasse, der Arbeiterklasse und ihrer politischen Organisation, verschrieben hat für eine sozialistische, demokratische, aber auch wehrhafte Gesellschaft. Ein Stichwortgeber und Anreger, der im Unterschied zu manchen Adepten aber immer wusste, wo er im Systemkonflikt, im Klassenkampf stehen musste – auch wenn es schwerfiel.
Dr. Stefan Bollinger, Politikwissenschaftler und Historiker, Stellvertretender Vorsitzender Helle Panke.
Mit Geschichte und Klassenbewusstsein gegen neoliberale Denkpanzer
Lukács zufolge reicht es nicht die Theorie allein zu studieren, man muss sie auch praktizieren. Was könnte das heute, umkreist von
Neoliberalismus, den Algorithmen der „sozialen“ Medien und den
allgegenwärtigen Punkte-Sammel-Aktionen, bedeuten? Welche Waffen stellt „Geschichte und Klassenbewusstsein“ bereit und wie lässt sich mit Rosa Luxemburg vielleicht noch die Schlagkraft erhöhen? Eine kurze Überlegung in Andeutungen. Oder: Mit Büchern auf die Verhältnisse werfen!
Luise Meier, Autorin von MRX Maschine, ist Theatermacherin und Autorin.
15 Minuten Pause
12:15–13:30 Uhr
2. Panel. Internationales Online-Panel: Lukács in Ungarn, China und Brasilien Moderation: Rüdiger Dannemann
Die Lukács-Rezeption in Brasilien
Thema ist die Ankunft von Lukács in der brasilianischen Debatte und ihre Wege und Abwege: Von den Intellektuellen, die auf der Flucht vor dem NS nach Brasilien eingewandert sind, über den Aufbruch der 1960er Jahre, in dessen Zuge auch in Brasilien Lukács von einer Generation junger Studierender für eine andere, gegen die Militärdiktatur gerichtete Kulturpolitik angeeignet wurde, bis zum Verblassen solcher Debatten in den 80er und 90er Jahren und ihrem Wiedererstarken in den späten 2000er Jahren, verstärkt nach der Krise von 2008. Dies ist der historische Weg zur zeitgenössischen Lukács-Diskussionen in Brasilien, die sich auf die ontologischen, politischen und moralischen Fragen seines Spätwerk konzentrieren, insbesondere auf seine Ontologie des gesellschaftlichen Seins, die kürzlich ins Portugiesische übersetzt wurde.
André Brandão, (Bahia), lehrt Philosophie in Bahia und forscht im Rahmen eines Post-Graduate Programms zum späten Lukács und dessen Frage zu Moral, Manipulation und Ontologie des Alltagslebens an der Universidade Federal da Bahia.
Lukács und Ungarn
Der Vortrag untersucht, wieso in Ungarn, zugespitzt formuliert, von Lukács oft nur diejenigen Vorurteile überlebt haben, die ihn schon zu Lebzeiten umgaben. Die Frage wird sein, wie sehr ein Denker seiner Nachwelt ausgeliefert ist, vor allem dann, wenn die Nachwelt nicht besonders gewillt ist, ihre Fragen an sein Denken aufrichtig zu stellen.
Dr. Miklós Mesterházi, früherer Mitarbeiter des Georg-Lukács-Archiv in Budapest, Mitglied im Kuratorium der Internationalen Stiftung Lukács Archiv (LANA), Verfasser u.a von Studien über Geistes- und Geschichtsphilosophie, Kant und Lukács.
Lukács im China des 21. Jahrhunderts
Georg Lukács gilt in China als einer der am meisten rezipierten Denker des 20. Jahrhunderts, dessen Rezeption auf eine fast hundertjährige Geschichte (von 1935 bis heute) zurückgeht. In den letzten Jahren gab es in China zudem eine Renaissance der Lukács-Forschung. Der Beitrag befasst sich anhand der bibliometrischen Daten aus dem Chinese Social Science Citation Index (CSSCI) mit der Frage, welche Schwerpunkte und Tendenzen es in der chinesischen Lukács-Forschung im 21. Jahrhundert gibt und welchen Stellenwert der ungarische Philosoph für die Erneuerung und Weiterentwicklung der modernen chinesischen marxistischen Forschung hat.
