Lektüre und Geschlecht im 18. Jahrhundert. Zur Situativität des Lesens zwischen Einsamkeit und Geselligkeit

Lektüre und Geschlecht im 18. Jahrhundert. Zur Situativität des Lesens zwischen Einsamkeit und Geselligkeit

Veranstalter
Dr. Luisa Banki (Bergische Universität Wuppertal); Dr. Kathrin Wittler (Freie Universität Berlin)
Veranstaltungsort
Freie Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.02.2019 - 22.02.2019
Deadline
07.08.2018
Website
Von
Luisa Banki, Allgemeine Literaturwissenschaft / Neuere deutsche Literaturgeschichte, Bergische Universität Wuppertal

Es gehört zu den grundlegenden Einsichten der kulturgeschichtlichen Forschung, dass sich die Praxis des Lesens im Europa des 18. Jahrhunderts tiefgreifend wandelte; und es ist wohlbekannt, dass geschlechtsspezifische Konditionierungen und Erwartungen in diesem Veränderungsprozess eine wichtige Rolle spielten. Mit Blick auf die immer wieder beschworene ‚Lesesucht‘, die man in der Aufklärungsepoche vor allem dem weiblichen Lesepublikum diagnostizierte, wird der Zusammenhang zwischen Lektüreverhalten und Geschlecht bis heute zumeist ideengeschichtlich mit den Gegensatzpaaren ‚Gelehrsamkeit vs. Unterhaltung‘ und ‚Vernunft vs. Gefühl‘ beschrieben.
Ein Blick auf das vielfältige Spektrum von geschlechtlich codierten Lesesituationen im 18. Jahrhundert zeigt allerdings, dass die Lektürepraktiken und -theorien der Zeit nicht in der Dichotomie ‚männlich / gelehrt / rational‘ vs. ‚weiblich / naiv / emotional‘ aufgehen. Aus diesem Grund scheint es ebenso vielversprechend wie notwendig, die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Lektüre und Geschlecht im 18. Jahrhundert noch einmal neu zu stellen. Die geplante Tagung wird ebendies tun, indem sie die aktuelle Hinwendung der Aufklärungsforschung zu praxeologischen Fragestellungen aufgreift. Wir wollen die konkrete Situativität des Lesens in den Fokus rücken und nach den Geschlechterstrukturen fragen, die das epochenspezifische ‚Social Life of Books‘ (Abigail Williams) prägten.

Die Situativität des Lesens lässt sich über Aspekte der Räumlichkeit und der Medialität erschließen. Wer las im 18. Jahrhundert wo? Machte es einen Unterschied, ob in Gartenlauben, Bibliotheken, Kaffeehäusern, Wohnstuben oder Boudoirs zu Büchern gegriffen wurde? Brauchte frau nicht nur zum Schreiben, sondern auch zum Lesen ‚a room of her own‘? Gab es dezidiert männlich definierte Räume und Modi des Lesens? Mit welchen anderen Praktiken waren die verschiedenen Lektüreweisen verbunden – etwa dem Exzerpieren, dem Clavichord-Spiel oder dem Spaziergang? Welchen Stellenwert hatten die Medialität und Materialität von Texten (etwa handschriftlicher Brief vs. gedrucktes Buch, Folio-Band vs. Duodez-Büchlein) für geschlechtlich codierte Lektürehaltungen?
Der Fokus auf die Situativität des Lesens im 18. Jahrhunderts wirft darüber hinaus die Frage auf, wie geschlechtsspezifisches Lektüreverhalten in dem für die Aufklärung konstitutiven Spannungsfeld zwischen Einsamkeitskult und Soziabilitätsgebot verortet wurde. Aus welchen Büchern las man in geselliger Runde laut vor und welche Bücher verschlang man – womöglich heimlich – still und allein? Wie wurde das gemeinsame Lesen im Unterschied zum einsamen Lesen reflektiert? Inwiefern war das Verhältnis zwischen vorlesenden, zuhörenden und allein lesenden Personen geschlechtlich codiert?

Aus der Reflexion verschiedener Verhaltensmuster des Lesens im Spannungsfeld zwischen Einsamkeit und Geselligkeit ergab sich im aufklärerischen Diskurs ein gesteigertes Bewusstsein für textinduzierte Dynamiken des Begehrens. Für die Frage nach der konkreten Situativität des Lesens erscheint es uns mithin vielversprechend, der damals deutlich ausgeprägten Faszination für lustvolle und lusterregende Lektüre und der ebenso ausgeprägten Furcht vor diesen Lusteffekten nachzugehen. Wie verhielten sich in geselligen Lesesituationen erotische Anspielung und soziale Kontrolle? Wie entstand der Projektionszusammenhang von einsamer Lust und einsamer Lektüre? Inwiefern definierte das Verhältnis zwischen Lust und Lektüre die damaligen Geschlechtercodierungen des Lesens?
Mit ihrem Fokus auf die facettenreiche Situativität des Lesens im 18. Jahrhundert, die sich heuristisch zwischen Einsamkeit und Geselligkeit verorten lässt, verspricht die Tagung neue Einsichten in das historische Zuschreibungsverhältnis der Kategorien Lektüre und Geschlecht. Für den geplanten fächerübergreifenden Austausch sind Vortragsvorschläge aus allen relevanten Disziplinen willkommen, neben den Literaturwissenschaften besonders aus den Medien-, Buch-, Geschichts-, Kultur- und Kunstwissenschaften, aus den Gender und Queer Studies und aus der Soziologie.

Die Tagung findet voraussichtlich vom 21.-22. Februar 2019 an der Freien Universität Berlin statt. Die Übernahme der Reise- und Unterbringungskosten wird angestrebt, kann jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht garantiert werden.
Interessierte Kolleginnen und Kollegen sind herzlich eingeladen, einen Beitragsvorschlag (Abstract von max. 500 Wörtern) sowie einen kurzen CV bis spätestens 07. August 2018 an Luisa Banki (banki@uni-wuppertal.de) und Kathrin Wittler (kathrin.wittler@fu-berlin.de) zu schicken. Beiträge sind sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache willkommen.

Programm

Kontakt

Dr. Luisa Banki
Bergische Universität Wuppertal
banki@uni-wuppertal.de

Dr. Kathrin Wittler
Freie Universität Berlin
kathrin.wittler@fu-berlin.de