Wissen in Landwirtschaft und ländlicher Gesellschaft. Jahrestagung der Gesellschaft für Agrargeschichte und des Arbeitskreises Agrargeschichte

Wissen in Landwirtschaft und ländlicher Gesellschaft. Jahrestagung der Gesellschaft für Agrargeschichte und des Arbeitskreises Agrargeschichte

Veranstalter
Gesellschaft für Agrargeschichte; Arbeitskreis für Agrargeschichte
Veranstaltungsort
Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) Essen
Ort
Essen
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.06.2013 - 15.06.2013
Deadline
31.01.2013
Website
Von
Gesellschaft für Agrargeschichte; Arbeitskreis für Agrargeschichte

Konzeption: Verena Lehmbrock, Peter Moser und Marcus Popplow

Konjunktur der Wissensgeschichten

In der Agrargeschichte sind wissenshistorische Ansätze verhältnismäßig rar (Auderset/Bächi/Moser, Harwood, Popplow, Spieker/Inhetveen/Schmitt, Schlude, Uekötter). Dies gilt insbesondere im Vergleich zu den zahlreichen sozial- und geisteswissenschaftlichen Arbeiten, die in den letzten zehn Jahren rund um die Kategorie »Wissen« entstanden sind. Unabhängig davon, dass der Wissensbegriff weiterhin unsicher und eine neue Schließung nicht in Sicht ist, stimmen viele Arbeiten darin überein, dass Wissensbestände als eng verknüpft mit Praktiken anzusehen sind: Historisches Wissen zu erforschen heißt deshalb in weiten Teilen jene Praktiken zu erforschen, in denen es enthalten war bzw. durch die es hervorgebracht, stabilisiert, verbreitet und zuweilen auch wieder zerstört wurde. Vermittelt durch einen derart erweiterten Blick hat sich das Interesse der Forschung neben »klassischen«, formalisierten bzw. kodifizierten Wissensbeständen, die durch die Produktion entsprechender Quellen der historischen Analyse vergleichsweise leicht zugänglich sind, inzwischen auf eine Vielzahl anderer Formen des Wissens gerichtet, darunter Alltagswissen, Erfahrungswissen oder implizites Wissen.

Die erste gemeinsame Tagung der Gesellschaft für Agrargeschichte und des Arbeitskreises für Agrargeschichte verfolgt zwei Ziele: Zum einen möchte sie (Nachwuchs-) Wissenschaftler/innen dazu aufrufen, wissensorientierte Forschungen und Ansätze mit Bezug zur Landwirtschaft oder zur ländlichen Gesellschaft vorzustellen. Zum anderen soll dabei ausgelotet werden, inwiefern die Reflexion über Agrarwissen auch einen inhaltlichen oder methodischen Beitrag zum allgemeinen Projekt einer Wissensgeschichte leisten kann.

Diese fokussiert häufig – anders als die Wissenssoziologie, in der implizites oder Alltagswissen im Zentrum steht (Berger/Luckmann) – auf die Produktion neuen Wissens, d.h. auf wissenschaftliches Wissen in seiner gesellschaftlichen Einbettung. Eine sich formierende Geschichte des Wissens als eigenes Forschungsfeld (Speich-Chassée/Gugerli) stützt sich somit in weiten Teilen auf die neuere Wissenschaftsgeschichte mit ihren science in context und science as practice Ansätzen, steht jedoch gleichzeitig vor der Herausforderung sich als Wissens-Geschichte von ihr zu unterscheiden.

Oft wird die Berücksichtigung »nicht-wissenschaftlicher Wissensformen« gefordert, wenngleich deren Vorkommen nach Auflösung der Wissenschaften und des außerwissenschaftlichen Wissens in (alltägliche) Praktiken im Rahmen der neueren Wissenschaftsgeschichte nicht mehr so eindeutig zu identifizieren und abzugrenzen ist. Da sich Agrargeschichte in weiten Teilen mit Orten, Personen oder Praktiken befasst, die weithin als »nicht-wissenschaftlich« gelten, begreifen die Veranstalter/innen es nicht nur als Anreiz, sondern auch als Chance, gerade hier Wissensfragen zu bearbeiten und einen Dialog zwischen Agrar- und Wissensgeschichte anzustreben.

