The straight past of a queer present? Mann-männliches Begehren und homosexuelles Verhalten in Kulturgeschichte und Kulturvergleich

The straight past of a queer present? Mann-männliches Begehren und homosexuelles Verhalten in Kulturgeschichte und Kulturvergleich

Veranstalter
Prof. Dr. Klaus van Eickels (Universität Bamberg)
Veranstaltungsort
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
PLZ
96045
Ort
Bamberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.06.2022 - 26.06.2022
Deadline
31.10.2021
Von
Klaus van Eickels, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Im Mittelpunkt der Tagung wird die Frage nach der Regulierung mann-männlichen Begehrens und homosexuellen Verhaltens stehen. Der Blick auf unterschiedliche Kulturen von der Antike bis zur Gegenwart soll dabei (auch im Vergleich zu nicht-westlichen Kulturen) vor allem auf die sich verschiebenden Grenzen des Erlaubten gerichtet werden.

The straight past of a queer present? Mann-männliches Begehren und homosexuelles Verhalten in Kulturgeschichte und Kulturvergleich

Paper Proposal für die Tagung „The straight past of a queer present?“
Mann-männliches Begehren und homosexuelles Verhalten in Kulturgeschichte und Kulturvergleich
Veranstalter: Prof. Dr. Klaus van Eickels
Zeit: Fr., 24.06.2022, 14:00 Uhr – So., 26.06.2022, 13:00 Uhr

Personale Bindungen zwischen Männern und die Regulierung sexuellen Verhaltens spielen in fast allen Kulturen weltweit eine zentrale Rolle. Verhaltensnormen für Männer und für Frauen weichen dabei oft stark voneinander ab, so dass eine genderdifferenzierte Betrachtung grundsätzlich geboten ist. In besonderer Weise gilt dies für homosexuelles Verhalten und gleichgeschlechtliche Beziehungen. Im Mittelpunkt der Tagung wird die Frage nach der Regulierung mann-männlichen Begehrens und homosexuellen Verhaltens stehen. Der Blick auf unterschiedliche Kulturen von der Antike bis zur Gegenwart soll dabei (auch im Vergleich zu nicht-westlichen Kulturen) vor allem auf die sich verschiebenden Grenzen des Erlaubten gerichtet werden (insbesondere auf das aus moderner westlicher Sicht oft paradoxe Verhältnis von ostentativ gelebter mann-männlicher Nähe bei gleichzeitiger Ablehnung oder Tabuisierung homosexueller Handlungen und auf die Differenzierung zwischen unterschiedlichen homosexuellen Handlungen in Abhängigkeit von Unterschieden in Lebensalter oder Geschlechtsrollenkonformität).

In den meisten vormodernen Gesellschaften (und in vielen nicht-westlichen Gesellschaften bis heute) bilden homosoziale und homoaffektive Bindungen das tragende Netzwerk, von dem das Funktionieren der politischen Institutionen, des sozialen Lebens und vielfach auch der wirtschaftlichen Austauschbeziehungen abhängt. In modernen westlichen Gesellschaften werden solche mann-männlichen Beziehungen dagegen nicht mehr offen zur Schau gestellt; sie sind aber als Seilschaften und Netzwerke weiter von großer Bedeutung, auch wenn sie allenfalls als störende Faktoren in einem vordergründig allein auf Transparenz, Offenheit und Rationalität angelegten System von Institutionen und Entscheidungsprozessen sichtbar werden.