Prof. Liang Zhang, Professor der Philosophischen Fakultät an der Universität Nanjing, Prodekan der Graduate School der Universität Nanjing, Vizevorstand des Komitees für Lehre der Universität Nanjing.
13.30 Uhr – 14.30 Uhr Mittagspause
14.30 – 16.15 Uhr
Panel 3. Wahlverwandtschaften. Situationistische Internationale, Frankfurter Schule und 68er Studentenbewegung
Moderation: Frank Engster
Georg Lukács, die Frankfurter Schule und die Geschichte der marxistischen Philosophie (Umwege und Paradoxien der Rezeption)
Lukács gehört zu den wichtigsten marxistischen Philosophen und den großen intellektuellen Zeugen des 20. Jahrhunderts. Die Geschichte seines „Gelebten Denkens“ gehört zweifellos zu den widersprüchlichsten, in seiner Widersprüchlichkeit aber gerade interessantesten Rezeptionsgeschichten der jüngeren Vergangenheit. Dennoch ist bislang noch keine umfassende Geschichte der Rezeption seines Werks geschrieben worden. Das ist kein Zufall. Der vorliegende Beitrag stellt sich das bescheidene Ziel eines skizzenhaften Entwurfs im Sinne einer Momentaufnahme, die darauf wartet, fortgeführt und in ihrer zeitgenössischen Relativität eingeordnet zu werden.
Dr. Rüdiger Dannemann, Vorsitzender der Internationalen Georg Lukács Gesellschaft, Herausgeber des Lukács-Jahrbuchs. Autor von Das Prinzip Verdinglichung.
Spectacular Contemplation: Lukács Einfluss auf die Situationistische Internationale
Lukács' Theorie der Verdinglichung hatte ungeheuren Einfluss auf die kritische Theorie der L’Internationale Situationniste (SI). SI-Haupttheoretiker Guy Debord und dessen Theorie einer Gesellschaft des Spektakels haben das Konzept der Verdinglichung in ihre Kritik einer Gesellschaft überführt, die von der sozialen Form der Ware und ihrem Fetischcharakter beherrscht wird. Der Beitrag untersucht den Einfluss von Lukács auf die SI, identifiziert gemeinsame Themen und hebt zugleich die wichtigen Unterschiede in ihrem jeweiligen Verständnis des Phänomens der Verdinglichung hervor.
Dr. Eric-John Russell, lehrt an der Universität Paris 8, Autor von Spectacular Logic in Hegel and Debord. Why Everything is as it Seems.
Die Lukács-Rezeption in der deutschen 68er Bewegung
Die westdeutsche Studentenrevolte ist auch eine facettenreiche Revolte im Bereich der Theorie gewesen. Was die Aneignung von Lukács’ betrifft, so stand die Auseinandersetzung mit Geschichte und Klassenbewusstsein im Mittelpunkt. Der Vortrag untersucht, warum die 68er Bewegung gerade diese Schriftensammlung knapp 50 Jahre nach Erscheinen für sich entdeckte.
Dimitra Alifieraki unterrichtet Griechisch als Fremdsprache und teamt Kapital-Lesekreise in der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ihre Masterarbeit in Philosophie untersucht die Bedeutung von Althussers strukturalem Marxismus und Hegels Wesenslogik für das Verständnis von Marx' Werttheorie.