Einreichen von Abstracts

Die Tagung richtet sich disziplinübergreifend an alle (Nachwuchs-) Wissenschaftler/innen, die ein agrargeschichtliches Thema mit einer wissenshistorischen Perspektive verbinden. Vorschläge aus angrenzenden Disziplinen (Soziologie, Kulturanthropologie, Archäologie u.a.) sind willkommen. Mögliche, jedoch nicht verbindliche Themenbereiche sind:

Zirkulation und Transfer von »neuen« Wissensbeständen

Wie verbreiteten sich neue Praktiken in der Landwirtschaft? Welche Wege und Umwege nahm das dazu erforderliche Wissen und welchen gesellschaftlichen Bedingungen unterlag seine Durchsetzung, Verdrängung oder Modifizierung? Wissenstransferprozesse durch Migration können hier ebenso thematisiert werden wie Überlegungen zur Latenz von ländlichen Wissensbeständen, etwa über bestimmte Fruchtfolgen oder die bodenverbessernde Wirkung von Hülsenfrüchten. Wie konnte sich dieses latente Wissen über Jahrhunderte erhalten, bevor es kodifiziert und verbreitet oder auch in akademisches Wissen transformiert wurde? Ferner: Ist es sinnvoll, die Geschichte des Agrarwissens in Anlehnung an Frank Uekötter in Epochen zu unterteilen, wenn ja in welche?

»Alte« Wissensbestände – Speicherung und Tradierung

Was waren die (modernisierungstheoretisch gesprochen) »alten« Wissensbestände ländlicher Gesellschaften oder anders gefragt: Was musste man überhaupt wissen, um einen landwirtschaftlichen Betrieb im Mittelalter, in der Frühen Neuzeit oder im 19./20. Jahrhundert aufrecht zu erhalten? Welche Wissensformen dienten der Alltagsbewältigung in der agrarischen Praxis und ihrer mehrfachen Transformationen in der Moderne? Ferner: Wie wurde dieses Wissen gesichert, welche Medien und Tradierungsformen waren verbreitet? Welche Bedeutung hatte medial vermitteltes Wissen in der Landwirtschaft?

Vermittlung und Generierung von Wissen

Daran schließt die Frage an, wie in der ländlichen Gesellschaft gelernt wurde (learning by doing, Instruktion jüngerer Generationen durch ältere, formalisierte und informelle Formen der landwirtschaftlichen (Aus-)Bildung). Darüber hinaus: Welche Techniken der bewussten Wissensgenerierung können für ländliche Gesellschaften in den verschiedenen zeitlichen Epochen nachgewiesen werden?

Wissensformen

Welche Formen des Wissens schreiben wir der ländlichen Gesellschaft zu (propositionales Wissen, tacit knowledge, Erfahrungswissen, Handlungswissen etc.)? Sind Bezeichnungen wie »traditionelles« Wissen, »bäuerliches« Wissen usw. sinnvoll, vor allem in einer konzeptuellen Opposition zur Bezeichnung »wissenschaftliches« Wissen? Hier sind allgemeine Überlegungen wie auch Fallstudien, etwa zu konkurrierenden Wissensformen bei der Umstellung von Betrieben von »konventioneller« auf »biologische« Landwirtschaft, vorstellbar.

Autoritatives und subversives Wissen

Wessen Wissen war in ländlichen Gesellschaften verbindlich, welche Wissensträger/innen lassen sich als Autoritäten herausarbeiten? Entwickelten Randgruppen alternatives Wissen? Welche Kompetenzfelder und spezialisierten Wissensbereiche existierten in Dörfern und entlang welcher (alters-, geschlechts-, einkommens-, erfahrungsbezogenen) Grenzen? Wie wurde mit konkurrierenden Wissensbeständen in der Landwirtschaft umgegangen und wie bzw. durch wen wurde agrarische Expertise definiert?