Wie das sexuelle Verhalten der Frau wird auch das sexuelle Verhalten des Mannes in vormodernen Gesellschaften kaum je als „rein privat“ betrachtet, sondern kleinteilig reglementiert und sozial überwacht. Diese Regeln gelten als essentiell für die Wahrung des sozialen Friedens (z.B. das Verbot des Ehebruchs, da dieser weitreichende Konflikte unter Männern bewirken kann und Unklarheit über die Abstammung der Nachkommen erzeugt) wie für die Aufrechterhaltung der Ordnung der Geschlechter und der Familie (z.B. durch unterschiedliche Rollenerwartungen für Männer und Frauen jeweils entsprechend ihrer Stellung in der Familie). Verstöße gegen sexuelle Verhaltensnormen beeinträchtigen die Ehre des einzelnen. Der Vorwurf des sexuellen Fehlverhaltens ist daher auch für die betroffenen Männer geeignet, ihr Ansehen und ihre soziale Handlungsfähigkeit zu vernichten. Besondere Aufmerksamkeit wird daher auf die Verwendung des Vorwurfes homosexuellen Verhaltens allgemein oder spezifischer homosexueller Verhaltensweisen als diffamierendes Argument in sozialen und politischen Auseinandersetzungen zu richten sein.

Die emotionale Aufladung der Ehe als einer auf Dauer gestellten Form romantischer Verliebtheit im 19. Jahrhundert fand ihre Entsprechung in der Entstehung der modernen Psychologie, die das sexuelle Begehren als konstitutiven Teil der menschlichen Persönlichkeit begriff und nicht mehr als eine von außen an den Menschen herangetragene Versuchung, der es zu widerstehen galt. Der Übergang von einer auf Familienbetrieben beruhenden Wirtschaftsweise, in der die meisten Männer auf die Mithilfe von Frau und Kindern angewiesen waren, zu einer Gesellschaft, in der abhängige Beschäftigung und die Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz die Norm war, begünstigte die Ausweitung dieses zunächst bürgerlichen Modells auf alle Schichten der Bevölkerung. Die sexuelle Orientierung eines Menschen wurde damit zu einer sozial bedeutenden Tatsache (einem fait social). Der homosexuelle Mensch wurde zum Inbegriff des unverantwortlichen, sozial nicht eingebundenen Individuums, das sich sozialer Kontrolle durch Ehe und Familie und der Verpflichtung, zum Fortbestand von Nation und Gesellschaft beizutragen, entzog.

Die Formierung des Konzepts „Homosexualität“ im medizinischen und juristischen Diskurs des späteren 19. Jahrhunderts und die Durchsetzung des Begriffs im allgemeinen Sprachgebrauch zunächst in Deutschland und bald danach auch in anderen westlichen Ländern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte zur Folge, dass sich eine klare Unterscheidung zwischen zwei miteinander unvereinbaren sexuellen Orientierungen (homo-hetero divide oder homo-hetero dichotomy) etablierte, die sehr bald auch die Wahrnehmung enger emotionaler Bindungen insbesondere zwischen Männern einschloss. Emotional aufgeladene mann-männliche Freundschaft, die über „Kameradschaft“ hinausging, wurde zunehmend verdächtig.

Im Rahmen der Tagung gilt es daher zu fragen, wo und wie in der europäischen Vergangenheit die Grenzen des Erlaubten verliefen und anhand welcher Kriterien sie gezogen wurden. Der Blick auf die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Europa und anderen Teilen der Welt kann und soll dabei auch einen Beitrag dazu leisten, die Kontrastierung von westlichen zu nicht-westlichen Kulturen aufzubrechen. Zu betrachten wird sein, ob und inwieweit mann-männliche affektive Bindungen und Liebe zwischen Mann und Frau als sich wechselseitig ausschließende oder als komplementäre Formen sozialer und personaler Bindungen betrachtet wurden und werden, in welche Schemata und Logiken der Bewertung homosexuelles Verhalten und mann-männliche Beziehungen eingeordnet wurden und werden und wie sich diese zu den Verhaltensnormen für heterosexuelles Verhalten und Begehren verhalten.

