Objekte & Organismen. Verlebendigung, Verdinglichung, Verwandlung

Objekte & Organismen. Verlebendigung, Verdinglichung, Verwandlung

Veranstalter
Ella Beaucamp / Romana Kaske / Thomas Moser
Veranstaltungsort
Museum Mensch & Natur, Schloss Nymphenburg / Institut für Kunstgeschichte, Zentnerstraße 31
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.07.2019 - 13.07.2019
Website
Von
Ella Beaucamp

[ENGLISH VERSION BELOW]

In dem immer komplexer werdenden Feld der Material Culture Studies ist es mittlerweile selbstverständlich, das anthropozentrische Verständnis von Handlungsmacht und Weltermächtigung mit Blick auf die Objekte neu zu fassen. Dabei bilden die ‚Welt des Lebendigen‘ und die ‚Welt des Materiellen‘ erst seit der Neuzeit zwei gegensätzliche Kategorien der westlichen Ontologie. Die Vorstellung, dass Objekte handlungsfähig sind und Intentionalität besitzen, existierte bereits in der Vormoderne und wird heute unter dem Schlagwort ‚agency‘ wieder verstärkt diskutiert. Gerade im Zeitalter des ‚Internet of Things‘, selbstlernender KI und digitaler Assistenten scheinen die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt ihre Gültigkeit zu verlieren. So werden materielle Produkte mit ‚Persönlichkeit‘ ausgestattet und individualisiert, während im gegenwärtigen kapitalistischen System Personen und soziale Bindungen eine Verdinglichung erfahren.

Inzwischen ist dieser anthropomorphisierende Blick auf Objekte in verschiedenen Disziplinen zu einem Forschungsparadigma aufgestiegen, das wir im Rahmen einer interdisziplinären Tagung untersuchen möchten. Um zwei Blickrichtungen auf das Verhältnis von Objekten und Organismen einzunehmen, wird sich die Tagung in zeitübergreifender Perspektive zum einen mit Objekten befassen, die in bestimmten Situationen oder durch bestimmte Eigenschaften als Imitationen lebendiger Organismen gelten können (‚Verlebendigung‘). Solche Objekte ähneln Menschen (anthropomorph), Tieren (zoomorph) oder Pflanzen (phytomorph), wodurch ihr lebloser, künstlicher Status zurückgedrängt wird. Nicht nur in der Wirklichkeit, sondern auch in der Literatur und den bildenden Künsten gibt es solche Objekte, deren Gestalt, Funktion, Herstellungsprozess oder Materialität als organisch dargestellt bzw. beschrieben werden. Zum anderen sollen aber auch Organismen in den Blick genommen werden, die durch bestimmte Prozesse und Strategien wiederum einen Objektstatus erlangen oder einen solchen zugeschrieben bekommen (‚Verdinglichung‘). Sie sollen als produktives Negativ dienen, um das Verhältnis zwischen Objekt und Organismus neu zu bedenken.

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Objects & Organisms. Vivification, Reification, Transformation

Within the increasingly complex field of Material Culture Studies, redefining the anthropocentric understanding of power to act and interact with regard to objects has become commonplace. Yet, it is only since modern times that the 'living world' and the 'material world' have formed two opposing categories of western ontology. The notion that objects are capable of acting and possess intentionality already existed in pre-modern times and is discussed again today under the buzzword 'agency'. Especially in the age of the 'internet of things', self-learning artificial intelligence and digital assistants, the boundaries between subject and object seem to lose their validity. Thus, material products are endowed with a 'personality' and are individualized, while the current capitalist system fosters a reification of persons as well as of social bonds and experiences.
By now, the anthropomorphizing view of objects has evolved into a research paradigm that we would like to investigate within the framework of an interdisciplinary conference. In order to approach the relationship between objects and organisms from two different angles and across time, the conference will deal with objects that, on the one hand, can be considered as imitations of living organisms in certain situations or through certain characteristics (‘vivification). Such objects resemble human beings (anthropomorphic), animals (zoomorphic), or plants (phytomorphic), thereby suppressing their inanimate, artificial status. Not only in reality, but also in literature and the visual arts, there are such objects, of which form, function, the manufacturing process or materiality are represented or described as organic. On the other hand, however, organisms that in turn attain the status of an object are also to be taken into account ('reification'). They should serve as a productive negative in order to reconsider the relationship between objects and organisms.