Das Wissen der Agrarwissenschaften

Daran schließt auch die Frage nach dem Wissen und der Genese der Agrarwissenschaften an. Wie bildeten sich deren Wissensbestände heraus und in welchem Verhältnis standen sie zu Wissensbeständen der agrarischen Praxis. Hinterfragt werden kann auch hier die Dichotomie zwischen »wissenschaftlichem Wissen« im Sinne der (meist nur unzureichend definierten) Agrarwissenschaften auf der einen und »nicht-wissenschaftlichem« bzw. praktischem Wissen auf der anderen Seite.

Konfrontationen von Wissenssystemen

Ist es sinnvoll, vormoderne Verwaltungen, moderne staatliche Bürokratien und Industriegesellschaften insgesamt als der ländlichen Gesellschaft entgegengesetzte Wissenssysteme zu konzeptualisieren? Wie verlief die Kommunikation zwischen den jeweiligen Netzwerken, welches Wissen wurde an Schnittstellen generiert und welche Wirkungen erzielte es in den jeweiligen »Herkunftssystemen«? Vorträge können hier etwa die Rolle von Institutionen zur Sicherung und Transformation agrarischen Wissens thematisieren, auf die Wahrnehmung agrarischer Wissensformen in Politik und Öffentlichkeit eingehen oder auch die Auswirkungen des Ziels einer »nachhaltigen« Landwirtschaft auf tradierte Ordnungen des agrarischen Wissens diskutieren. Mit Blick auf das 18. Jahrhundert wären auch Ökonomische Aufklärung und Volksaufklärung mögliche Themengebiete.

Methoden einer Agrargeschichte als Wissensgeschichte

Die Erfassung von Wissen, welches nicht primär oder nur indirekt in schriftlicher Form überliefert ist, stellt eine der größten Herausforderungen einer umfassenden Wissensgeschichte dar. Erfahrungen der Agrargeschichte im Umgang mit Quellen sollten u.a. mit Blick auf jene nicht-explikativen Wissenszusammenhänge reflektiert werden: Inwiefern und in welche Quellen hat sich Wissen der ländlichen Gesellschaft eingeschrieben? Cliometrie: Können quantitative Daten in eine Wissensterminologie übersetzt werden? Objekte: Wie kann historisches Wissen aus Werkzeugen, Maschinen, Bildern, Alltagsgegenständen oder Kleidung gedeutet werden? Selbst- und Fremdzuschreibungen: Welches Wissen steckt in Selbstaussagen, Anschreibebüchern, Autobiografien einerseits und in Fremdsichten andererseits? Was ist aus jenen Diskussionen zu lernen, die sich auf Möglichkeiten und Grenzen der Erfassung eines bäuerlichen Bewusstseins bezogen haben? Ferner: Welche Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen (Volkskunde, Kulturanthropologie, Archäologie) sind für die (Re)konstruktion von Agrarwissen relevant? Schließlich: Inwiefern kann Wissen ländlicher Akteure mithilfe der Oral History erfasst werden?

Wir bitten um die Zusendung von Abstracts für etwa 20minütige Vorträge und kurze biografische Angaben bis zum 31. Januar 2013 an den Vorsitzenden der Gesellschaft für Agrargeschichte, Prof. Dr. Stefan Brakensiek, Universität Duisburg-Essen, Historisches Institut, 45117 Essen (Sekretariat angelika.koeffer@uni-due.de). Panelbewerbungen sind ebenfalls willkommen. Eine Rückmeldung auf die Abstracts erfolgt voraussichtlich bis Ende Februar 2012. Reise- und Hotelkosten können nur teilweise übernommen werden.

Programm

Kontakt

Prof. Dr. Stefan Brakensiek

Universität Duisburg-Essen, Historisches Institut
45117 Essen

angelika.koeffer@uni-due.de