Der moderne westliche Begriff der „Homosexualität“ erweist sich dabei in vielen Fällen als ein nur wenig geeignetes Instrument der historischen und kulturvergleichenden Analyse. Eine Generation nach der in den 1980er- und 1990er-Jahren erbittert und in der Folge zunehmend abstrakt geführten Debatte zwischen Essentialisten und Konstruktivisten (essentialist-social constructivist controversy), erscheint es angebracht, die seinerzeit auch von Historiker:innen in die Diskussion eingebrachten Erkenntnisse und Überlegungen neu aufzugreifen und jenseits theoretischer Auseinandersetzungen für ein besseres Verständnis gleichgeschlechtlicher Beziehungen und Handlungen in der Vergangenheit wie in anderen Kulturen fruchtbar zu machen.

Bereits in den 1980er-Jahren wiesen kulturvergleichend-anthropologisch arbeitende Soziologen wie David Greenberg darauf hin, dass in den meisten Kulturen homosexuelle Beziehungen keineswegs als Beziehungen unter Gleichen wahrgenommen werden. Anstelle des heute in den meisten westlichen Ländern dominanten, in vielen nicht-westlichen Ländern aber massiv abgelehnten egalitarian model finden sich vielfach Auflösungen der Gleichheit der Partner durch differenzierende Merkmale. Viele Gesellschaften tolerieren Beziehungen zwischen maskulinen, den männlichen Rollenerwartungen in jeder Hinsicht entsprechenden Männern und effeminierten Männern, sofern (zumindest äußerlich) eine strikte Differenzierung der als männlich verstandenen aktiven und der als weiblich verstandenen passiven Rolle eingehalten wird (gender diffentiated model).

Andere Gesellschaften akzeptier(t)en nur Beziehungen mit großem Altersunterschied (age differentiated model) und/oder unabhängig vom Alter der Partner Beziehungen zwischen Männern unterschiedlichen sozialen Standes (class differentiated model). Als Bezugspunkte queerer Identitätsbildung sind diese Konzeptualisierungen und Praktiken aufgrund der ihnen inhärenten Übergriffigkeit (sexueller Missbrauch von Minderjährigen und/oder Abhängigen) heute nicht mehr verwendbar und daher aus der Geschichte der Homosexualitäten weitgehend verschwunden. Sie sind aber ein wesentlicher Teil der Geschichte gleichgeschlechtlichen Begehrens und Handelns. Zu fragen wird z.B. sein, welche Funktion die Päderastie der griechischen Antike als Bezugspunkt legitimatorischer Diskurse gleichgeschlechtlichen Begehrens und Handelns und als Ideal in weiten Teilen der früheren homosexuellen Emanzipationsbewegungen des 20. Jahrhunderts hatte. Für die Vormoderne und das 19. Jahrhundert wird zu fragen sein, inwieweit Verbote gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen unter Personen männlichen Geschlechts (neben der religiösen Funktion der ostentativen Wahrung der gottgewollten Ordnung) in der Praxis nicht auch die soziale Funktion hatten, Minderjährigen und Abhängigen männlichen Geschlechts in ähnlicher Weise eine Rechtfertigung bei Widerstand gegen sexuelle Übergriffe an die Hand zu geben, wie sie Mädchen und jungen Frauen durch Verweis auf ihre zu wahrende Jungfräulichkeit zur Verfügung stand.

In den 1990er-Jahren wurden in den queer studies ausgehend von Überlegungen, die Eve Kosofsky Sedgwick und Adrienne Rich in die Diskussion eingebracht hatten, wichtige Konzepte der Differenzierung entwickelt, die allerdings in den Geschichtswissenschaften aufgrund ihrer hochkomplexen erkenntnistheoretischen Implikationen bislang nur wenig rezipiert wurden. In historischer und interkultureller Perspektive erweitert und relativiert, können sie wesentlich zum besseren Verständnis mann-männlichen Begehrens und homosexuellen Verhaltens in Kulturgeschichte und Kulturvergleich beitragen. Eve Kosofsky Sedgwick hat zu Recht darauf hingewiesen, dass gleichgeschlechtliches Begehren und homosexuelles Handeln einer universalizing oder einer minoritizing conceptualization unterworfen werden kann (d.h. entweder als spezifisches Merkmal einer abgrenzbaren Minderheit oder als eine Versuchung zu verstehen ist, der jeder Mensch erliegen kann) und dass diese Erklärungsmodelle vielfach innerhalb ein und derselben Kultur miteinander konkurrieren und koexistieren (z.B. im 20. Jahrhundert die Vorstellung von der grundsätzlichen Angeborenheit homosexueller Orientierung und die Vorstellung vom notwendigen Schutz der Jugend vor einer Verführung zur Homosexualität).

