In den letzten Jahren lässt sich ein verstärktes Interesse an Praktiken des Reenactment in wissenschaftlichen wie in nicht-wissenschaftlichen Kontexten beobachten. Damit einher eine Wiederkehr des Körperlichen, des Sensuellen und des Materiellen, die entgegen aller Prognosen der fortschreitenden Digitalisierung an Bedeutung zu gewinnen scheinen.
Reenactment-Praktiken des Verortens, Verkörperns und Vergegenwärtigens lassen sich an unterschiedlichen Phänomenen beobachten, die alle die Rekonstruktion von Vergangenem betreffen. Das Spektrum umfasst künstlerische Verfahren in der bildenden Kunst und im Theater, Strategien des filmischen Erzählens, Formen der Vermittlung im Museums- und Ausstellungsbereich sowie populärkulturelle Praktiken der performativen Geschichtsdarstellung, des Fantasy-Rollenspiels oder des Literaturtourismus. Im Anschluss an die aktuelle Debatte um „Mimesis als Kulturtechnik“, die medientechnische Verfahren der Kopie, des Remakes und des Seriellen fokussiert, sollen hier jene Aspekte mimetischer, performativer und szenographischer Verfahren in den Blick genommen werden, die auf das körperlich-sinnliche Nachempfinden, das ortsbezogene Nacherleben, das Wiederdurchdenken (Collingwood), das experimentelle Wiederdurchführen, das Veranschaulichen oder das Erfahrbarmachen von fiktionalen oder dokumentarischen Ereigniszusammenhängen zielen. In der akademischen Auseinandersetzung werden Reenactments als reflektierte wissenschaftliche oder künstlerische Verfahren häufig von scheinbar ‚rein’ affirmativen Praktiken im Bereich der Laien- und Amateurkultur abgegrenzt. Auf der Tagung soll diese Dichotomie in Frage gestellt und stattdessen nach den Wechselwirkungen, Verschränkungen und Gemeinsamkeiten gefragt werden. Reenactments sind nie ‚bloße’ Wiederholungen, sondern kreativ-produktive Prozesse der Aneignung, die Neues hervorbringen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, welche Bedeutung dem Rekurs auf mediale Repräsentationen (Filme, Bücher oder Computerspiele) zukommt und ob sich das Verhältnis als Vorbild oder Referenz beschreiben lässt. Sind Reenactments Formen der Remediation und was zeichnet diese aus? Welche Rolle spielen Begriffe wie „Imagination“, „Faszination“ und „Immersion“? Wie lässt sich der praxisorientierte Zugang zu dem im Reenactment produzierten Wissen beschreiben (z.B. „spielerisch“, „sensuell“ oder „emotional“)? Wie kommen Authentifizierungsstrategien und Medien der Evidenzerzeugung zum Einsatz? Welche Bedeutung kommt Prozessen der Vergemeinschaftung und Identitätskonstruktion zu (Fankulturen, „communities of practice“)? In welchem Sinne sind Reenactments Strategien der Erinnerungspolitik und „Nostalgie“? Wie lassen sich Reenactments in der Interaktion lokalisieren? Wie lassen sich Praktiken des Reenactment ritualtheoretisch fassen? Die transdisziplinäre Tagung wird diese und daraus folgende Fragen anhand von Beiträgen aus der Medienwissenschaft, der Ethnologie, der Kulturwissenschaft, der Kunstwissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Geschichtswissenschaft, der Filmwissenschaft und Theaterwissenschaft sowie der Linguistik diskutieren.
Organisationsteam:
Anja Dreschke (anja.dreschke@uni-siegen.de)
Raphaela Knipp (raphaela.knipp@uni-siegen.de)
Ilham Messaoudi (messaoudi@locatingmedia.uni-siegen.de)
David Sittler (david.sittler@uni-siegen.de)