16.15 – 16:45 Pause
16:45 – 18 Uhr
Panel 4. Ästhetik und Literatur. Kunst und Verbrechen
Moderation: Patrick Eiden-Offe
Dialektik des Verbrechers. Lukács’ Zweite Ethik und Der junge Hegel
Als einen „Brennpunkt“ der Widersprüche macht Lukács in der 1938 verfassten Schrift Der junge Hegel die sogenannte Dialektik des Verbrechers aus. Die in den Frühschriften Hegels identifizierte Dialektik kreist dabei um die Kategorien von Recht, Schicksal und Gewissen. Lukács kritisiert vehement den Mystizismus der frühen Auffassung Hegels sowie ihr Verbleiben auf dem Boden der bestehenden Verhältnisse. Allerdings finden sich in Lukács’ frühem Dostojewski-Projekt einige damit in frappierender Weise übereinstimmende Überlegungen zum Verbrecher. Der Vortrag will den Spuren dieser Korrespondenzen nachgehen und nach ihrer Bedeutung innerhalb der intellektuellen Biografie Lukács’ fragen.
Dr. Philipp Weber, Mitarbeiter am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. 2018 Gastwissenschaftler am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin. Forschungsschwerpunkte sind Poetologien des Wissens, Europäische Romantik, Literatur und Philosophie.
Die Besonderheit als Zentralkategorie von Georg Lukács' später Ästhetik
In seinen späten Schriften Die Eigenart des Ästhetischen und Über die Besonderheit als Kategorie des Ästhetischen entwickelt Lukács systematisch das Fundament seiner Ästhetik, deren Zentralkategorie die Besonderheit bildet. Lukács bestimmt mithilfe dieser Kategorie den eigenen spezifischen Erkenntnismodus der Kunst, der sich von dem der Wissenschaft unterscheidet, diesem aber nicht untergeordnet ist, sondern der Kunst ihren eigenständigen Erkenntnis- und Wirkungsbereich zuweist. Der Vortrag möchte diese in der Lukács-Forschung bislang wenig beachtete Kategorie im Umriss darstellen.
Kristin Bönicke, studiert Philosophie und Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität Berlin. Sie arbeitet zu Themen der philosophischen Ästhetik, insbesondere zu Hacks, Lukács und Holz.
Was ist realistische Gegenwartsliteratur?
Taugt Georg Lukács' Realismusbegriff noch für Gegenwartsliteratur? Lukács' berühmt-berüchtigter Antimodernismus, "Erbe"-Kanon und literarische Vorbilder wie Thomas Mann scheinen sein Verständnis von Realismus fest im Roman des 19. Jahrhunderts zu verankern. Dieser Vortrag liest Lukács anders, indem er seine Realismus-Essays der 1930er Jahre und Geschichte und Klassenbewusstsein mit wertformtheoretischen Neulektüren von Marx verbindet. Das Ziel ist es, eine am Erfassen der Totalität orientierte materialistische Realismuskonzeption für die Gegenwart zu skizzieren.
Dr. Jette Gindner, lehrt an der Yale University. Arbeitsschwerpunkte sind Literatur und Film, Realismustheorien, Marxsche Wertformtheorie
Faszination Gestaltung. Georg Lukács und der Wille zur Form
Der Beitrag wird vom Begriff der Form ausgehend die These vertreten, dass Lukacs mit seinem Formbegriff eine ästhetische Kategorie von der Literatur auf die Gesellschaft übertragen hat. Gezeigt wird, wie Lukács die Frage der Gestaltung von der Literatur über die individuelle Lebensführung bis hin zur politischen Organisation des Sozialen entwickelt.
Prof. Christine Magerski, Professorin für neuere deutsche Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Zagreb. Aktuelle Veröffentlichungen sind Literatursoziologie. Grundlagen, Problemstellungen und Theorien (zusammen mit Christa Karpenstein-Eßbach) und Imperiale Welten. Literatur und politische Theorie am Beispiel Habsburg.
18–19 Uhr Pause
19 Uhr. Abendvorträge
Axel Honneth: Lukács‘ Gratwanderung zwischen philosophischem Argument und parteilichem Engagement
Axel Honneth ist Professor an der Columbia University, NY und war Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt/M.
20 Uhr
Online. Michael Löwy: Lukács on Hölderlin and Thermidor
Michael Löwy ist emeritierter Direktor für Sozialwissenschaften am Centre National de la Recherche Scientifique in Paris und lehrt an der École des Hautes Études en Sciences Sociales.
Moderation: Rüdiger Dannemann