Von besonderer Bedeutung im Kontext der Tagung wird die Unterscheidung von Homosexualität, Homoerotik, Homoaffektivität und Homosozialität sein, die im modernen westlichen Denken eng miteinander verknüpft sind und aufeinander zu verweisen scheinen, beim Blick in die europäische Vergangenheit wie auf nicht-westliche Kulturen jedoch keineswegs in eins gesetzt werden dürfen. Zu untersuchen wird insbesondere sein, ob und inwieweit die Ablehnung und Verurteilung homosexueller Handlungen verbunden mit ausgeprägter und ostentativer Homoaffektivität und Homosozialität (the freedom of comradeship im Sinne von W.T. Stead und Edward Carpenter) sich nicht vielfach wechselseitig bedingen, obwohl dies aus moderner westlicher Sicht eher paradox wirkt.

Das rezente westliche Konzept der „Homophobie“ als Diskriminierung von auf Konsens beruhenden egalitären Beziehungsformen und Verhaltensweisen wird daher in seiner historischen und kulturellen Spezifizität herauszuarbeiten sein. Vieles von dem, was aus heutiger westlicher Sicht als queer erscheint und daher in der Rückschau einen legitimen Platz in der Identitätsbildung von Gruppen und Individuen hat, die sich nicht an dem ausrichten, was heute als heteronormativer mainstream gelten kann (vom gemeinsamen Schlafen in einem Bett bis hin zu auf Dauer angelegten „eheähnlichen“ Beziehungen zwischen zwei Männern), wird sich bei differenzierter Betrachtung nach den Maßstäben der jeweiligen Kultur und Gesellschaft als durchaus straight (d.h. sozial akzeptiert und sogar geboten) herausstellen.

Die Tagung wird nach Möglichkeit in Präsenz stattfinden. Erwünscht sind Beiträge von der Antike bis zur Gegenwart zu westlichen wie zu nicht-westlichen Kulturen. Vergleichend angelegte und epochenübergreifende Studien sind ebenso willkommen wie konkrete Einzelbeispiele. Eine Publikation der Tagungsbeiträge in der University of Bamberg Press ist geplant.

Die Tagungssprache ist Deutsch; Vorträge und Diskussionsbeiträge sind jedoch auch auf Englisch willkommen. Möglich sind Vorträge im Umfang von 20, 30 oder 45 Minuten, für die jeweils eine entsprechende Diskussionszeit eingeplant werden wird. Die geplante Vortragszeit sowie die Vortragssprache im proposal ist verbindlich mit anzugeben; das abstract von 200–500 Wörtern in Deutsch oder Englisch (ggf. auch Französisch oder Italienisch) soll vor allem über die Fragestellung und den zeitlichen und geographischen Rahmen Auskunft geben. Die unten aufgeführten Informationen senden Sie bitte im PDF-Format unter dem Betreff „CFP Straight past of a queer present: Proposal [+ Ihr Nachname]“ bis zum 31.10.2021 an: straight-past-queer-present.hist-mg@uni-bamberg.de.

Anrede und ggf. Titel, Name, Vorname, E-Mail-Adresse, Telefon, Wohnort und Land, Status (z.B. Professor:in, Doktorand:in), Universität oder Forschungseinrichtung, Vortragssprache, Dauer des Vortrags, Titel des Vortrags, zeitliche und geographische Schwerpunkte des Vortrags, Abstract (200–500 Wörter)

Kontakt

straight-past-queer-present.hist-mg@uni-bamberg.de

https://www.uni-bamberg.de/hist-mg/