Privatisierte Gesundheit: Arbeitsmärkte, Erfahrungsräume und Staatlichkeit im Gesundheitswesen seit den 1970er Jahren

Privatisierte Gesundheit: Arbeitsmärkte, Erfahrungsräume und Staatlichkeit im Gesundheitswesen seit den 1970er Jahren

Veranstalter
Dietmar Süß, Universität Augsburg; Winfried Süß, ZZF - Zentrum für Zeithistorische Forschungen; Malte Thießen, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Veranstaltungsort
Universität Oldenburg, Senatssitzungssaal im Hörsaalzentrum (Gebäude A14), Uhlhornsweg 86, 26129 Oldenburg
Ort
Oldenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.03.2014 - 20.03.2014
Von
Malte Thießen

Eine der zentralen Auseinandersetzungen um die Modernisierung des Gesundheitswesens seit den 1990er Jahren betrifft die Rolle privater Akteure auf dem wachsenden Markt der Gesundheitsökonomie. Dabei geht es um veränderte Formen der Versorgungsstrukturen, die insbesondere mit den Begriffen der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit diskutiert wurden. Der Workshop bringt Zeithistoriker, Sozialwissenschaftler und Gesundheitsexperten zusammen, um über Voraussetzungen, Formen und Folgen der Ökonomisierung und Privatisierung von Gesundheit seit den 1970er Jahren zu diskutieren – und damit die gegenwärtigen Auseinandersetzung historisch zu verorten. In den Vorträgen werden Privatisierungen im Gesundheitswesen in drei Perspektiven in Blick genommen, aus denen sich die Leitfragen des Workshops ergeben.

1. Privatisierung und Staatlichkeit: Wie wirkte sich Privatisierung auf Vorstellungen von Staatlichkeit aus und inwiefern bedingte der Wandel von Staatlichkeit Privatisierung? Gesundheit ist ein Politikfeld, auf dem grundsätzliche Fragen sozialer Ordnung ausgehandelt werden. Fragen nach dem Allgemeinwohl und sozialen Zusammenhalt, nach Bedrohung und Schutz der Gesellschaft, Schutz-, Fürsorge- und Vorsorgepflicht des Sozialstaats, Mündigkeit und Eigeninitiative des Einzelnen, wie sie zuletzt im Präventionsgesetz der Bundesregierung diskutiert wurden. Welche Rolle spielte der öffentliche Gesundheitsdienst für die individuelle Gesundheit, welche die gesetzlichen und privaten Krankenkassen und welche die wachsende Pharmaindustrie? Wie prägten die wachsende Zahl an nicht-staatlichen (Selbsthilfe-) Organisationen das Bild von Krankheit und Gesundheit und von der Zukunft der Gesundheitspolitik? Welchen Stellenwert hatte beispielsweise das Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen für den Umgang mit Behinderungen und Sterilisationen?

2. Erfahrungsräume, Erwartungshorizonte und Praktiken: Eng mit dem staatlichen und gesellschaftlichen Wandel verbunden sind Veränderungen von Erwartungshaltungen und Wahr-nehmungsmustern auf individueller Ebene. Wie veränderten sich Vorstellungen von Gesundheit im Zuge der Privatisierung, wie veränderten sich Erwartungen an die Gesellschaft und an sich selbst? In welchem Zusammenhang standen beispielsweise Selbst-Technologien zur Optimierung der individuellen Gesundheit mit einer Privatisierung des Gesundheitswesens? In dieser Perspektive wird der Wandel von Patientenbildern ebenso zum Untersuchungsgegenstand wie Veränderungen des Erfahrungsraums Krankenhaus oder von Arzt-Patienten-Beziehungen. Weiterhin nehmen die Vorträge die Ärzte selbst und ihre Wahrnehmung privater Steuerungsversuche in den Blick oder die Sprache und Praktiken von Gesundheitsökonomen und Verwaltungsexperten, die den Privatisierungsprozess zu steuern versuchen.

3. Privatisierte Arbeitswelten: Mit der Privatisierung veränderten sich soziale Hierarchien, Arbeits-verhältnisse und Aufgabenfelder im Gesundheitsbereich und ganze Berufsbilder. Gefragt wird in diesem Zusammenhang auch nach dem Wandel von Ansprüchen und Tätigkeitsfeldern im Gesundheitsbereich. Gab es einen Wandel von einem caritativ-spirituellen Dienst an der Gesellschaft zu einem Dienst am Unternehmen? Wie wurden und werden in diesem Markt Löhne ausgehandelt und welche Rolle spielten Gewerkschaften, beispielsweise in den neu entstehenden Gesundheitskonzernen?

Programm

Mittwoch, 19. März 2014

14.00-14.15 Malte Thießen: Privatisierung und Gesundheit – Einführung und Überlegungen zu einem Forschungsfeld

14.15-16.45: Panel I - Patienten und Konsumenten
(Moderation: Dietmar Süß)
Maik Tändler: Selbstheilung – Krankheitskonzepte, Expertenwissen und Subjektivierungsnormen in der Selbsthilfebewegung der 1970er und 1980er Jahre
Silja Samerski: Vom doctor knows best zum patient decides best. Die Patientenentscheidung als ökonomisches Steuerungsinstrument
Eberhard Wolff: Netzkulturen-Gesundheitskulturen. Patienten im Web zwischen Fremdführung und Selbstermächtigung

16.45-17.15: Kaffeepause

17.15-19.45: Panel II - Staat und Wissen
(Moderation: Winfried Süß)
Britta-Marie Schenk: Selbstbestimmung als Argument. Eine Privatisierungsgeschichte humangenetischer Beratung in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren
Heiner Stahl: Audiogramme. Schwerhörigkeit und Arbeitsschutz als Problem des DDR-Gesundheitswesens
Thomas Werneke: Zwischen Paternalismus und Eigenverantwortung – Ernährungsregime und Gesundheitsförderung in den deutschen Gesellschaften

20.30: gemeinsames Abendessen

Donnerstag, 20. März 2014

09:30-12:00: Panel III - Sozialversicherung und Gesundheitsdienste
(Moderation: Malte Thießen)
Joachim Meyer-Holz: Orthopädie auf dem Weg von der Krüppelfürsorge zur medizinischen Dienstleistung
Marc von Miquel: Zwischen Ökonomisierung, Aktivierung und Selbstbestimmung. Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Boom
Hubertus von Schwarzkopf: Health in Restructuring. Gesundheitliche Aspekte betrieblicher Veränderungen – das Fallbeispiel Krankenhaus

12.00-12.45: Abschlussdiskussion
(Moderation: Dietmar Süß und Winfried Süß)

12.45: Kleiner Imbiss

Kontakt

Malte Thießen

CvO Universität Oldenburg, Fak. IV - Institut für Geschichte, Ammerländer Heerstr. 114-118, 26129 OL

m.thiessen@uni-oldenburg.de

http://www.staff.uni-oldenburg.de/m.thiessen/