Programm

Freitag, 12. Juli
Museum Mensch und Natur (Schloss Nymphenburg)

13:00 Apéro

13:30 Sektion 1 Verlebendigungsstrategien

Moderation: Ruth Bielfeldt (München)

Begrüßung: Ella Beaucamp, Romana Kaske & Thomas Moser

Heike Schlie (Salzburg): Life Size – Live Matters: Strategien der Verlebendigung von Kunstwerken um 1500

Joana Mylek (München): „Dass es nur Kunst war, verdeckte die Kunst“: Die Porzellanblüten der Manufacture de Vincennes

Thomas Moser (Hamburg/München): Das Leben der Lampen: Mucha, Nancy und der galvanische élan vital

15:30 Kaffeepause

16:00 Sektion 2 Artifizielle Menschlichkeit

Moderation: Franz Hefele (Berlin/München)

Artemis Yagou (München): Playful Control: The Example of Anthropomorphic Toy Robots

Marlen Bidwell-Steiner (Wien): Prekäre Männlichkeit im Puppenheim: Beispiele aus dem spanischsprachigen Film

Joanna Nowotny (Zürich): Repetition oder Revolution? Cyborgs und Androiden als Grenzfiguren im Superheldencomic der Gegenwart

17:45 Kaffeepause

18:15 Abendvortrag

Kevin Liggieri (Zürich): Wie viel ‚Mensch‘ steckt in der Technik? Eine konkrete technikanthropologische Untersuchung

20:00 Conference dinner

Samstag, 13. Juli
Institut für Kunstgeschichte, LMU München (Zentnerstraße 31)

09:00 Sektion 3 Verdinglichungsstrategien

Moderation: Joanna Olchawa (Frankfurt am Main)

Anne-Katrin Federow (Dresden): Körper-Spiel und Körper-Kunst: Objektivierung und Allozentrismus in deutschsprachigen Mären

Ella Beaucamp (Venedig/München): Organismen des Meeres, Objekte des Handels. Korallenkunst im Spätmittelalter

John White (Amherst, USA): Collecting ‚Sea Sculpture‘: Porcelain, Shipwreck, and Vibrant Matter

10:45 Kaffeepause

11:15 Sektion 4 Organische Objekte des Wissens?

Moderation: Inci Bozkaya (Potsdam)

Regina Jucknies (Leipzig): Planet Buch oder: Gehören Mikroben zum Objekt?

Verena Suchy (Gießen/Göttingen): Die Fleischwerdung der Perle: Der deviante Körper in anthropomorphen Kunstkammerpreziosen der Frühen Neuzeit

Annerose Keßler & Isabelle Schwarz (Hannover): Essenzen von Natur und die Praxis der Miniaturisierung: Naturkundliche Vermittlung von Objekten, Organismen und Umwelten in musealen Räumen

13:00 Mittagspause

15:00 Sektion 5 Wechselwirkungen

Moderation: Herfried Vögel (München)

Kristin Böse (Frankfurt am Main): quod in carne omnes vivae sint: Effekte von Lebendigkeit am Beispiel einer Serpentinschale aus dem Musée du Louvre

Romana Kaske (München): Welchen Status haben tote Körper? Perspektiven und Verhandlungen in Mittelalter und Früher Neuzeit

Gabriele Schichta (Salzburg/Krems): „Habt mir auff daz pild, daz ist mir worden wild!“ Verlebendigte Objekte und verdinglichte Figuren im ‚Herrgottschnitzer‘ und im ‚Bildschnitzer von Würzburg‘

16:45 Kaffeepause

17:15 Zusammenfassung & Moderation

Philippe Cordez (Paris) Abschlussdiskussion

Kontakt

Ella Beaucamp

+4915779244730

Ella.Sophie.Beaucamp@campus.lmu.de